Im Kampf um die Wale rüsten militante Tierschützer auf: Mit Drohnen, Schnellbooten und Helikoptern sind sie schlagkräftig wie nie. Die japanische Regierung spricht von Öko-Terror.
Der radikale Umweltschützer Paul Watson und seine Organisation Sea Shepherd haben der japanischen Regierung im Konflikt um den Walfang im antarktischen Eismeer einen Streich gespielt: Die Meeresschützer haben ein neues Schiff für ihre Protestflotte gekauft - ihre Wahl fiel dabei ausgerechnet auf ein Schiff, dass zuvor in den Diensten eines staatlich-japanischen Forschungsinstitutes den Walfängern im Pazifik zuarbeitete.

Die von dem Kanadier Watson gegründete Organisation nutzte Mittelsmänner und eine US-Scheinfirma, um die "Seifu Maru" für gut zwei Millionen Dollar vom staatlichen japanischen meteorologischen Institut Maizuru zu kaufen.

Das Institut hatte das Schiff im Frühjahr 2010 nach nur 17 Jahren Betrieb außer Dienst gestellt, seitdem lag es - ausgerechnet - im japanischen Hafen Shimonoseki, in dem auch die japanische Walfangflotte ihre Heimat hat. Die Japaner brachten das Schiff sogar selbst nach Australien, wo Sea Shepherd es prompt auf eine australische Registrierung umflaggte, am vergangenen Wochenende im tasmanischen Hafen Hobart enthüllte und auf den Namen "Sam Simon" umtaufte. Der Namensgeber Simon ist der erfolgreiche US-Produzent und Mitbegründer der Erfolgsserie "Die Simpsons", er hatte das Geld für den Erwerb der "Seifu Maru" gespendet.

Protestflotte mit Piratenflaggen

Der Neuzugang in der Protestflotte mit den charakteristischen Piratenflaggen dürfte für die japanischen Walfang-Organisatoren des staatlich finanzierten Institute of Cetacean Research (ICR) eine herbe Überraschung sein. Denn mit der "Seifu Maru" gelangen die Umweltschützer um den 62-jährigen Veteran Watson erstmals in den Besitz eines relativ neuen, eisfahrtfähigen und zugleich schnellen Schiffs hoher Reichweite.

Die "Seifu Maru" wurde erst 1993 von der IHI-Werft in Tokio gebaut, um mit den japanischen Walfängern mithalten zu können; sie läuft über 16 Knoten schnell und ist mit 56 Meter Länge fast gleich groß wie die Walfangboote. Um im Eismeer zusätzliche Verwirrung stiften zu können, haben die Umweltschützer das Schiff im Farbschema der Walfangflotte - weiß mit schwarzen Schornsteinen - gestrichen, sogar der Schriftzug "Research" auf dem Aufbau ist gleich.

Der umstrittene Sea-Shepherd-Chef Watson war im Mai 2012 von deutschen Grenzschützern am Flughafen Frankfurt festgesetzt worden, da Costa Rica ihn per Interpol-Fahndung suchte: Angeblich hatte Watson im Jahr 2002 dort die Crew eines Fischerboots gefährdet. Watson war auf Kaution freigelassen worden und daraufhin im Sommer außer Landes geflüchtet - nun steht er trotz Interpol-Fahndung auf Betreiben von Japan und Costa Rica am Steuer seines Flaggschiffs "Steve Irvin", da Australien den Fahndungsaufruf anscheinend ignoriert.

Die Inszenierung des Walfangkrieges

Watson bedient mit seinen Protestaktionen geschickt ein weltweites Publikum mit spektakulären Bildern: Seit 2008 dokumentiert der US-Sender National Geographic mit seiner Serie "Whale Wars" das Treiben fürs Fernsehen, seitdem ist das Spendenaufkommen für Sea Shepherd sprunghaft gestiegen. Auch der preisgekrönte Film "Shark Waters" zeigte Sea Shepherds Aktionen gegen die illegale Befischung der Meere einem Millionenpublikum. Watson selbst wirft anderen Umweltschutzorganisationen vor, nicht radikal genug vorzugehen - die wiederum lehnen seine Methoden ab.

