Im Internet hat sich eine wachsende Szene deutschsprachiger Islamisten entwickelt. Sie verherrlichen den Dschihad und rufen zu Anschlägen in Deutschland auf. Eine Studie warnt vor den Gefahren: Durch die Propaganda im Netz drohe eine neue Generation von Terroristen heranzuwachsen.
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© ImagoDennis Cuspert als Rapper Deso Dogg: Dschihad-Hymnen statt Rap-Songs
Berlin - Als Rapper war Denis Cuspert eine kleine Nummer, als Propagandist für den Dschihad ist er in manchen Kreisen ein Star. Seit 2010 aus dem Berliner HipHopper Deso Dogg der Islamist Abu Malik wurde, hat sich seine Bekanntheit jedenfalls deutlich gesteigert.

Dabei hat sich seit seiner Hinwendung zum salafistischen Islam gar nicht so viel verändert: Cuspert macht Musik und verbreitet sie hauptsächlich übers Internet. Doch statt Rap-Songs mit Titeln wie "Gangxta" und "Ich und mein Baby" veröffentlicht er unter seinem neuen Namen sogenannte Anaschid. Das sind religiöse Lieder, in denen der Dschihad verherrlicht wird. Cusperts Hymnen haben bei radikalen Islamisten in Deutschland Kultstatus. Drei seiner Kampflieder wurden Anfang des Jahres auf Anfrage des Berliner Verfassungsschutzes als jugendgefährdend indiziert.

Der Ex-Rapper ist heute einer der prominentesten deutschsprachigen Dschihad-Propagandisten im Internet. Eine Studie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, die unter anderem die Bundesregierung berät, beschäftigt sich erstmals detailliert mit der Entwicklung der islamistischen Szene im Netz.

Dschihadisten knüpfen an Jugendkultur an

Internationale Terrorgruppen wie al-Qaida erkannten schon frühzeitig die Bedeutung des Internets für die Rekrutierung neuer Anhänger. Doch erst Ende 2005 entstand der deutsche Arm der Globalen Islamischen Medienfront (Gimf), die sich selbst als Sprachrohr aller Dschihadisten weltweit begriff.

Gegründet wurde die deutsche Gimf von Mohamed Mahmoud, einem Österreicher mit ägyptischen Wurzeln. Neben Cuspert ist Mahmoud bis heute eine der schillerndsten Figuren der deutschen Islamistenszene. Als Mahmoud 2005 begann, Propaganda von al-Qaida im Internet zu verbreiten, geriet er schnell ins Visier der Behörden. Nachdem die Gimf im März 2007 in einem Video mit Anschlägen in Deutschland und Österreich gedroht hatte, wurden Mahmoud und seine Frau verhaftet. Er hatte das Video nämlich von seinem eigenen Computer aus ins Netz gestellt, so dass die österreichischen Behörden lediglich die Verbindung zwischen Mahmoud und der IP-Adresse des Rechners herstellen mussten.

Nach seiner Freilassung im September vergangenen Jahres zog Mahmoud schnell zu seinem neuen Kompagnon Cuspert nach Berlin. Gemeinsam gingen beide bald darauf nach Solingen, wo Mahmoud die dortige Millatu-Ibrahim-Moschee zu einem bundesweit bekannten Treffpunkt für Salafisten machte.

Doch weitaus wichtiger als die Moschee blieb das Internet. Die Seiten, die von Mahmoud, Cuspert und Unterstützern betrieben werden, sind aufwendig gestaltet: "Besonders bemerkenswert sind das hohe Maß an technischer Professionalität und die gezielte Nutzung von Elementen aktueller Jugendkultur", urteilt die am Mittwoch erschienene SWP-Studie. Die Inhaftierung der Verantwortlichen und die Schließung der Webseiten könnten den wachsenden Zulauf der Salafisten in Deutschland kaum bremsen. Im Gegenteil: Mahmoud habe sich erst durch seine Zeit im Gefängnis "zu einem Star der Szene entwickelt". Und obwohl nach dem Verbot der Gruppierung Millatu Ibrahim im Juni dieses Jahres auch die dazugehörige Webseite geschlossen wurde, tauchten schon bald neue Blogs und Portale auf, über die sie ihre Botschaft verbreiteten.

Genau darauf sind Mahmoud, Cuspert und Co. auch angewiesen, wenn sie mit ihren Anhängern in Deutschland Kontakt halten wollen. Denn nach dem Millatu-Ibrahim-Verbot und dem wachsenden Verfolgungsdruck der Polizei auf die Salafisten infolge der blutigen Zusammenstöße bei einer Kundgebung in Köln, sind Mahmoud und Cuspert mit zahlreichen anderen Szenegrößen abgetaucht und haben sich mutmaßlich nach Ägypten abgesetzt. Im September meldete sich Cuspert noch einmal zu Wort und drohte mit Anschlägen in Deutschland. "Ihr setzt Millionen und Milliarden ein für den Krieg gegen den Islam", sagte er in einem Video. "Und deshalb ist dieses Land hier, die Bundesrepublik Deutschland, ein Kriegsgebiet."

Internet ermöglicht "führerlosen Dschihad"

Die deutschen Behörden nehmen die Gefahr, die von dschihadistischer Propaganda im Internet ausgeht, sehr ernst - erst recht seit dem Fall Arid U. Der junge Mann aus Frankfurt am Main hatte nie physischen Kontakt zu bekannten Dschihadisten und radikalisierte sich ausschließlich über das Internet. Neben YouTube-Videos von angeblichen und tatsächlichen Verbrechen der US-Armee in Irak und Afghanistan sollen dabei besagte Anaschid eine wichtige Rolle gespielt haben. Im März 2011 tötete er am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten.

U. gilt als Musterbeispiel für den sogenannten "führerlosen Dschihad". Diese Militanten reisen nicht in terroristische Ausbildungslager nach Pakistan und Afghanistan, erhalten keine direkten Anweisungen von Qaida-Führern, sondern handeln, inspiriert von dschihadistischen Internetseiten, auf eigene Faust.

Für die Behörden bietet die Propaganda im Netz gleichermaßen Chancen und Risiken. Einerseits "können sie Netzwerke von Sympathisanten aufspüren und einzelne von ihnen sogar physisch orten", so die SWP-Studie. Außerdem bietet sich Geheimdiensten die Gelegenheit, in der Anonymität der Internetforen gezielte Falschinformationen zu streuen oder Insiderkenntnisse abzuschöpfen. Doch all dies bindet viel Personal. Und jede gelöschte Seite taucht nur wenig später in ähnlicher Form wieder auf.

Bislang endeten die Anschläge "führerloser Dschihadisten" vergleichsweise glimpflich, da die Attentäter eben nicht in Lagern militanter islamistischer Bewegungen ausgebildet worden waren. Doch Guido Steinberg, Herausgeber der SWP-Studie, warnt: "Es ist davon auszugehen, dass auch die Dschihadisten ihre Lehren aus Anschlägen wie denen des Norwegers Anders Breivik oder des Nationalsozialistischen Untergrunds ziehen und künftig effektiver vorgehen werden."