Möglicherweise erscheint vielen das immer stärker um sich greifende Aufzeichnen von Telefongesprächen und E-Mails als nicht weiter besorgniserregend, aber hier lohnt sich genaueres Nachdenken. Das Maß der öffentlichen Besorgnis gegenüber Überwachungsmaßnahmen hinkt jedenfalls den tatsächlichen Gefahren dermaßen hinterher, dass jetzt zwei wichtige Organisationen »Einführungen« zu den Überwachungsprogrammen der Regierung in Washington veröffentlicht haben.
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Sowohl die Organisation Pro Publica für investigativen Journalismus als auch die Electronic Frontier Foundation (EFF), die sich für Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre einsetzt, haben in dieser Woche ausführliche Ratgeber herausgegeben, in denen sie darlegen, was die amerikanische Regierung in Sachen Ausspähung der eigenen Bürger darf und was nicht. Dabei werten sie eine ganze Reihe eigenartig formulierter gesetzlicher Vorschriften zum Abhören aus, die derzeit Rechtskraft besitzen.

Die EFF gehört seit Langem zu den deutlichsten Kritikern der ständigen Ausweitung des Überwachungsstaates und veröffentlichte am vergangenen Donnerstag unter der Überschrift "Überwachung ohne richterlichen Beschluss 101: Vorstellung des neuen EFF-Ratgebers zur Bespitzelung durch die National Security Agency (NSA) im Inland" eine entsprechende Informationssammlung. Zwei Tage zuvor hatte die unabhängige Journalistenvereinigung Pro Publica ihre eigene Analyse mit dem Titel "Kein richterlicher Beschluss, kein Problem: Wie die Regierung trotzdem an Ihre digitalen Daten kommt" vorgelegt.

Auch wenn beide Ausführungen die wichtigsten Etappen der Überwachung durch Bundesbehörden nachzeichnen und dabei bis zu den Anfängen der Vereinigten Staaten zurückgehen, ist es keineswegs ein Zufall, dass diese beiden Organisationen gerade jetzt über die Spionageprogramme der Regierung aufklären. In den vergangenen Monaten hatte der Kongress über zahlreiche Gesetzentwürfe diskutiert, die verschiedene Formen der Überwachung ermöglichen sollen, und es wird erwartet, dass sowohl der Senat als auch das Repräsentantenhaus in Kürze darüber beraten und entscheiden werden.

Pro Publica weist darauf hin, dass der Senat in der vergangenen Woche »einen Schritt zur Fortschreibung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre bei E-Mails unternahm«, als er eine Anpassung des Gesetzes zu elektronischer Kommunikation und Datenschutz (Electronic Communications and Privacy Act, ECPA) aus dem Jahr 1986 verabschiedete, der die Strafverfolgungsbehörden dazu verpflichtet, einen richterlichen Beschluss einzuholen, bevor sie E-Mails auswerten dürfen, die älter als 180 Tage sind. Pro Publica geht aber davon aus, dass der Kongress dieses Gesetz erst einmal links liegen lassen wird und lieber darangeht, Gesetze zu verabschieden, die dem Staat scheinbar uneingeschränkten Zugriff auf Daten einräumen.

»In der Zwischenzeit kann man sich hier darüber informieren, wie die Polizei Sie bereits heute ohne richterlichen Beschluss ausspionieren kann«, heißt es auf der Pro Publica-Internetseite. Im Anschluss erläutert die Organisation dann ausführlich, auf welcher Rechtsgrundlage sich Polizisten richterliche Beschlüsse beschaffen und wie die gesetzlichen Vorschriften ihre Verwendung regeln.

»Es ist der amerikanischen Regierung untersagt, amerikanische Staatsbürger ohne richterlichen Beschluss abzuhören. Es gibt aber zahlreiche legale Möglichkeiten für Strafverfolgungsbehörden vom Sheriff vor Ort bis zum FBI, trotzdem die digitalen Spuren, die man alltäglich hinterlässt, auswerten zu können«, heißt es dort weiter.

