Erbgut-Manipulation blockiert biologisch entscheidendes Verhalten bei Mäuseweibchen
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Das Ausschalten nur eines einzigen Gens macht Mäuse zu Rabenmüttern: Sie lecken und säugen dann ihre hilflosen Jungen nicht mehr und holen sie auch nicht zurück, wenn diese aus dem Nest krabbeln. Das hat ein internationales Forscherteam in einem Experiment herausgefunden. Die Wissenschaftler hatten dafür bei Mäusemüttern das Gen ER-Alpha nur in einem kleinen, in Augennähe liegenden Gehirnareal blockiert. Als Folge veränderte sich das Verhalten der Weibchen- aber nur in ganz bestimmten Bereichen: Die Mäuse hätten keinerlei mütterliche Fürsorge mehr gezeigt und auch kaum noch auf sexuelle Avancen durch Männchen reagiert.

"Unsere Studie liefert ein einzigartiges Beispiel dafür, dass die Manipulation nur eines Gens in spezifischen Gehirnzellen biologisch entscheidende Verhaltensweisen ändern kann", schreiben Ana Ribeiro von der Rockefeller University in New York und ihre Kollegen im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences.

Wie die Forscher berichten, gab es schon länger Hinweise darauf, dass ein kleines Hirnareal in der Nähe der Augen entscheidend an vielen wichtigen Verhaltensweisen beteiligt ist. Wird dieses sogenannte präoptische Areal verletzt, führt dies bei Männern häufig zu anormalem Sexualverhalten, bei Frauen zu gestörter mütterlicher Fürsorge. Die zugrundeliegenden Mechanismen dieses Effekts seien aber lange Zeit unklar geblieben, sagen Ribeiro und ihre Kollegen. Inzwischen wisse man aber, dass im präoptischen Areal besonders viele Andockstellen für das Hormon Östrogen liegen. Deshalb habe man untersucht, welche Folgen es habe, wenn man das Gen für die häufigste dieser Andockstellen ausschalte, den Rezeptor ER-Alpha.

Molekül blockiert Mütterlichkeits-Gen

Für ihre Studie hatten die Forscher einen Virus als Genfähre genutzt, um damit ein RNA-Molekül in das Gehirn ausgewachsener Mäuseweibchen einzuschleusen. Das RNA-Molekül verhinderte, dass das ER-Alpha-Gen in den Zellen des präoptischen Areals ausgelesen wurde. Die so behandelten Mäuse bildeten dadurch keine Östrogen-Andockstellen des ER-Alpha-Typs mehr. Das habe deutlich sichtbare Folgen gehabt: "Der Mangel an diesem Rezeptor verringerte bei den Mäuseweibchen die Zeit, die sie mit Lecken und Säugen ihrer Jungen verbrachten um 91 bis 95 Prozent", berichten die Forscher. Fünf von sieben Mäusen brachten ihre Junge auch nicht mehr ins Nest zurück.

Wenn fremde Männchen in ihr Nest eindrangen, hätten die Mäusemütter aber überraschenderweise genauso aggressiv-beschützend reagiert wie nicht manipulierte Kontrolltiere. Das zeige, dass die Blockade des ER-Alpha-Gens im präoptischen Areal nur ganz spezifische Aspekte des Verhaltens beeinflusse, sagen die Wissenschaftler. Neben der mütterlichen Fürsorge gehöre auch das Paarungsverhalten und die Aggression in Konkurrenzsituationen dazu. So wehrten die genmanipulierten Mäuseweibchen paarungswillige Männchen deutlich seltener durch Fußtritte und Schubsen ab als normalerweise. Sie reagierten zudem weniger aggressiv als sonst, wenn ihnen an der Futterstelle ein Artgenosse die Nahrung streitig machte.

Ob eine solche Genblockade beim Menschen ähnliche Auswirkungen haben könnte, dazu äußern sich die Forscher nicht. Sie zitieren allerdings zahlreiche Beispiele dafür, dass das präoptische Areal auch bei uns die mütterliche Fürsorge und das Sexualverhalten beeinflusst. Ob dafür ebenfalls - wie bei den Mäusen - das ER-Alpha-Gen eine entscheidende Rolle spielt, muss aber noch untersucht werden.

(doi:10.1073/pnas.1214094109)
(Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) - NPO)