Karte China- Stürme
© China NewsVom chinesischen meteorolischen Amt verbreitete Karte der Sturmsysteme Saolo und Damrey. Noch nie wurde in China so unzensiert und dramatisch vor den Gefahren verheerender Unwetter gewarnt
Zwei enorme Sturmsysteme rollen vom Pazifik und vom Südchinesischen Meer aus auf China zu. Ein Drittel des Landes könnte betroffen sein. Die Behörden warnen vor einer beispiellosen Herausforderung.

China bereitet sich auf einen Krieg vor - mit dem Wetter. Premier Wen Jiabao forderte seine Landsleute auf, sich gegen zwei gigantische Sturmsysteme zu wappnen. Diese würden wie in einem Zweifronten-Angriff vom Pazifik und vom Südchinesischen Meer aus gleichzeitig nach China einfallen.

Mehr als zehn Provinzen oder rund ein Drittel des Landes könnten betroffen werden. Neben Saolo, dem Wirbelsturm Nummer Neun in diesem Jahr, der nach den Phillipinen nun Taiwan in Angst und Schrecken versetzte, braust vom Pazifik her Taifun Damrey als Nummer 10 auf China zu.

Beide würden am Freitag ihre Unwetterfronten über Chinas Süd- und Ostküsten tief nach Zentralchina hineintreiben. Wen rief zur Mobilisierung auf: "Wir müssen zugleich nach innen eine Überflutung unsere großen Ströme verhindern, vom Jangtse, dem Gelben Fluss bis zum Huaihe und Haihe."

Noch nie hatte der Premier, der sich bei der Bekämpfung der Jangtseflut 1998 als Krisenmanager bewährte, seine Landsleute so dramatisch vor den Gefahren verheerender Unwetter gewarnt, aus denen sich eine neue Jahrhundertflut entwickeln könnte. Er habe gute Gründe "lieber zu übertreiben, als die Lage herunterzuspielen" sagte Wen bei einer Inspektion in Zentralchinas Henan.

Schließlich gleiche Taifun Damrey "haargenau von der Zeit, von seinem Verlauf, Stärke und Tempo" einem Riesensturm, der 1975 Zentralchinas Henan heimsuchte. Die damaligen Regenfluten ließen am 8. August 1975 die Dämme großer Wasserreservoirs in Henan bersten. Das größte Wasserbau-Unglück in der Geschichte Chinas forderte mindestens 26.000 Tote.

Wen bestätigte als erster hochrangiger Politiker Chinas nicht nur die Wahrheit des über Jahrzehnte von Peking gehüteten Staatsgeheimnisses, sondern nannte die Tragödie auch eine Warnung an alle. Als die Dämme Banqiao und Shimantan zerbrachen, kam es zu "extremen Verlusten. Wir dürfen diese schwerwiegende Lehre nicht vergessen."

Die vertuschte Wasserbau-Katastrophe

1975 erfuhr die Außenwelt nichts davon. Die Katastrophe zu Maos Lebzeiten wurde zu einem der Meisterstücke chinesischer Vertuschungs-Propaganda. Peking hielt sie zwei Jahrzehnte vor der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit geheim. Erst in den neunziger Jahren enthüllten Chinas Reportageautor Qian Gang und die Pekinger Umweltjournalistin und Dissidentin Dai Qing das düstere Kapitel aus dem Massendammbau Chinas.

Das Buch darüber, Der Flussdrache kommt, konnte nur in Hongkong und New York erscheinen. Nach dem Jahr 2000 begannen Wissenschaftler auch in Peking über das Unglück zu schreiben. Vom 5. bis 8. August 1975 hatte ein Taifun die Regenstürme über Henan getrieben, die sich mit Rekordmengen über Stauseen im Gebiet Zhumadian abregneten. Als die Deiche brachen, starben in den Flutwellen 26.000 Bauern.

Veröffentlichungen nennen heute 85.000 Tote. Dai sagte der Welt: "Das waren dichtbesiedelte Gebiete. Vor Ort werden noch höhere Zahlen bis zu 200.000 genannt." Mit Premier Wen hätte ein führender chinesischer Politiker erstmals an die Katastrophe erinnert. Mehr noch: Das Parteiorgan "Volkszeitung" veröffentlichte Wens Äußerungen dazu am Donnerstag auf der Titelseite. Einer der Gründe könnte das "schlechte Gewissen der Pekinger Führung sein", sagt Dai.

Keiner von ihnen, die alle mit ihren Vorbereitungen auf den 18. Parteitag beschäftigt waren, hatte sich öffentlich gezeigt oder geäußert, als die Hauptstadt Peking am 21. Juli vom stärksten Regensturm seit Gründung der Volksrepublik getroffen wurde. 77 Pekinger starben, 1,9 Millionen Stadtbürger wurden geschädigt.

