Professor Lawrence Lessig kämpft für ein einfaches Urheberrecht. Wie er zwischen kommerzieller und privater Nutzung von Inhalten unterscheiden will, sagt er im Interview.
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© Screenshot Zeit OnlineGangnam-Remix – auf youtube.de nicht zu sehen

ZEIT ONLINE: Bei der Diskussion um Urheberrecht geht es, glaube ich, vor allem um Angst - um die Angst, Geld zu verlieren. Was sagen Sie beispielsweise Verlegern, die fürchten, durch eine Änderung der Struktur des Urheberrechts ihr Geschäftsmodell zu verlieren?

Lawrence Lessig: Beim Urheberrecht ging es ursprünglich nicht um Verlage, es ging um Autoren und Kreative. Ich weiß nicht, ob eine Veränderung der Urheberrechtsmodelle für Verleger bedeuten wird, weniger Geld zu verdienen. Aber das heißt doch nicht, dass das Modell versagt, solange es genug für Künstler und Autoren bringt. Selbstverständlich bedeutet es für Vermittler und Agenten eine Veränderung. Ihre Rolle wird sich ändern, abgeschafft werden sie aber in der Zukunft sicher nicht.

Diese Veränderung ist auch längst im Gange. Früher war derjenige Verleger, dem die Druckerpresse gehörte. Heute haben Verlage keine Druckereien mehr. Was tun sie also? Sie sind zu Agenten der Autoren geworden, die eine gewisse Qualität sicherstellen. Aber dafür brauchen wir Verleger nicht mehr. Wir können Qualität heute anhand anderer Kriterien finden, indem wir beispielsweise im Ranking von Amazon oder Google sehen, was anderen gefiel, indem wir anhand von Zitierungen sehen, was andere genutzt haben - und so die besten Werke finden.

ZEIT ONLINE: Aber selbst Autoren sagen, wir brauchen Verlage, um die Qualität unserer Werke sicherzustellen...

Lessig: ...nun, dann lassen wir doch die Autoren entscheiden. Und wenn die Autoren sich dafür entscheiden, die bisherige Struktur zu unterstützen, dann ist das völlig in Ordnung. Aber meiner Meinung nach ist es die Aufgabe des Urheberrechts, ein Marktversagen im Sinne der Autoren zu verhindern - und nicht im Sinne der Verleger.

ZEIT ONLINE: Aber müssten Sie nicht, um ein solches neues Recht durchzusetzen, zuerst einmal alle Verleger abschaffen?

Lessig: Das habe ich nicht gesagt. Aber ich würde ihnen auch nicht eine ewig währende Unterstützung zukommen lassen.

ZEIT ONLINE: Was ist mit Journalismus, wie passt Journalismus, der ja eine gesellschaftliche Aufgabe hat, in das Bild? Wie kann der finanziert werden?

Lessig: Ich finde die Idee von Subventionen nicht schlecht. Die Post war, nachdem sie in den USA gegründet worden war, viele Jahre lang der größte Posten im Etat der amerikanischen Regierung. Das hatte seinen Grund: Die Post sollte es erleichtern und überhaupt erst möglich machen, dass sich Informationen verbreiten. Es ging darum, freie Rede zu fördern. Und das tat sie. Im Zuge dessen gründeten sich beispielsweise viele Zeitungen.

Historisch gesehen hat die Regierung also schon einmal Informationsverbreitung subventioniert. Und das System ist neutral, es zensiert nicht, welche Inhalte verbreitet werden. Die Sorge, damit staatlichem Einfluss zu unterliegen, ist also unbegründet.

"Eigentum meint teilen, nicht etwas zu behalten"

ZEIT ONLINE: Sie sagen, wir brauchen ein einfaches, effizientes, gezieltes und realistisches Urheberrecht. Können Sie sagen, wie das aussehen soll? Können Sie sagen, wie ein so komplexes und altes Rechtsmodell neu gebaut werden kann?