Gespeicherte Telefondaten und Daten zu Aufenthaltsorten, IP-Adressen, E-Mails, Textmitteilungen und die Daten in so genannten »Clouds« (internetbasierten Speicher- und Serverdiensten) - alle diese Informationen können von der Regierung gesammelt werden, warnt Pro Publica, und viele dieser Daten können einfach auf der Grundlage einer formlosen richterlichen Anordnung oder anderer einfach zu erhaltender Vordrucke eingesehen werden. »Die Behörden sind oft in der Lage, mit einer einfachen Vorladung Zugriff auf E-Mails oder Texte von Google oder AT&T zu erhalten. In aller Regel wird der Betroffene nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt«, warnt die Organisation.

Die EFF legt ihrerseits nicht nur genau dar, wer diese Abhörmaßnahmen anordnen kann und wie leicht das im allgemeinen ist, sondern geht ausführlich auf die Geschichte der NSA und die Vielzahl der Skandale ein, in die diese Behörde im Zusammenhang mit der Inlandsüberwachung, die bis in die Kindertage der NSA unter der Präsidentschaft Trumans zurückreicht, verwickelt war. »Die Regierung behauptet zwar, die berüchtigten Programme der NSA seien so geheim, dass man nicht gegen sie klagen könnte, aber tatsächlich sind sie kein Geheimnis. Wir haben die zahlreichen Informationen, die seit ihrer ersten Enthüllung in der New York Times 2005 allgemein bekannt sind, gesammelt und geordnet«, erläutert die EFF. »Dazu gehören eidliche Aussagen eines ›Whistleblowers‹[*] des Telekommunikationsunternehmens AT&T und dreier anderer ›Whistleblower‹ aus der NSA, beeidete Aussagen vor dem Kongress, Ermittlungen von Generalinspekteuren der Regierung und Berichte größerer Medienorganisationen, die sich auf hochrangige Quellen stützen, sowie öffentliche Eingeständnisse von Regierungsvertretern .«

Um denjenigen, die versuchen, sich ein Bild von den Überwachungsmaßnahmen der NSA zu machen, eine realitätsnahe Darstellung zu liefern, und auch, weil die EFF noch in diesem Monat einem wichtigen Gerichtstermin entgegensieht, veröffentlichte sie eine Zeitachse zur Inlandsüberwachung der NSA, eine Erläuterung der Art und Weise, wie die NSA die Spionageoperationen durchführt, eine geschichtliche Darstellung und Einordnung des umstrittenen Schutzes angeblicher Staatsgeheimnisse, des so genannten »State Secrets Privilege«, und eine Analyse der Methoden, mit denen die Regierung versucht, durch Wortklaubereien und juristische Taschenspielertricks eine Enthüllung ihrer heimtückischen Geheimnisse zu verhindern.

In übersichtlicher Form hat die EFF Informationen aus Berichten von Generalinspekteuren, aus Gerichtsakten, Aussagen vor dem Kongress und aus Artikeln etablierter Medien ins Internet gestellt, die die Geschichte der NSA und die Art und Weise darlegen, wie die Regierung den "ECPA" zusammen mit dem "Foreign Intelligence Surveillance Act" (FISA, »Gesetz zum Abhören in der Auslandsaufklärung«) und anderen gesetzlichen Vorschriften dazu benutzt, mehr oder weniger legal ihre Ziele zu erreichen.

Die EFF wird am 14. Dezember vor einem Bundesgericht die letzten Argumente im Verfahren Jewel vs. NSA vorlegen. In diesem Verfahren, das schon seit fünf Jahren andauert, geht es um die Beteiligung der NSA zusammen mit dem Telekommunikationskonzern AT&T an einer hochgeheimen Spionageoperation. »Wir hoffen, dass das Bundesgericht des Nördlichen Bezirks in Kalifornien uns darin zustimmt, dass unsere Klage, in der es um die Rechtswidrigkeit von Spionageoperationen im Inland geht, nicht scheitern darf«, schreibt die EFF. »Abhören ohne richterlichen Beschluss ist kein Staatsgeheimnis, sondern ein klarer Verstoß gegen den "FISA" und andere Gesetze und nicht zuletzt ein Bruch der Verfassung. Dass die Regierung sich auf Staatsgeheimnisse zurückzieht, darf nicht bedeuten, dass die Verletzung des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre von Millionen gewöhnlicher Amerikaner einfach unter den Teppich gekehrt werden.«