Im Streit um den Besitz einer Gruppe unbewohnter entlegener Inseln im Ostchinesischen Meer - in China heißen sie »Diaoyu«, in Japan »Senkaku« - eskalierten die Spannungen zwischen den beiden wirtschaftlichen Großmächten in Asien bis an den Rand einer militärischen Konfrontation, als China Ende letzten Jahres eine Luftidentifikationszone einrichtete, die chinesische Patrouillen im Luftraum einschließlich der Inseln ermöglicht. Am 26. Dezember 2013 suchte Japans rechtsnationalistischer Ministerpräsident Shinzō Abe den Yasukuni-Schrein in Tokio auf, das Symbol der japanischen Besetzung Chinas und der Tötung von Millionen von Chinesen und Koreanern im Zweiten Weltkrieg. Das neue Säbelrasseln aus Tokio, das es seit der Niederlage im Jahr 1945 so offen nicht mehr gegeben hat, ist vermutlich zu einem guten Teil auf die stillschweigende Unterstützung zurückzuführen, die Abe und seine Fraktion von Dick Cheneys Freunden in Washington erhalten.
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Der Yasukuni-Schrein ist die Verkörperung der japanischen Militärtradition. Er ist Begräbnisstätte von mehr als 2 466 000 Soldaten und Zivilisten, die Opfer von Kriegen wurden, vom Boshin-Krieg im Jahr 1868 bis zum Zweiten Weltkrieg. Heute ist der Schrein umstritten, weil dort auch über 1000 Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg begraben liegen, darunter 13 Kriegsverbrecher der »Klasse A«, einschließlich der Ministerpräsidenten und führenden Generäle der Kriegszeit.

Erstaunlicherweise war es die katholische Kirche, die den Schrein rettete, als die US-Militärbesatzung in dem Bemühen, die militaristischen Symbole im Lande abzuschaffen, nach dem Krieg die Zerstörung des Shintō-Schreins anordnete. Pater Bruno Bitter, SJ von der römischen Kurie und Pater Patrick Byrne vom Maryknoll-Orden beharrten gegenüber dem amerikanischen General MacArthur darauf, die Ehrung der Toten sei überall das Recht und die Pflicht der Bürger. Das US-Militär beschloss daraufhin, den Yasukuni-Schrein nicht zu zerstören. Die römische Kurie bestätigte die Anweisung im Jahr 1951.i

Ein wenig bekannter Hintergrund zum Kalten Krieg war die Rolle des Vatikans unter Papst Pius XII. bei der Unterstützung eines »Krieges gegen den gottlosen Kommunismus«, die bis zur Manipulierung von US-Senator Joe McCarthy und zur Organisation der berüchtigten »Rattenlinie« des Vatikans reichte. Über die Rattenlinie wurden führende Nazis aus Europa nach Südamerika geschleust, in der Hoffnung, sie gegen die Sowjetunion und China unter Mao einsetzen zu können.

Die Rettung des Yasukuni-Schreins durch die Kirche Anfang der 1950er Jahre lässt die weltweite Politik bis heute nicht los.

Außerdem hat Abe, der versprochen hat, das in der japanischen Verfassung verankerte Verbot der aktiven Entwicklung der Streitkräfte aufzuheben, Personen mit offen militaristischer Gesinnung in die Führungsriege des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders NHK berufen. Im Januar erklärte der neue NHK-Direktor Katsuto Momii bei einer Pressekonferenz, »Trostfrauen« - eine beschönigende Bezeichnung für die überwiegend chinesischen und koreanischen Frauen, die gezwungen wurden, während des Krieges in japanischen Frontbordellen zu arbeiten - habe es in jedem Land gegeben, in dem damals Krieg geherrscht habe.

Das kam natürlich in Südkorea, wo man sich mit Bitterkeit der damaligen Ereignisse erinnert, gar nicht gut an. Das Klima des neuerlichen japanischen Militarismus wird dadurch verstärkt, dass Abes Bildungsministerium zur Förderung des Patriotismus Änderungen in den japanischen Lehrbüchern vornehmen will.ii

Die Verbindung Cheney-Abe

Im Zusammenhang mit dem neuen Militarismus der Regierung Abe wird kaum jemals erwähnt, dass Abe nicht von der Obama-Regierung angespornt wird. Die Beziehungen sind bestenfalls kühl. Vielmehr unterstützen die immer noch einflussreichen Neokonservativen um Dick Cheney und das US-Militär-Establishment stillschweigend Abes aggressive Haltung, insbesondere gegen China im Insel-Konflikt.