Gravierende Versäumnisse in der Pekinger Infrastruktur und beim Bau der Kanalisation kamen zu Tage: Die Leute schrieben wütende Kommentare im Internet. Diesmal warne der Premier von Anfang an und demonstriere, dass er sich kümmert, "falls die befürchteten Regenstürme wieder zur Katastrophe führen."
Unwetter Peking
© dapdZerstörungen durch Unwetter in Peking (Foto vom 25. Juli 2012). Bereits acht Wirbelstürme richteten 2012 Schäden in China an, jetzt nähern sich zwei Unwetterfronten gleichzeitig.
Verheerende Überschwemmungen befürchtet

Alles deutet auf schwere Zeiten hin. Riesenströme wie der Jangste und auch der noch vor wenigen Jahren vom Austrocknen bedrohte Gelbe Fluß führen schon im Ober- und seit Ende Juli auch im Mittellauf gefährliches Hochwasser. Pekings Metereologen befürchten verheerende Überschwemmungen im Spätsommer.

Auf einer Krisensitzung zur Flutbekämpfung riefen Chinas Zentralbehörden zur koordinierten Abwehr gegen die Folgen der Doppelstürme Saolo und Damrey. Als zeitgleich eintreffende Taifune stellen sie eine "beispiellose" Herausforderung da.

Pekings Wetterämter rechnen, dass beide Taifune noch bis 5. August ihr Unwesen treiben. China würde im Jahresdurchschnitt von 8,6 Taifunen heimgesucht. "Damrey aber ist bereits jetzt schon der Zehnte." Als Folge von vermehrt auftretenden Taifunen sei es in China auch immer zu riesigen Fluten gekommen, warnte einst Wasserbau-Vizeminister Liu Ning: "Wir haben dieses Phänomen 1954, 1975, 1983 und 1998 erlebt".

China sei heute mit seinem umstrittenen Drei Schluchten Damm besser gewappnet. Mit seinem Talsee könne er mehr als 22 Milliarden Kubikmeter Flutwasser stauen. Doch der Damm nütze wenig, wenn sich die Fluten nicht im Oberlauf, sondern durch die Regenstürme im Mittellauf des Jangtse bilden, halten Kritiker dagegen. Chinas natürliche Abwehrkräfte gegen Naturkatastrophen seien nach Jahrzehnten hausgemachter Erosionsschäden, Überweidung der Steppen, Entwaldung, Einebnung der Seen zur Landgewinnung oder Monokultur-Anbau geschwächt.

"Extremes Wetter wird 2012 eine weltweite Plage"

Das begünstige Hang- oder Erdabrutsche. Die Meldungen häufen sich bereits. Nach starken Regenfällen verschüttete etwa eine Schlammlawine im fernen nordwestlichen Xinjiang in der Präfektur Xinyuan im Kreis Yili eine Eisenerzmine. Bis Donnerstag wurden 21 der 28 Kumpel tot geborgen, sieben werden noch vermisst. Im südwestlichen Yunnan im Kreis Jinggu wurden ebenfalls am Dienstag durch von Regenfällen verursachte Erdabrutsche ganze Dörfer mit 30.000 Menschen unbewohnbar. Es gab vier Tote. Zehn werden vermisst.

Premier Wen muss laut und deutlich warnen, um Gehör zu finden. China, in dem es jedes Jahr wegen seiner Größe zu verheerenden Fluten oder Dürren kommt, entkam den weltweiten Wetterkapriolen im ersten Halbjahr 2012 noch glimpflich, anders als die von Tornados und beispiellosen Dürren heimgesuchten USA. Nun drohen China und Ostasien Opfer zu werden.

"Extremes Wetter wird 2012 eine weltweite Plage" warnte die Volkszeitung auf einer Sonderseite am Donnerstag. Japan erlebte beispiellose Regenstürme. Schlimm nehmen Unwetter auch das unter UN-Sanktionen stehende, hungernde Nordkorea mit. Pjöngjang meldete seit 18. Juli immer wieder neue Überschwemmungen weiter Landstriche mit bislang 119 Toten, Erdrutschen, Tausenden eingestürzter Häuser und ungezählten Obdachlosen.

Erstmals und vielleicht auch als ein humanes Signal der neuen Führung gedacht meldete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA, dass Nordkoreas Premier Choe Yong-Rim Flutopfer besuchte. Pjöngjang setzte auch Kampfhubschrauber seiner "heiligen" Armee zur Rettung und Hilfe für zivile Flutopfer ein.

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