Immer mehr Griechen zeigen Mitbürger an, deren Wohlstand ihnen verdächtig erscheint. Inzwischen wird gegen über 1000 "Persönlichkeiten" ermittelt. Auch fünf ehemalige Minister sind darunter.
Proteste Griechenland
© DPAWütende Pensionäre protestieren in Athen gegen die Kürzung ihrer Renten. Während sie bluten müssen, geht es vielen wohlhabenden Griechen sehr gut.
Seit es das moderne Griechenland gibt, schien dessen unverrückbarste Wahrheit zu sein, dass Politiker korrupt sind und nie dafür bestraft werden.

Dann kam die Krise, und sie veränderte alles. Mit der Halbierung vieler Gehälter und Renten entbrannte der Volkszorn gegen die "Diebe", die das Land jahrzehntelang ausplünderten und dies "Regieren" nannten.

Der Zorn der Griechen entlädt sich nun schon seit geraumer Zeit in einer Welle von Denunziationen und Anzeigen gegen verdächtig reiche Politiker und einstige Amtsträger. Dass Politiker überhaupt belangt werden, hatten die Bürger wohl erst erstaunt und entzückt zur Kenntnis genommen, als der frühere Verteidigungsminister Akis Tsochatzopoulos im April verhaftet wurde.

Sein eigentliches Vergehen, Korruption, ist verjährt. Die Staatsanwälte ermittelten nun wegen Geldwäsche gegen ihn. Offenbar war dieser Prozess der Stein, der eine ganze Lawine ins Rollen brachte. Aus dem ganzen Land gingen plötzlich Hinweise bei der Behörde gegen Wirtschaftskriminalität (SDOE) ein.


Bürger denunzieren alle und jeden


Bürger denunzierten vom Bürgermeister bis zum Minister alle, deren Wohlstand ihnen suspekt erschien. Schon im Mai verkündete die SDOE, dass sie nunmehr gegen gut 500 "politische Persönlichkeiten" ermittle - wohlgemerkt nur gegen solche, die nicht den Schutz der parlamentarischen Immunität genießen. Für die anderen ist das Parlament zuständig.

Jetzt, zwei Monate später, sind es schon 1000. Fünf ehemalige Minister und mehrere Parlamentsabgeordnete seien darunter.

Dem Vernehmen nach schicken Bürger ihre Denunziationen nicht nur zur SDOE: Auch dem Ministerpräsidenten und dem Finanzminister schreiben erzürnte Griechen mit konkreten Hinweisen auf Villen, Ferienhäuser, Yachten oder Luxusautos von Politikern.

Sie bitten darin um eine Prüfung, ob solcher Luxus in Einklang steht mit deren Gehalt. Etwas bizarr, aber vielsagend ist dieser Tage eine Bitte des Gesundheitsministeriums an die SDOE: Sie möge doch bitte die Behörde durchleuchten, mit Blick auf Missbrauch und Korruption. Das klingt so, als sollte da Ernst gemacht werden.

Die Behörde gegen Wirtschaftskriminalität berichtet außerdem, dass derzeit die Bankkonten von zwei Ex-Ministern und drei Parlamentsabgeordneten unter die Lupe genommen würden. Das ist insofern bemerkenswert, als dass die SDOE bislang immer am Widerstand der Banken gescheitert war.


Schwerpunkt der Ermittlungen auf Geldwäsche


Noch im Juni hatte der Behördenchef Nikos Lekkas im Gespräch mit "Welt Online" geklagt, es dauere üblicherweise mehr als ein halbes Jahr, bis Banken einem Antrag seiner Behörde stattgeben.

In der Zeit könne das Geld des Verdächtigen leicht beiseitegeschafft werden. Außerdem erklärte der Behördenchef, die griechische Krise sei vornehmlich auf Steuerhinterziehung zurückzuführen - und könne gelöst werden, wenn die Griechen endlich anfingen, ihre Steuern zu bezahlen.

Lekkas Offenherzigkeit scheint Konsequenzen gehabt zu haben. Zu den gegenwärtigen Verfahren seiner Behörde gegen die rund 1000 Politiker befragt, bedauerte Lekkas, ohne Autorisierung des Finanzministeriums keine Kommentare geben zu dürfen. Wiederholte Anfragen der Redaktion bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten liefen ins Leere.

Fest steht aber, dass der Schwerpunkt der Ermittlungen auf Geldwäsche in Tateinheit mit Steuerhinterziehung liegt. Offenbar wäre der Vorwurf der Korruption in vielen Fällen verjährt, also weichen die Ermittler stattdessen auf den Tatbestand der Geldwäsche aus.

Ein SDOE-Mitarbeiter äußerte die Hoffnung, es werde zu einer kulturellen Zeitenwende in Griechenland kommen, wenn nur genügend Figuren überführt würden.

Einstige Würdenträger könnten zudem verbittert auf ihre Verurteilung reagieren und das Gefühl haben, sie würden dem Volkszorn geopfert - und deshalb in Versuchung geraten, auch gegen aktuelle Politiker auszusagen. Die Lawine, die nun also losgetreten ist, könnte bis ins Parlament rollen.

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