Paradies für Steuerhinterzieher, Waschsalon für russisches Schwarzgeld, Spielwiese für dekadente Milliardäre: Folgt man den EU-Bürokraten und den Mainstreammedien, dann ist die Finanzkrise auf Zypern die gerechte Strafe für unbotmäßiges Verhalten. Doch dahinter steckt viel mehr: milliardenschwere Gasgeschäfte, die geopolitische Macht im östlichen Mittelmeer und die Interessen der Türkei.
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Der gelernte Banker Vassos Shiarly war schon im Ruhestand, als ihn im März vergangenen Jahres ausgerechnet ein bekennender Kommunist um Hilfe bat: Dimitris Christofias, Staats- und Ministerpräsident der Mittelmeer-Republik Zypern, suchte nach einem Retter in höchster Not. Das drittkleinste EU-Mitgliedsland steht nämlich seit vielen Monaten vor der Pleite. Shiarly folgte seiner patriotischen Gesinnung und übernahm das Amt des Finanzministers - ohne einen Cent Gehalt, wie er ausdrücklich betont. Schließlich habe der Präsident jemanden gesucht, der zumindest die Grundlagen des Finanzwesens verstehe, sagte der Minister jüngst in einem Interview. Soll wohl heißen: Allzu viel ökonomischer Sachverstand ist in der kommunistischen Regierungspartei AKEL offenkundig nicht vorhanden.

Vassos Shiarly arbeitete früher für die Bank of Cyprus, die vermutlich bald mit EU-Hilfsmitteln rekapitalisiert werden muss. Manche nennen ihn daher einen Bock, der zum Gärtner bestellt worden sei. Er selbst bestreitet Interessenskonflikte energisch und nimmt an den Verhandlungen der Regierung mit der so genannten Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF nicht teil. Wie dem auch sei, jedenfalls ist der Minister um sein Amt nicht zu beneiden.

Lange Zeit wurden die Riesenprobleme Zyperns gezielt kleingeredet. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble bezweifelte sogar die »Systemrelevanz«. Im Klartext: Ein Land wie Zypern, das nur mit knapp 0,2 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone beiträgt, kann eigentlich gar nicht gefährlich werden.

Doch die Schwierigkeiten der nach wie vor geteilten Insel sind viel größer als die absoluten Zahlen vermuten lassen. Vor allem droht die Republik zum Spielball geopolitischer Interessen zu werden. Es geht um milliardenschwere Gasgeschäfte, es geht um die Macht der NATO im östlichen Mittelmeer, und es geht nicht zuletzt um die Interessen der Türkei, die nach dem Willen Brüssels schon bald in die EU integriert werden soll.

Doch diese Themen spielen keine Rolle, wenn Politiker und Mainstreammedien den Problemfall Zypern diskutieren. Dann ist meist die Rede von einem Steuerparadies, wo Unternehmen nur eine zehnprozentige Steuer zahlten, und vor allem vom »Geldwaschsalon« für russische Milliardäre, die ihr Schwarzgeld auf zyprischen Konten geparkt hätten.

Unbestritten hat sich die Schuldenkrise auf Zypern, das im Jahr 2008 den Euro einführte, dramatisch zugespitzt. Nach inoffiziellen Schätzungen braucht das Land Hilfsmittel von mindestens 17,5 Milliarden Euro, um einen Staatsbankrott und einen Kollaps der Banken zu verhindern. Das entspricht beinahe dem gesamten Bruttoinlandsprodukt der Insel. Für die Euro-Retter, die mittlerweile mit Billionen jonglieren, mag dieser Betrag sehr überschaubar anmuten. Dass aber ein Euro-Land Hilfsmittel im Umfang seiner gesamten Wirtschaftsleistung braucht, ist neu und stellt einen weiteren Rekord dar.

Zypern trägt - kein Zweifel - einen Großteil an Verantwortung für diese Misere. In den vergangenen Jahren wurde der Finanzsektor des Landes massiv ausgebaut. Die Vermögenswerte der Banken übersteigen das Bruttoinlandsprodukt Zyperns um mehr als das Siebenfache. Jahrelang lebte die Insel gut von Bankern und Touristen, vor allem von den ausgabefreudigen Russen. Ähnlich wie in Griechenland bauten die Parteien das Staatswesen massiv aus, um Parteibuch-Soldaten gut dotierte Jobs zu verschaffen.


