Nordrhein-Westfalen geht mit 900 Polizisten in einer landesweiten Razzia gegen gewaltbereite Extremisten vor. Drei Kameradschaften werden verboten. In den Räumen einer Neonazi-Kameradschaft in Dortmund finden Beamte auch Wahlplakate der NPD.

Der „Nationale Widerstand Dortmund“ twittert nicht mehr. So schnell kann es gehen, wenn der Innenminister des bevölkerungsreichsten Bundeslandes 900 Polizisten zu einer landesweiten Razzia von Vereinsheimen und Wohnungen in 32 Orten ausschwärmen lässt und zugleich drei Neonazi-Gruppierungen verbietet. Auch die „Kameradschaft Hamm“ und die „Kameradschaft Aachener Land“ müssen nun schweigen. 146 Verbotsverfügungen seien übergeben worden, teilte Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) in Düsseldorf nach der Razzia am frühen Donnerstagmorgen mit. „Wir reißen große Löcher in das Netzwerk der Neonazis". Nach Angaben Jägers gibt es in NRW rund 400 bis 600 gewaltbereite junge Rechtextremisten.
„Nationaler Widerstand Dortmund“: Die Neonazi-Gruppierung wird den Autonomen Nationalisten zugerechnet, die als äußert gewaltbereit gelten. Rund 50 Mitglieder - etwa zwischen 15 und 25 Jahre alt - bilden den harten Kern. Ihr Aussehen wirkt modern. Propaganda-Slogans werden auch auf Englisch gesprüht oder plakatiert, was vor Jahren in der Szene noch verpönt war.

„Kameradschaft Aachener Land“: Dieser Gruppierung werden rund 50 aktive Mitglieder zugerechnet. Die bislang sehr umtriebige rechtsextreme Gruppe, deren Kontakte bis ins Ausland reichen sollen, war vor zehn Jahren aus dem Umfeld des NPD-Kreisverbandes Aachen gegründet worden. Die Mitglieder helfen der NPD im Wahlkampf.

„Kameradschaft Hamm“: Die Kameradschaft wirbt in Hamm mit Flugblatt-Aktionen und Informationsständen, organisiert dort auch Demonstrationen und hat Beziehungen zur NPD.
Als Jäger im Mai dieses Jahres die nach einem SA-Mann benannte Kölner „Kameradschaft Walter Spangenberg“ verbot, hielten Kritiker das noch für geschicktes Timing im Wahlkampf, mit dem der Innenminister einer rot-grünen Minderheitsregierung Punkte sammeln kann. Nun schlägt Jäger, der auch den Druck auf die Rockergruppen Hells Angels und Bandidos erhöhte, Respekt entgegen.

Wahlplakate der NPD gefunden

Vor allem auch, weil bei den Durchsuchungen nicht nur die üblichen Schusswaffen, Schlagstöcke, Morgensterne und Springmesser entdeckt wurden. In den Räumen einer Neonazi-Kameradschaft in Dortmund fanden die Beamten auch 1 000 Wahlplakate der NPD. „Das zeigt die enge Verflechtung dieser rechtsextremen Partei mit der gewaltbereiten Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen“, sagte Jäger.

Für den Minister ist diese Erkenntnis besonders wichtig: Der Fund könnte einer der Puzzlesteine sein, die in der Debatte um ein NPD-Verbot zu den ausschlaggebenden Argumenten gehören. Der Fund werde der Bund-Länder-Kommission als Material für ein mögliches NPD-Verbotsverfahren zur Verfügung gestellt. Jäger schloss nicht aus, dass es nach Auswertung der sichergestellten Daten und Materialien Festnahmen geben könnte.

Den Mitgliedern der verbotenen Gruppierungen ist ab sofort jede Vereinstätigkeit untersagt. Sie dürfen auch keine Ersatzorganisation gründen. „Diese Gruppierung sind gefährlich“, sagte der Innenminister. „Sie bekämpfen unsere Rechtsordnung, zunehmend auch mit Gewalt.“ Mitglieder aller drei Gruppierungen hätten sich offen zum „verbrecherischen Nationalsozialismus“ bekannt - mit allen rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Parolen, die dazu gehören. Auch seien sie immer wieder mit Faustschlägen und Messerstichen gegen politische Gegner vorgegangen, sagte Jäger.

Im Dezember des vergangenen Jahres hatte Jäger ein ehrgeiziges Acht-Punkte-Programm gegen rechts vorgelegt. Dazu gehörte auch die Gründung einer Sonderkommission im Landeskriminalamt gegen Rechtsextremismus. Die Polizeibehörden in Dortmund, Aachen, Wuppertal und Köln bekamen 35 zusätzliche Beamte. Und ab sofort galt die Devise: Um einen Verdächtigen kümmert sich immer der gleiche Ermittler.

Spezielle Datensammlung

Zudem listete das Land rechtsextreme Straftaten in einer gesonderten Statistik auf. Nicht zuletzt diese Datensammlung führte jetzt zum Erfolg. NRW werden den Neonazis „immer weiter auf die Springerstiefel treten“, sagte Jäger. Denn längst seien die Neonazi-Gruppen kein regionales Phänomen mehr. Sie seien bundesweit vernetzt und kooperieren.