Der Protest vor den Bankentürmen versinkt im Schmutz. Das lockt Ratten an. Nächste Woche soll geräumt werden. Doch die Bewohner wollen nicht weichen. Sie halten die Hygienemängel für vorgeschoben.
occupy camp, frankfurt
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Unter dem meterhohen Frankfurter Euro-Zeichen gleich neben der "Gentechnikfreien Zone", dort, wo der Arbeitskreis Flowerpower in der brüllenden Nachmittagshitze kaum mit dem Gießen seiner Kräuterkübel nachkommt, steht ein Bretterverschlag. "Es werden alle Ratten verhaftet", informiert ein Schild in sorgfältiger Schönschrift. Unterzeichnet hat die Abteilung "Bankenhygiene". Und symbolträchtig, wie das Ganze sein soll, steckt im Verhau natürlich keine einzige Ratte, sondern nur ein halbvoller, blauer Müllsack.

Das vernagelte Verlies im Frankfurter Occupy-Camp ist löchrig, so durchlässig wie unser Rechtssystem, soll das wohl heißen: Würde in den Chefetagen der umliegenden Banken tatsächlich je eine "Manager-Ratte" festgenommen, sie könnte sich durch die Lücken der Gesetze gleich aus dem Staub machen. Von Hygiene keine Spur.

Die kleine Aktion mag zwar ironisch gedacht gewesen sein. Aber unfreiwillig hat sie eben doch noch eine andere Botschaft: Die Ratten und die mangelnde Hygiene bestimmen in dem Zeltlager vor der Europäischen Zentralbank (EZB) mittlerweile tatsächlich das Geschehen. Denn Ungeziefer und Dreck bescheren dem Camp nach knapp zehn Monaten womöglich das Aus. Die Stadt will das Lager nächste Woche räumen.

Mehr Obdachlose als Rebellen angelockt

Das Camp wurde im Herbst nach einer bundesweiten Anti-Banken-Demonstration als Mahnwache errichtet, Vorbild war New York. Sichtbar und nachhaltig, aber auch umgänglich und gewaltfrei wollte Occupy gegen den angeblich so bösen Kapitalismus protestieren.

Doch das Lager hat, wie fast alle seiner Art, mehr Obdachlose als Rebellen angelockt, Drogensüchtige aus dem nahen Bahnhofsviertel, Kleinkriminelle, Alkoholiker. Es gab Schlägereien zwischen den Bewohnern, Diebstähle, viel Streit und Lärm und Krach. Nachts müssen Bewohner Patrouille laufen, die IT-Station mit dem Computer braucht einen Extra-Bewacher.

Irgendwann waren sogar zwei komplette Roma-Clans in die Frankfurter Grünanlagen eingerückt, zwei schwangere Frauen eingeschlossen, die der Stadtverwaltung gewaltig Kopfzerbrechen bereiteten, weil sie die angebotenen Hotelzimmer nur dann annehmen wollten, wenn die gesamte Familie auch ein Zimmer bekomme. Das verweigerte die Stadt, um nicht noch mehr Roma anzuziehen. So blieben alle im Zelt. Angeblich zählen die rumänischen Familien allein schon 60 Mitglieder.

Protest ja, aber ohne Zelten

Seit Monaten also stehen in dem niedergetrampelten Grün im Schatten der Bankentürme Dutzende von Zelten, je nach Wetter leben dort zwischen 50 und über 100 Menschen. Sie kochen, lagern Lebensmittel und produzieren Abfall, der nicht mehr abgeholt wird, weil Rechnungen an die Müllfirma offen sind. Kein Wunder, dass irgendwann dann auch die Ratten kamen.

Das Ordnungsdezernat will das Ungeziefer, Kakerlaken und Käfer eingeschlossen, nun nicht mehr hinnehmen und den Platz im Herzen der Stadt geräumt sehen. Protest: Ja - aber ohne Zelten und Campieren, lautet die Ansage von Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU).

Seit dem 26. Juli ist die Aufenthaltsgenehmigung offiziell erloschen,bis zum 31. Juli haben die Aktivisten Zeit, die Zeltstadt zu räumen. Sonst tut es die Polizei. Es sieht alles danach aus, dass es soweit kommt, auch wenn Occupy erst mal gegen die Räumung geklagt hat und demonstrieren will. "Wir werden noch ordentlich Krach schlagen, bevor wir gehen", sagt Thomas, ein Anfangfünfziger und Aktivist der ersten Stunde, der sich Thomas Occupy nennt.

Stefan, der an diesem "Tag 285" des Camps am bunt bemalten Infostand arbeitet und gerade ein Interview mit einer Reporterin aus Hongkong beendet hat, nennt den Nager-Vorwurf eine "Lüge der Stadt und der Bild-Zeitung". Occupy solle durch eine Kampagne beschmutzt werden, empört sich der 33-Jährige Düsseldorfer, der sich einst als Altenpfleger, dann als Discjockey verdingte. Trotz 32 Grad im Schatten hat der Mann eine grüne Wollmütze auf seine lange Mähne drapiert. "Wenn wir nicht alles sauber halten würden, könnte hier doch schon lange keiner mehr leben."

