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Erstmals spricht Nordkorea von einem atomaren Erstschlag gegen die USA. Eine verbal überzogene Trotzreaktion auf verschärfte Sanktionen? Nein, sagen Nordkorea-Experten. Es steckt mehr dahinter.

Die Uno hat heute gegen Nordkorea einige der schärfsten Sanktionen beschlossen, «die die UN je erlassen haben», wie die Uno-Botschafterin der USA, Susan Rice, anfangs Woche sagte. Die Strafmassnahmen bestehen aus Reiseverboten für nordkoreanische Diplomaten und Kontosperrungen. Selbst China, Nordkoreas traditioneller Verbündeter, macht mit. Dass das Pjöngjang nicht passt, ist klar: Jetzt lässt Kim Jong - Un die Muskeln spielen und droht Washington mit einem «präventiven Atomschlag».

Nicht nur Trotzreaktion

Zwar dürfte Nordkorea nicht die technischen Mittel haben, um diese Drohung wahrzumachen. Denn trotz der neusten Raketen- und Atombombentests wird angenommen, dass die Nuklearsprengköpfe Nordkoreas noch nicht klein und leicht genug sind, um eine Rakete mit Reichweite bis in die USA zu bestücken.

Und doch: Kim-Jong-Uns Drohungen sollte man nicht einfach als verbal überzogene Trotzreaktion abtun. «Die Situation ist derzeit extrem unangenehm», sagt Nordkorea-Experte Rüdiger Frank. «Zum einen ist Nordkorea das Land, das in den letzten zehn Monaten drei Atom- und Raketentests durchgeführt hat. Es verfügt über ein hochgerüstetes Militär. Und es hat einen neuen Führer, der sehr schwer einzuschätzen ist.»

«Es gibt Grund zur Sorge»

Tatsächlich sorgte der junge Kim Jong-Un seit seiner Machtübernahme für einige Überraschungen: Er nahm radikale Personalrochaden vor, legte den militärischen Schnellgang ein oder präsentierte sich in aller Öffentlichkeit mit einer Frau an seiner Seite. «In all diesen Dingen liegt eine Dynamik, von der wir nicht verstehen, woher sie kommt», so Experte Frank, der das Land regelmässig besucht. «Entsprechend schwer lässt sich die Lage einschätzen. Ich denke, es gibt Grund zur Sorge.»

Der Nordkorea-Fachmann warnt davor, das Land gerade jetzt zu unterschätzen. Vor seiner Haustür halten derzeit 10'000 US-amerikanische und 200'000 südkoreanische Soldaten ein Mega-Manöver ab - für Pjöngjang eine riesige Provokation. Frank: «So kann es schnell passieren, dass eines zum anderen führt und die Lage endgültig eskaliert. Ich bin jedenfalls besorgt.»

Nordkorea mit ganz anderer Sicht

Nicht nur für Rüdiger Frank, auch für den Nordkorea-Experten Werner Pfennig ist klar: Nordkorea fühlt sich ungerecht behandelt. «Aus der nordkoreanischen Sicht ist der Bau einer Rakte ein souveränes Recht. Dazu kommt, dass sich Kim Jong-Un für nordkoreanische Verhältnisse sehr offen gab. Er kündigte die Tests an und erlaubte Führungen im Kontrollzentrum», so Pfennig. Zudem habe Nordkorea versichert, dass die Raketentests der zivilen Nutzung dienten. Niemand glaubte dies. Später legten aus dem Meer herausgefischte Trümmer wirklich auf einen nichtmilitärischen Nutzen des Raketentests vom Februar nahe.

Beide Experten verweisen auch auf Kim Jong-Uns symbolhafte Neujahrsansprache mit ihren selbstkritischen und versöhnlichen Tönen. «Das war eine generöse Geste», so Frank. «Aber niemand ging darauf ein. Die Antwort war stattdessen, das jetzt an der Grenze Nordkoreas stattfindende Seemanöver Südkoreas und der USA. Aus der Sicht Nordkoreas stellt das klar eine Bedrohung dar.»

Die Uno-Sanktionen seien weniger Grund für die Reaktion Nordkoreas - «daran hat sich das Land längst gewöhnt», meint Frank. Was aber aus nordkoreanischer Sicht irritiere, sei die Resolution gegen das Land. Frank: «Für Nordkorea ist das insofern eine Provokation, als dass der Koreakrieg vor 60 Jahren ebenfalls wegen einer Resolution des UN-Sicherheitsrates eskalierte: Das weckt ganz schlechte Erinnerungen in Pjöngjang und provoziert noch mehr.»

Auch Experte Pfennig schätzt die Lage als ernst ein. Aber er gibt auch zu bedenken: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Nordkorea mit einem Schlag gegen die USA sein geringes Atompotential verpulvern würde. Immerhin müsste es mit einem massiven Gegenschlag rechnen.