Obamas Politik war und ist es, Washington im asiatischen Machtspiel die Rolle eines Vermittlers zwischen China und Japan spielen zu lassen. Abe war offenkundig nicht erfreut über die Intervention von US-Vizepräsident Joe Biden, der versuchte, die zunehmenden militärischen Spannungen zu beruhigen. Als China die Luftidentifikationszone oder ADIZ (nach dem englischen »Air Defense Identification Zone«) im Ostchinesischen Meer einrichtete, antwortete Ministerpräsident Abe mit kampflustiger Rhetorik im Stil von »das wird keinen Bestand haben« und erklärte, kein japanisches Flugzeug werde die ADIZ respektieren, auch keine japanischen Zivilflugzeuge, die bereits ihre Absicht bekundet hatten, sich entsprechend der chinesischen Erklärung zu verhalten. Bei einer Rede in Davos kritisierte Abe im vergangenen Monat die Chinesen als aggressiv und militaristisch, er verglich die japanisch-chinesischen Beziehungen ausdrücklich mit den Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien im Jahr 1914.

Der Schlüssel zum neuen forschen Ton, den Japan in militärischen Fragen anschlägt, liegt in einer wenig bekannten Washingtoner Denkfabrik namens Center for a New American Security (Zentrum für eine neue amerikanische Sicherheit). Das 2007 gegründete Center ist ein Geschöpf der militärisch-industriellen Kriegsfalken-Lobby. Im Vorstand sitzen neben führenden Vertretern der größten Rüstungskonzerne der Welt wie Boeing und Lockheed auch Richard Armitage aus der Regierung Bush-Cheney und andere Kriegsfalken. Als Reaktion auf Bidens jüngsten Versuch, die Spannungen zwischen China und Japan zu beruhigen, schrieb das Center:
Die Vereinigten Staaten sollten eine Politik verfolgen, die die Risiken - politisch, wirtschaftlich oder anderweitig - für Peking erhöht... Das US-Militär braucht Fähigkeiten und Pläne, die es nicht nur auf einen großen Krieg vorbereiten, sondern die plausible, konkrete Optionen bieten für eine Reaktion auf chinesische Versuche, Amerikas vermeintliche Aversion gegen Instabilität auszunutzen... Darüber hinaus können die Vereinigten Staaten das Risiko erhöhen, wenn sie die militärischen Verbindungen zu Japan intensivieren... Senator John McCain, dessen Vertrauter Roy Pflauch für die vorsichtigen und informellen Kontakte der Abe-Regierung zur amerikanischen Rechten zuständig ist, zitierte bei den Anhörungen des neuen US-Botschafters in China, Max Baucus, ebenfalls die Analogie zu 1914...
Im September 2013 war Abe eingeladen, einen Vortrag bei der der neokonservativen Denkfabrik Hudson Institute in Washington zu halten. Den Zuhörern wurde er von »Scooter« Libby vorgestellt, dem kriegslustigen Assistenten des damaligen Vizepräsidenten Dick Cheney.

Die amerikanische Rüstungsindustrie unterhält eine der einflussreichsten politischen Lobbys der Welt, denn bei der Frage von Krieg oder Frieden geht es um Hunderte von Milliarden Dollar für neue Verträge und um unvorstellbare Macht. Ihre Macht wurde als die einer Geheimregierung oder eines Staates im Staat beschrieben.

Die berüchtigte neokonservative Lobby aus der Bush-Cheney-Ära ist in Washington noch immer gut verankert. Abes Militarismus fungiert als Erfüllungsgehilfe für ihre Macht und ihren Einfluss, und Abe erhält seine Stichworte offensichtlich von ihr und nicht von der gemäßigteren Obama-Regierung. John McCain, Vorsitzender des Republican Institute des National Endowment for Democracy (Nationale Stiftung für Demokratie), ist ein führender Kriegsfalke, gemeinsam mit der neokonservativen Europabeauftragten des US-Außenministeriums Victoria Nuland (»Fuck the EU«) spielte er eine maßgebliche Rolle bei den neokonservativen Bemühungen um einen NATO-freundlichen Staatsstreich in der Ukraine.

Fußnoten:

i John Breen, »Popes, Bishops and War Criminals reflections on Catholics and Yasukuni in postwar Japan«, The Asia-Pacific Journal: Japan Focus, 1. März 2010.

ii Linda Sieg und Ben Blanchard, »Japan on backfoot in global PR war with China after Abe shrine visit«, Reuters, 12. Februar 2014,