Auch die zwei Dutzend Aktivisten, die derweil über die Räumung debattieren, halten die Hygienemängel für vorgeschoben. In Wahrheit sollten die Städte frei von sozialen und politischen Protesten zu halten, schimpft Jule.

Im Camp sieht man kaum Müll

Wer durchs Camp marschiert, sieht derzeit tatsächlich kaum Müll. Zwischen den Zelten stopft eine rothaarige Frau mit gelben Gummihandschuhen verschwitzt Verpackungen in Mülltüten, irgendwo kehrt jemand den blanken, in der Sonne hart gebackenen Boden. Die Szenerie neben dem verglasten Bankenturm hat einen Hauch von Festival; im Gras sitzen junge Leute im Kreis und diskutieren, im Hintergrund hantiert der unvermeidliche Jongleur versonnen mit bunten Bällen, irgendwer klampft auf der Gitarre herum.

Vor einem Tipi an einer Art Totempfahl hängt noch ein Nikolaus, als Zeichen, dass das Camp sogar dem strengen Winter standhielt. Auf dem "Berg der Probleme", einer kleinen Erhebung mit Sonnendach, malt derweil Aktivist Jan Umsonst vor sich hin. Der 38-Jährige ist jüngst noch schnell vor der Campräumung in den Hungerstreik gegangen, um auf die Nöte der Erde hinzuweisen. Am Fuß des Problembergs, den Jan besetzt hält, hat er Info-Tafeln aufgebaut, die allesamt Katastrophen prophezeien, unter anderem: In 40 Jahren sind alle Männer zeugungsunfähig.

Anwohner beschweren sich

Beim Ordnungsamt stehen aber die Telefone nicht still, wegen der Ratten, wegen Müll und Kot. "Anwohner beschweren sich, dass sie nackte Hintern in den Grünanlagen sehen", sagt Andrea Brandl, Büroleiterin von Frankfurts Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU). Auch aus der Tiefgarage unter dem EZB-Turm müssen Reinigungskräfte regelmäßig menschliche Hinterlassenschaften entfernen. Im April wurde eine Grube im Camp zugeschüttet, aus der es unerträglich nach Urin und anderem stank.

Und die Campbewohner selbst haben notgedrungen ein paar Zelte abgerissen, sogar das Küchenzelt. Als die Planen weg waren, kam die totale Verwahrlosung zum Vorschein, modernde Matratzen, alte Campingstühle, Berge von Müll. Auch jetzt, glaubt das Ordnungsdezernat, sei der Müll lediglich aus dem Blick geräumt und in die Zelte geschafft worden, mitnichten aber verschwunden.

Ob das stimmt, ist schwer zu erkennen. Die meisten Zelte sind fest verschlossen. Das kann aber auch daran liegen, dass gerade mal wieder die Langfinger durchs Lager gezogen sind. Aktivist Jay informiert die Asamblea, wie die Campversammlung genannt wird, gerade darüber, dass eine Bande Handys und ganze Rucksäcke hat mitgehen lassen. Zum vierten Mal an diesem Tag ist die Polizei angerückt und befragt Zeugen. Später wird dann noch ein Mann festgenommen, wie das Ordnungsdezernat mitteilt: ein "gesuchter Verbrecher".

Kürzlich habe die Stadt sogar einen Baum ausheben müssen, weil zu viele Menschen an seinem Stamm kleine und große Geschäfte verrichteten, sagt Andrea Brandl von Ordnungsdezernat. Die beiden Dixie-Klos, die Occupy gemietet hat, würden nicht für so viele Leute ausreichen.

Doch als eine Zeitung vor kurzem Ekelalarm schlug und Fotos veröffentlichte, von einer großen Pfanne in der Küche, auf der Rattenknöllchen liegen, und von Rattenlöchern in einem Baum, da reagierte Occupy sauer: Die Aktivisten häuften Säcke vor das Büro der Frankfurter Redaktion und spannten ein Banner: "Müll für die Müllpresse".

Für viele ist Occupy eine Ersatzfamilie

Dabei stinkt es vielen der Aktivisten insgeheim selbst, dass ihr Ruf an diesen Zuständen zu leiden hat. Thomas Occupy, der einst ausgerechnet Vermögensverwalter war und sich nun als Frührentner ganz dem Camp verschrieben hat, organisiert unermüdlich Aktionen, die von den politischen Absichten zeugen sollen.

Freiwillig weichen will niemand, und das, wie es scheint, nicht nur aus Angst um den Protest. Für viele ist Occupy zur Ersatzfamilie geworden. Immer finde sich jemand zum Quatschen, dauernd gebe es Besuch, aus Australien, aus Neuseeland, sagt Stefan am Infostand. Tatsächlich sind gerade drei hübsche Däninnen eingetroffen, die mit großem "Hallo" aufgenommen werden.

Finanzfachleute auf der Suche nach einer neuen Geldordnung haben derweil aber lieber Occupy Money gegründet. Der Vorteil, sagt Initiator Hajo Köhn: "Uns kann man nicht wegen hygienischen Mängeln wegräumen." Trauriges Endlager einer Bewegung