Das Problem beginnt in den Füßen: Ameisenlaufen und Schmerzen in Füßen und Unterschenkeln können erste Hinweise auf Nervenschädigungen sein. Bei über der Hälfte der rund acht Millionen Diabeteskranken in Deutschland stellen sich mit der Zeit Nervenschäden ein, die in Erektionsproblemen oder Herzrhythmusstörungen oder Amputationen enden können.

Düsseldorf/Erlangen. Es ist ein Stoffwechselgift, das der jeder Körper produziert. Der von Diabetikern allerdings verstärkt. Er kann das Gift zudem nicht so gut abbauen wie gesunde Menschen es können, fanden Wissenschaftler der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen (FAU) heraus. Das Symptombild dabei ist groß und zum Teil widersprüchlich: Die Nervenschädigung kann zu Störungen des Schmerz-, Berührungs- oder Temperaturempfindens führen, aber auch zu chronischen Schmerzen, Missempfindungen und Lähmungen.

Die Patienten leiden zum einen unter Missempfindungen, wie ‚Ameisenlaufen‘ und Kältegefühl trotz warmer Haut, einem Brennschmerz in den Füßen oder krampfartigen Schmerzen der Wadenmuskulatur. Andererseits aber gehen Warm- und Kaltempfindung zurück und schmerzhafte Reize von außen werden nicht mehr wahrgenommen. Gefährlich ist das, weil die Betroffenen kleine Wunden nicht bemerken.

Nervenschädigung fast überall möglich

Diese entwickeln sich vor allem an den Füßen gerne zu Druckgeschwüren, die schlecht heilen, weil sie nur wenig durchblutet werden. Im schlimmsten Fall müssen Mediziner zu drastischen Maßnahmen wie Amputationen greifen, um gesunde Köperstrukturen zu retten. Beim Diabetiker mit Polyneuropathie ist das Risiko für eine Fußamputation gegenüber der Normalbevölkerung um das 10- bis 22-fache erhöht. Aus diesem Grund ist die Fußpflege bei Diabetikern ein wichtiges Thema und sollte, so raten die Experten, nie vernachlässigt werden.

Von den Nervenschädigungen betroffen sein können auch Organe. Bei Herzrhythmusstörungen, Magenlähmung oder Erektionsproblemen sollten Diabetiker immer auch an die Möglichkeit einer peripheren Neuropathie denken, wie Mediziner die Nervenschädigung bezeichnen.

Professor Werner A. Scherbaum, Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Rheumatologie des Universitätsklinikums Düsseldorf schätzt die Zahl männlicher Diabetiker mit sexuellen Störungen auf etwa 50 Prozent und die von Diabetikerinnen auf rund 30 Prozent.

Lebensgefahr durch Neuropathie

Lebensbedrohlich kann die periphere Neuropathie werden, wenn bei Diabetikern Herzrhythmusstörungen unbemerkt in lebensgefährliches Kammerflimmern übergehen. Durch die Schädigung der schmerzleitenden Nerven können sie zudem Herzinfarkte bekommen, die sie aber wegen des gestörten Schmerzempfindens gar nicht wahrnehmen.

Es sind vor allem die langen Nervenfasern, die die Haut der Füße und der Hände sowie die Bauchorgane versorgen, die bei diabetischer Neuropathie geschädigt werden. "Die Ursachen der Nervenschädigung bei diabetischer Neuropathie gehen zwar auf den erhöhten Blutzucker, die Glucose, zurück, sind aber nicht der Glucose selbst zuzuschreiben", erklärt Profofessor Susanne Sauer vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU. Die Heidelberger Diabetologen haben herausgefunden, dass Methylglyoxal dafür verantwortlich ist, das immer beim normalen Zuckerabbau entsteht.

Was bei einer peripheren Neuropathie geschieht

Ein gesunder Organismus kann dieses giftige Abbauprodukt im Köper selbst abbauen. Diabetiker haben verbunden mit dem Zuckerabbau gleich zwei Probleme: Durch das Überangebot an Zucker bei Diabetikern wird dieser Abfallstoff bei ihnen vermehrt produziert und kann gleichzeitig schlechter abgebaut werden.

So reichert sich immer mehr von diesem Stoffwechselgift in den Nerven an. Die Nervenfasern, die im Gehirn schädigende Einflüsse wie Hitze oder Schmerz melden, werden durch die Überschwemmung mit dem Stoffwechselgift in ihrer biophysikalischen Eigenschaft so verändert, dass sie widersprüchliche Informationen ans Hirn weitergeben.

Erhöht ist das Risiko eine Nervenschädigung zu bekommen bei allen Diabetikern vor allem durch erhöhte Blutzuckerwerte. Bluthochdruck oder andere Vorschädigungen wie die der Nieren, des Herzens oder der Netzhaut können eine periphere Neuropathie wahrscheinlicher machen. Das Risiko, diese Folgeerkrankung zu bekommen, steigt mit der Dauer der Diabeteskrankheit. Zu einer Vorbeugung beitragen kann man dadurch, dass man den Blutzuckerspiegel möglichst konstant hält. Da sich sowohl das Rauchen als auch übermäßiger Alkoholkonsum nervenschädigend auswirken, sollten Diabetiker auf beides verzichten.

Therapie ohne Heilung

Geholfen werden könnte Diabetikern, die bereits unter einer Neuropathie leiden durch die Forschungsergebnisse der Diabetologen der Universität Heidelberg und der Friedrich-Alexander-Universität. Sie haben auch herausgefunden, dass es möglich ist, den Spiegel von Methylglyoxal therapeutisch zu senken. Ein anderer Ansatz wie der mit der Behandlung von Alpha-Liponsäure zielt darauf ab, die Durchblutung der Nerven und die Eigenschaften der Nervenleitungen medikamentös zu verbessern.

Das Deutsche Diabetes-Forschungsinstitut beurteilt diese Therapieform als nützlich. Nachteil allerdings ist, dass die Therapie nicht von den Krankenkassen übernommen wird. Medikamente, mit denen sich die Neuropathie heilen lässt, stehen trotz intensiver Forschungsbemühungen bisher nicht zur Verfügung.

wat/anch/nbe