Lessig: Ich denke, wir sollten damit anfangen, dass ein solches Gesetz zielgenauer wird. Wir leben in einer Welt, in der die simple Nutzung eines Inhaltes bedeutet, dass von ihm eine Kopie erzeugt wird. Das war ursprünglich anders. Nutzung hieß lange Zeit, sich etwas anzuhören oder es zu lesen, aber nicht, es dabei zu kopieren. Wir müssen also darüber nachdenken, wie diese Änderung im Recht fair abgebildet werden kann. Ich habe keine klare Formulierung, aber ich glaube, es sollte zwei Modelle geben: Eines, bei dem die kommerzielle Nutzung eines Inhaltes im Vordergrund steht und das daher dazu verpflichten sollte, dafür zu bezahlen. Und ein zweites Modell, bei dem es nicht um eine kommerzielle Nutzung geht, und bei dem somit auch keine verpflichtende Zahlung eingebaut sein sollte.

Ein Beispiel: Wer Teile eines Werkes nutzt, um sie in einem Remix zu einem neuen Werk zusammenzubauen und sie dann auf YouTube seinen zehntausend Freunden zu zeigen, der sollte dafür nicht zahlen müssen. Und auch Verhandlungen zwischen der Gema und YouTube sollte es in einem solchen Fall nicht geben, da der Preis Null ist. Aber wenn ich ein Buch schreibe und jemand macht daraus einen Film, für den er Eintritt nimmt, dann ist das ein kommerzieller Remix, über dessen Bezahlung er mit mir verhandeln sollte. Wir müssen uns einfach grundsätzlich fragen, in welchen Bereichen es eine Regulierung braucht und in welchen eher nicht.

ZEIT ONLINE: Und wie kann man das eine vom anderen unterscheiden?

Lessig: Es gibt einen Aspekt, der dabei selbstverständlich berücksichtigt werden muss: Wir müssen wissen, wem etwas gehört, wer es geschaffen hat. Es ist oft nicht klar, wer Rechte an einem Werk hält. Doch hat der Kampf der Gema gegen YouTube eine Technologie hervorgebracht, die das Problem lösen könnte. YouTube legt für jeden Song, für jede Datei eine Art digitalen Fingerabdruck an, um sie wiederzuerkennen. Dieser Fingerabdruck könnte auf jede künstlerische Leistung ausgedehnt werden. Dadurch wird ein weltweites automatisches Register aller Werke vorstellbar.

ZEIT ONLINE: Ein solches System käme einer Überwachung gleich. Wie könnte das noch Anonymität zulassen, die ja durchaus eine Funktion hat?

Lessig: Das ist kein Problem. Jeder, der es will, könnte ja eine pseudonyme Identität anlegen, die mit seinen Inhalten verknüpft ist. Es geht doch nur darum, herauszufinden, wer das Recht hat, einen bestimmten Inhalt zu lizenzieren, damit man mit demjenigen Kontakt aufnehmen kann. Ein solches System würde es sehr viel billiger machen als bisher, einen Urheber zu finden.

ZEIT ONLINE: Und wie wäre eine Vergütung dieser Urheber vorstellbar?

Lessig: Derzeit verhalten wir uns paradox: Einerseits wird eine Art Steuer auf Geräte wie Festplatten und Kopierer erhoben, um einen finanziellen Ersatz für die illegale Handlung des Kopierens zu schaffen. Gleichzeitig aber wird versucht, genau das Verhalten zu verbieten, für das man mit seiner Steuer bezahlt hat. Da wäre doch eine Art Flatrate durchaus sinnvoll. Denn sie würde bedeuten, dass Kopieren legal ist, man könnte es einfach tun. Der Inhaber der Rechte dürfte das nicht verbieten, denn er bekäme dafür ja eine Kompensation.

Es wäre also kein Eigentum in dem Sinn, dass man anderen dessen Nutzung untersagen dürfte. Es wäre ein Eigentumsbegriff, der einen Anspruch erwirbt - den Anspruch, für die Nutzung entschädigt zu werden.
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© Neilson Barnard/Getty Images
Rechtsprofessor Lawrence Lessig lehrt an der Harvard Law School. Er ist Gründer des Center for Internet and Society in Stanford und Mitbegründer der Initiative Creative Commons für alternative Verwertungslizenzen.

Der Autor mehrere Bücher und Anhänger der Open-Source- sowie der Free-Software-Bewegung gilt als Gegner des Urheberrechts in seiner heutigen, restriktiven Ausprägung und plädiert immer wieder für eine Anpassung an das digitale Zeitalter.