Im Jahr 2012 sind 29.000 Hartz-IV-Klagen beim Sozialgericht in Berlin eingegangen. Die Zahl der Richter wurde bereits verdoppelt. Doch das Gericht kommt nicht hinterher.
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© Johannes Eisele/dpaAkten für einen Fall von ALG II
Die Anzahl der Hartz-IV-Klagen an Deutschlands größtem Sozialgericht in Berlin nimmt weiter zu. "Wir sind ein effizient arbeitendes Gericht, doch die Flut an Hartz-IV-Klagen ebbt nicht wesentlich ab", sagte Richter Marcus Howe in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Bis Ende Dezember werde in diesem Jahr mit etwa 29.000 Klagen zur Arbeitsmarktreform gerechnet. 2011 waren es ebenso viele. "Wir müssten das Gericht für ein Jahr schließen, um die Klagen abzuarbeiten."

Viele Betroffene wandten sich wegen fehlerhafter Bescheide oder Untätigkeit der Jobcenter an das Gericht - etwa, wenn Anträge nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurden. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) legte nun gemeinsam mit der Agentur für Arbeit sowie Gerichten ein Programm vor, mit dem die Hartz-IV-Klagen in den nächsten zwei Jahren um ein Viertel gesenkt werden sollen.

"Das ist ein ambitioniertes Ziel", sagt Richter Howe. Die Jobcenter hätten aber erkannt, wie wichtig Gespräche mit den Betroffenen seien. Aus Sicht des Sozialgerichts wären viele Klagen vermeidbar, wenn es in den Jobcentern weniger Bürokratie und mehr Zeit für den Einzelfall gäbe.

Seit der Arbeitsmarktreform im Jahr 2005 gingen laut Howe am Sozialgericht der Hauptstadt bis heute mehr als 160.000 Verfahren allein zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Sozialgesetzbuch II) ein. Den Höchststand habe es 2010 mit 30.400 Klagen gegen Entscheidungen der Jobcenter gegeben.

Zahl der Richter hat sich verdoppelt

Die Zahl der Richter habe sich seit 2005 mehr als verdoppelt. Derzeit bearbeiteten 70 Richter ausschließlich Hartz-IV-Klagen, die Verfahren dauerten durchschnittlich nicht länger als zehn Monate. "Hier geht es oft um die Sicherung der Existenz, das hat Vorrang", sagt Howe. Jedoch könnten sich dadurch andere Verfahren etwa zu Renten verzögern. "Wir sind aber stolz, dass jeder Hartz-IV-Richter mehr als 450 Fälle im Jahr erledigt - das ist bundesweit Spitze", so Howe.

Viel Streit habe es bislang um die Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose gegeben. Gesetzlich geregelt ist, dass Mieten vom Jobcenter getragen werden, solange sie angemessen sind. "Genau das war der Punkt, der unterschiedlich ausgelegt wurde." Der rot-schwarze Senat habe aber Klarheit geschaffen und Mitte des Jahres eine Verordnung mit Mietobergrenzen erlassen.

Die Länder dürfen laut Howe aber erst seit Kurzem klarstellende Ergänzungen zu einzelnen Punkten des Bundesgesetzes beschließen. "Am Berliner Sozialgericht macht sich die Neuregelung erst allmählich bemerkbar - wir hoffen aber, dass es bald weniger Klagen zu Mieten geben wird", sagt Howe.

Komplizierte Berechnungen

Häufiger Konfliktpunkt sei derzeit, wie das Einkommen von Selbstständigen auf Hartz IV angerechnet werden soll. Geklagt werde auch von sogenannten Aufstockern, die arbeiten gehen, aber wenig verdienen und staatliche Leistungen dazubekommen. "Die Berechnung ist kompliziert und ziemlich fehleranfällig." Vier von fünf Fällen werden aber ohne Urteil einvernehmlich gelöst.

Zu den Hartz IV-Gesetzen gab es laut Gericht seit der Einführung schon mehr als 50 Änderungen. Die bundesweit rund sechs Millionen Empfänger von Hartz IV-Leistungen bekommen ab 2013 monatlich fünf bis acht Euro mehr. Der Regelsatz für einen Single steigt von 374 auf 382 Euro.

dpa