Dennoch: Höchstwahrscheinlich wäre Zypern die Pleite erspart geblieben, hätte Brüssel nicht die Devise ausgegeben, Griechenland zu retten, koste es, was es wolle. Die zyprischen Banken mussten einen hohen Preis zahlen. »Durch den Schuldenschnitt hat Griechenland de facto Geld geschenkt bekommen«, schimpft Finanzminister Vassos Shiarly, der in diesem Zusammenhang von einem Riesenfehler spricht. Die traditionell eng mit Griechenland verbundenen zyprischen Banken verloren durch den Schuldenschnitt etwa 4,5 Milliarden Euro, das entspricht etwa einem Viertel des zyprischen Bruttoinlandsprodukts. Nun brauchen der Staat und die Banken dringend finanzielle Hilfen. Dadurch wird der Schuldenstand Zyperns, der aktuell nicht höher ist als der deutsche, auf mindestens 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, manche sagen sogar 160 Prozent voraus.

Gerade die deutsche Regierung zögerte aber in den vergangenen Wochen, der angeschlagenen Inselrepublik unter die Arme zu greifen. Das Hauptargument: Man dürfe einen russischen »Geldwaschsalon« nicht mit Steuergeldern retten. Gern wird in diesem Zusammenhang auf einen BND-Bericht verwiesen, in dem Zypern als Einfallstor für Geldwäscheaktivitäten in der EU bezeichnet wird.

Diplomatische Kreise kritisieren diesen Bericht aber als reine Stümperei. Um sich nicht zu blamieren, haben die deutschen Behörden diese Dokumente bislang nicht einmal an die zyprische Regierung weitergeleitet.

Was ist also Dichtung und was Wahrheit? Tatsächlich gibt es auf Zypern eine große russische Gemeinde. Allein in der Hafenstadt Limassol leben mehr als 20.000 Russen. Man mag die protzigen Attitüden neureicher Russen nicht unbedingt sympathisch finden, aber für die Krise auf der Mittelmeerinsel sind sie nicht verantwortlich zu machen. Schon seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1960 durch das Abkommen von Zürich pflegt Zypern gute Beziehungen zu Moskau. Der 1974 gestürzte Präsident Makarios wurde häufig als »roter Erzbischof« verspottet.

Doch sind die Insel und deren Banken tatsächlich in russischer Hand? Die Regierung in Nikosia bestreitet nicht, dass Russen Geld nach Zypern bringen und dort investieren. Dennoch sind die Guthaben russischer Oligarchen auf Londoner Konten ungleich höher als bei zyprischen Banken.

Der Vorwurf der Geldwäsche soll von den eigentlichen Motiven ablenken, die hinter der zögerlichen Haltung der Europäer stehen. Es geht um die riesigen Gasvorkommen vor Zypern. Laut einer Studie der Royal Bank of Scotland befinden sich dort unerschlossene Gasreserven im Wert von über 600 Milliarden Euro. Schon ab 2019 könnte Zypern mit der Gasförderung beginnen. Brüssel fürchtet, der Gazprom-Konzern könnte sich das Gas aus Zypern sichern und die Europäer noch abhängiger machen von Energie aus Russland. So kann es nicht verwundern, dass Moskau das klamme Zypern schon einmal mit 2,5 Milliarden Euro stützte und weitere fünf Milliarden in Aussicht stellte.

Zudem wird Zypern zum Gegenstand geopolitischer Ränkespiele. Die NATO-Staaten wollen offenbar mit allen Mitteln verhindern, dass Russland auf der Insel vor dem politisch brisanten Nahen Osten einen Flottenstützpunkt erhält, falls Moskau seinen Mittelmeerhafen in Syrien verlieren sollte.

Aus diplomatischen Kreisen verlautet ferner, Brüssel wolle Nikosia unter Druck setzen, seinen Widerstand gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit der Türkei aufzugeben. Weil der Norden der Insel nach wie vor von den Türken besetzt ist, gehören die Zyprioten eher zu den Bremsern in der Frage einer türkischen EU-Mitgliedschaft.

Es ist daher zu vermuten, dass die Gewährung von Hilfen für Zypern von handfesten geopolitischen Zusagen abhängig gemacht wird. Erst einmal wollen Berlin und Brüssel ohnehin die Präsidentschaftswahlen am 17. Februar abwarten. Von dem möglichen Wahlsieger Nicos Anastasiades, den Angela Merkel unverhohlen unterstützt, erhofft sich die EU einen willfährigen Partner. Doch Moskau wird sicher nicht nur zahlen - und zuschauen.