Mit dem Start der Sea-Shepherd-Kampagne am 5. Dezember dürfte das antarktische Eismeer jetzt wieder Schauplatz einer Seeschlacht zwischen den Umweltschützern und den Walfängern werden. Die Jagdsaison der Japaner beginnt Anfang Dezember im antarktischen Sommer und dauert je nach Erfolg bis ins Frühjahr an.

Sea Shepherd ist - anders als die Organisation Greenpeace, die seit dem Jahr 2008 nicht mehr selbst vor Ort im Eismeer gegen die Walfänger aktiv war - für seine rauen Methoden bekannt: Die Aktivisten scheuen nicht davor zurück, die gegnerischen Schiffe zu rammen oder abzudrängen, ihnen Leinen in die Propeller zu ziehen oder sie mit Stinkbomben zu bewerfen.

Von billigen PR-Stunts zu professionellen Mitteln

Mit ihrem Guerilla-Ansatz auf hoher See sind sie die schwarzen Schafe der traditionell eher friedlich orientierten internationalen Umweltschutzbewegung, erreichen dafür aber relativ effektiv ihre Ziele: Die japanische Walfangflotte schaffte in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben teils nur einen Bruchteil der selbst vorgegebenen Fangquote und schreibt hohe Verluste.

Erst 2011 wurden Hilfsgelder aus dem Erdbebenhilfsfonds von Fukushima für die Erhaltung der Flotte zweckentfremdet. Deswegen greifen auch die Japaner zu immer raueren Methoden: Im Januar 2010 versenkten sie die "Ady Gil", ein Schiff der Protestflotte, durch Rammen im Eismeer.

Beide Seiten rüsten seit Jahren weiter auf: Die Japaner setzen Sicherungsschiffe und Beamte der eigenen Küstenwache weit außerhalb ihrer Hoheitsgewässer ein. Auch Sea Shepherd, Anfang des Jahrtausends noch vor allem für PR-Stunts mit rostigen Uralt-Schiffen bekannt, eignet sich seit einigen Jahren immer professionellere Mittel an. Sie sind so schlagkräftig wie die Marine eines kleinen Landes: In diesem Jahr wollen über 120 Aktivisten mit vier Schiffen, Schnellbooten, einem schiffsgestützten Helikopter sowie mehreren Überwachungsdronen einen Guerillakrieg gegen die Walfänger im Eismeer eröffnen.

Japanische Regierung spricht von Ökoterrorismus

Die japanische Regierung wirft den Umweltschützern um Watson Ökoterrorismus vor, Sea Shepherd wiederum beruft sich auf internationale Abkommen zum Schutz der Wale. Die australische Regierung, deren antarktischer Hinterhof der Schauplatz des Walfangkonflikts ist, ruft beide Seiten Jahr für Jahr zur Besonnenheit auf und entsandte Beobachtungsschiffe. Sie hat den Japanern mehrfach untersagt, den Walfang in von Australien ausgeschriebenen Schutzzonen zu betreiben, und den Japanern in den vergangenen Jahren das Anlaufen australischer Häfen für Auftankoperationen verboten.

Die Japaner rechtfertigen ihren Walfang mittels eines Schlupflochs im Abkommen zum Artenschutz der Meeressäuger: Sie wollen pro Jahr bis zu 1000 Wale offiziell allein zu Forschungszwecken fangen, was erlaubt ist. Dennoch landet das Walfleisch anschließend zum Verkauf in japanischen Lagerhäusern. Das jedoch ist wenig profitabel.

Da Walfleisch aufgrund der Meeresverschmutzung mit Schwermetallen hoch belastet und gesundheitsschädlich ist, lehnt die überwiegende Mehrheit der japanischen Bevölkerung es ab, Walfleisch zu essen. Japans Regierung will die aussterbende Industrie weiter stützen. Japans Fischereiminister sagt: Der Walfang entspricht den "Traditionen und Überzeugungen unseres Landes".

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