Die Ratingagenturen als „zentrale Auslöser und Antreiber“ der europäischen Schuldenkrise? Schweizer Forscher untermauern diese These mit Fakten.
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St. Gallen - Die international agierenden Ratingagenturen wie Standard & Poor‘s (S&P), Moody‘s oder Fitch sehen sich in Europa zunehmender Kritik an ihrem Vorgehen ausgesetzt.

Hatte zuletzt die EU-Kommission die Rolle der Ratingagenturen in der Euroschuldenkrise mit ungewohnt deutlichen Worten kritisiert, so wird diese Kritik nun auch durch eine empirischen Studie von Nationalökonomen der Schweizer Universität St. Gallen untermauert.

Sie sehen in „nicht nachvollziehbaren“ Herabstufungen europäischer Länder eine zentrale Ursache und Triebfeder der europäischen Schuldenkrise.

Auch Österreichs Notenbank-Chef und EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny hat sich in der jüngeren Vergangenheit des öfteren kritisch gegenüber dem Vorgehen der Ratingagenturen geäußert, und etwa gemeint, die Agenturen hätten eine „krisenverschärfende Funktion“, oder würden die für Österreich bedeutsame Wirtschaftsregion Osteuropa nicht differenziert genug betrachten.

Ratingagenturen als „Auslöser“

EU-Justizkommissarin Viviane Reding sagte am Mittwoch in Brüssel: „Es ist doch interessant, dass immer dann, wenn sich die haushaltspolitische Lage in den USA verschlechtert, bestimmte Rating-Agenturen Europa ins Rampenlicht rücken.“

Man müsse die Ratingagenturen als „zentrale Auslöser und Antreiber“ in der europäischen Schuldenkrise betrachten, sagen die beiden Schweizer Nationalökonomen Manfred Gärtner, Björn Griesbach. In ihrer aktuellen Studie werten sie volkswirtschaftliche Daten für 16 OECD-Länder im Zeitraum 1999 bis 2011 aus (http://ideas.repec.org/p/usg/econwp/201215.html ).

„Systematik und Ausmaß willkürlicher Ratingherabstufungen“ geben den Ratingagenturen eine zentrale Verantwortung für die Schuldenkrise, heißt es darin.

Herabstufungen „willkürlich“

Die Herabstufungen vieler europäischer Länder im Zeitraum 2008 bis 2011 seien „willkürlich“ erfolgt, so die Studienautoren. Viele Länder würden seit 2008 nach anderen Maßstäben beurteilt als früher oder als außereuropäische Länder.

Ihre Herabstufungen könnten nicht durch Verschlechterungen der Wirtschaftslage und der Staatsfinanzen begründet werden. Spanien zum Beispiel hätte um eine halbe Klasse herabgestuft werden müssen, verlor aber 3 Klassen.

Irland hätte eineinhalb Ratingstufen verlieren müssen, wurde aber um 7 Klassen herabgestuft. Bei Portugal war der Verlust einer halbe Klasse gerechtfertigt. Es verlor tatsächlich aber 8 Klassen. Selbst Griechenlands Rating hätte sich aufgrund objektiver Wirtschaftsindikatoren in dieser Zeit nur um 0,14 verschlechtern dürfen. Tatsächlich sackte es aber um 12 Klassen ab, von A auf CCC.

Gute und schlechte Gleichgewichte

In ihrer empirischen Studie kommen die Ökonomen zum Ergebnis, dass im Markt für Staatsanleihen mehrere Gleichgewichte existieren. Das erste, gute Gleichgewicht bringt tiefe Zinsen und gute Ratings.

Im zweiten, schlechten Gleichgewicht werden Zinsen unbezahlbar, die Ratings kollabieren, das Land wird insolvent. Dazwischen liegt eine Insolvenzschwelle. Wird ein Land über diese Schwelle geschoben, setzt ein Sog in Richtung Insolvenz ein, aus dem es sich selbst nicht mehr befreien kann.

Die Insolvenzschwellen liegen dabei sehr hoch, und bereits geringe „Fehleinschätzungen“ können laut den Ökonomen eine Insolvenzdynamik auslösen.

Länder in die Insolvenz stoßen

Länder mit einem Rating von A oder schlechter sind demnach in höchstem Maße gefährdet. Bereits geringste negative Zins- oder Ratingsignale, auch wenn diese unbegründet sind, können solche Länder in den Insolvenzstrudel stoßen. „Ab einem BB- wird die Lage Hoffnungslos“, zeigt Manfred Gärtner in der Wochenzeitung Zeit die Grenzlinie zwischen Sein und Nichtsein auf.

Aber auch Länder mit Spitzenratings können nicht völlig sicher sein. Selbst ein Land mit einem AAA Rating kann eine versehentliche oder missbräuchliche Herabstufung um vier Stufen, also von AAA auf A+, in höchste Schwierigkeiten bringen.

Politik hat versagt

Es gebe einen point of no return: „Ab einem gewissen Punkt gerät ein Land in einen Teufelskreis von Herabstufungen, höheren Zinsen und weiteren Herabstufungen. Die reale wirtschaftliche Lage des Landes spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle“, erklärt Manfred Gärtner.

Seiner Einschätzung nach hat die Politik bisher versagt. Sie konzentriere sich auf das Sparen anstatt „endlich den Wildwuchs auf den Finanzmärkten angehen, der ja die staatlichen Finanzen unentwegt strapaziert.“

tt.com, APA