Gibt es Erinnerung ohne ein Gehirn? Australische Wissenschaftler haben durch Experimente mit einem hirnlosen Schleimpilz eine erstaunliche Antwort auf diese Frage gefunden, fand der Pilz doch den Weg aus einem - wen auch einfachen - Labyrinth.
Hirnloser Schleimpilz
© Tanya Latty, sydney.edu.auDer einzellige und hirnlose Schleimpilz Physarum polycephalum.
Sydney (Australien) - Wie die Forscher um Christopher Reid von der School of Biological Sciences an der University of Sydney aktuell im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) berichten, nutzt der Schleimpilz Physarum polycephalum ausgeschiedene Chemikalien als Erinnerungssystem. Die Wissenschaftler sehen in dem Ergebnis des Navigationstests mit dem Schleimpilz eine Bestätigung jener Theorie, nach der auch die Entstehung und Entwicklung des Erinnerungsvermögens auf ein biologisches Feedback von Chemikalien zurückgeht.

"Wir konnten mit unserem Experimenten zum ersten Mal zeigen, dass ein einzelliger Organismus, der über kein Hirn verfügt, ein externes räumliches Erinnerungssystem nutzt, um durch eine komplexe Umgebung hindurch zu navigieren", erläutert Reid.

Schon zuvor hatten Ergebnisse von Experimenten mit Ameisen gezeigt, dass diese Pheromonspuren zur Orientierung ihrer Artgenossen hinterlassen und damit die bisherige Vorstellung in Frage gestellt, dass die Voraussetzung für erfolgreiche Navigation die Fähigkeit zum Lernen oder ein komplizierte räumliche Wahrnehmung ist. "In unserem Experiment mit dem Schleimpilz sind wir nun noch einen Schritt weiter gegangen und konnten zeigen, dass selbst ein Organismus ohne Nervensystem durch eine komplexe Umgebung navigieren kann und dazu ein ausgelagertes Erinnerungssystem verwendet."

Der Aufbau des Experiment orientierte sich dabei an Aufgaben, die eigentlich für Roboter gedacht waren, die nur auf das Feedback durch ihre unmittelbare direkte Umgebung einen Weg um Hindernisse und bestückt mit Einbahnstraßen finden sollen. Diese sogenannte "reaktive Navigation" erlaubt es entsprechenden Robotern zu navigieren, ohne einer zuvor einprogrammierten Karte zu folgen oder in der Lage zu sein, selbst eine solche Karte anzufertigen.

Während sich Physarum polycephalum auf seiner Futtersuche gleichmäßig ausbreiten, hinterlässt er eine charakteristische dichte, jedoch nahezu durchsichtige Schleimspur, vermeidet aber in seiner Vorwärtsbewegung die erneute Berührung mit dieser eigenen Spur und "erkennt" an ihr jene Orte, an denen er schon zuvor gewesen war und vermeidet diese so erfolgreich.

Vor die Aufgabe einer U-förmigen Falle gestellt, um damit die Navigationsfähigkeit in einer noch komplexeren Umgebung zu testen, fand der Schleimpilz auch erfolgreich wieder aus dem einfachen Labyrinth heraus, in dem er sich von seinem externen Erinnerungssystem leiten ließ.

"Während es in einfachen Umgebungen gar nicht erst notwendig ist, ein ausgelagertes räumliches Erinnerungssystem für eine effektive Navigation zu nutzen, ist dies in komplexen Situationen durchaus von großem Vorteil und erhöht die Chancen des Organismus auf Erfolg - ganz genau so, wie im reaktiven Robotertest". berichten die Wissenschaftler.

Schon 2010 versetzte Physarum polycephalum japanische und britische Wissenschaftler in Erstaunen, als sie dem Pilz Nahrungshäppchen in Form der Haltestellen des sehr effizienten Tokioter S-Bahnnetzwerkes auslegten.

Schleimpilz, S-Bahnnetz Tokio
© Science/ AAASSchleimpilz imitiert das S-Bahnnetz vo Tokio.

Auf Nahrungssuche breitet sich der Pilz auf sehr sparsame Weise zwar in alle Richtungen gleichmäßig aus, doch ist das für den Pilz wertvolle eigene Zellmaterial später hinter der Frontallinie nicht mehr großflächig vorhanden. Stattdessen verbinden hier dann kleine Röhrchen einzelne Nahrungsquellen miteinander, durch die für den Nährstofftransport Zeit eingespart werden kann. Tatsächlich glich das von dem Schleimpilz erstellte Netzwerk dem der Tokioter S-Bahn auf erstaunliche Art und Weise.

Seither wird der Pilz immer wieder zu ähnlich anschaulichen "Intelligenztests" verwendet.


Quelle: sydney.edu.au