Vladimir Putin
© apWladimir Putin während der Kabinettssitzung in Moskau
US-Präsident Barack Obama wird allenthalben kritisiert. Doch der gelegentliche Zickzackkurs des Präsidenten ist nicht Washingtons größtes Problem, sondern die Selbstblockade amerikanischer Politik.

Im US-Spielfilmkanal AMC läuft zur besten Sendezeit Sylvester Stallones knapp 30 Jahre alte Boxer-Saga "Rocky", in deren Teil IV der amerikanische Held Rocky Balboa von der sowjetrussischen Muskelmaschine Drago gleich in der ersten Runde brutalst verprügelt wird. Wer umschaltet auf den Republikaner-nahen Sender Fox News, wird daran erinnert, dass der damalige Präsidentschaftskandidat Mitt Romney schon 2012 warnte, Russland bleibe der "geopolitische Feind Nummer eins der USA". Und nebenan, im Nachrichtenkanal CNN, diskutieren Experten, ob Russlands aktueller Griff nach der ukrainischen Krim provoziert wurde durch die Schwäche des amerikanischen Präsidenten, der seinerzeit Romneys "Kalte-Kriegs-Rhetorik" weglachte.

Der Vorwurf der amerikanischen Schwäche verdient einen zweiten Gedanken. Aber die Fokussierung auf das Weiße Haus ist dabei viel zu simpel. Zwar war Obamas Politik eines "Reset", eines Neuanfangs in den Beziehungen zu Russland, naiv. Der Präsident verstand das russische Denken in der Kategorie klassischer Geopolitik nicht. Weder der Plan der Einbindung einstiger Warschauer-Pakt-Staaten in einen amerikanischen Raketenabwehrschild noch der Dialog über Bürgerrechte vertrug sich mit Putins Ziel, nach dem traumatischen Untergang der UdSSR Russland wieder zu einer straff geführten Großmacht aufzubauen.

Voriges Jahr präsentierte sich Obama zudem als außenpolitischer Zauderer, indem er das syrische Regime wegen dessen Giftgaseinsatzes zunächst mit einem raschen Militärschlag abstrafen, dann aber lieber doch erst den Kongress fragen wollte - und schließlich die ganze Aktion, mithilfe Wladimir Putins, den Verhandlungstischen überantwortete.

Obamas Zickzackkurs

Doch die Mobilisierung russischer Einheiten mit dem offenkundigen Ziel der Sicherung russischer Dominanz zumindest auf der Krim ist kaum Folge dieses Zickzackkurses Obamas. Denn wie ließe sich die der Krim-Operation nicht ganz unähnliche Militärintervention Putins in den einst georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien im Jahr 2008 erklären? Während des Kaukasus-Krieges regierte nicht Obama, sondern George W. Bush, dessen Außenpolitik nur selten mangelnde Entschlossenheit vorgeworfen wurde.

Nicht wegen der angeblichen Schwäche des US-Präsidenten ist Russland im Begriff, Fakten auf der Krim zu schaffen, sondern wegen eines Fixsterns Moskauer Politik, nämlich der Arrondierung des eigenen Territoriums und der Sicherung eines vorgelagerten Cordon sanitaires, um tatsächliche oder vermeintliche Gegner auf Abstand zu halten - insbesondere nach der Erfahrung mit der Ost-Expansion der Nato in den 90er-Jahren. Aber sollten die USA im Umgang mit dieser Krise Schwäche zeigen, wäre ein Autoritätsverlust wohl kaum zu vermeiden.

Ob die USA schwach agieren, ist dabei weniger von der Person des Präsidenten abhängig als von der Selbstblockade ihrer Politik. Die Vereinigten Staaten können mit ihrer militärischen Ausnahmestellung und ihrer wirtschaftlichen Dominanz nur bedingt beeindrucken, solange Republikaner und Demokraten für fast jedes Detail der Innen- wie Außenpolitik in die Schützengräben steigen.

"Fuck the EU"

Das betrifft die Gesundheitsreform ebenso wie die Frage, ob sich die iranische Atombombe gegenwärtig eher durch Verhandlungen oder durch noch mehr Sanktionen verhindern lässt. Auch über Syrien wurde voriges Jahr heftig gestritten, und viele Republikaner, die heute kritisieren, dass der Präsident Damaskus nicht attackierte, wollten ihrerseits gegen eine Zustimmung des Kongresses für eine Militärintervention votieren.

In der Ukraine-Politik war es nicht Obama, der zauderte. Die USA verhängten bereits Sanktionen gegen Mitglieder der inzwischen gestürzten Janukowitsch-Despotie, als die Europäer die Sturmwolken über Kiew noch angestrengt ignorierten. Darum kann nicht wirklich überraschen, dass Victoria Nuland, Staatssekretärin im State Department, im vermeintlich vertraulichen Telefonat die zeitgenössische Fassung des Götz von Berlichingen intonierte: "Fuck the EU."

Angesichts der offenkundigen Übernahme ukrainischer Militäreinrichtungen auf der Krim durch russische Einheiten bereitet erneut Washington Sanktionen vor, diesmal gegen die Kreml-Regierung. Die Europäer wollen erneut nichts davon wissen. Sie wären allerdings auch viel direkter betroffen als die fernen Amerikaner - allen voran Deutschland, das seine traditionelle Energieabhängigkeit vom russischen Erdgas durch die jähe Abwendung von der Atomkraft jüngst verstärkte.

Des Kremls Camouflage

Das Handelsvolumen der EU mit Russland beträgt das Elffache dessen der USA mit Russland. Darum heißt es in Washington, ohne das Mitziehen der Europäer (und an deren Spitze wird Deutschland gesehen) seien wirkungsvolle Sanktionen gegen Moskau nicht machbar. Allerdings dürfte auch Obama die "politische, diplomatische und wirtschaftliche Isolierung Russlands", die er bislang vorsichtshalber nur von Außenminister John Kerry fordern lässt, in den kommenden Tagen noch einmal überdenken. Bei zu vielen Krisenherden, von Syrien bis zum Iran, ist Washington auf eine gewisse Kooperation Moskaus angewiesen. Von einer militärischen Reaktion ist darum ohnehin nirgends die Rede, in Europa so wenig wie in der Nato-Hauptstadt Brüssel oder in den USA.

Darum sprechen alle Anzeichen dafür, dass Moskau die Krim kapern wird, ob in Form einer direkten Rückgliederung an Russland (zu der sie bis 1954 gehörte) oder in der Camouflage einer vom Kreml anerkannten Autonomie. Darüber hinaus droht eine Spaltung der Ukraine in einen westlichen, pro-europäischen und einen östlichen, pro-russischen Teil. Sie wird sich möglicherweise verhindern lassen, wenn der Westen die Überlebensfähigkeit dieses bankrotten Riesen im Zentrum Europas gemeinsam sicherstellt.

Dazu wird die EU tief in die Tasche greifen müssen, weit hinaus über die bislang diskutierte eine Milliarde Euro, die nicht einmal reicht, um Kiews offene Rechnungen bei der Gazprom zu begleichen. Und weil Russland der Ukraine künftig nicht mehr Erdöl und Erdgas unterhalb des Weltmarktpreises liefern wird, könnten die USA die entstehenden Lücken aus ihren enormen, durch das Fracking gewonnenen Vorräten kompensieren. Wenn die USA diese Energieträger darüber hinaus den Europäern zum Kauf anbieten, würde dies für Putin recht peinlich.

Der "Rocky"-Film endet übrigens mit einem dermaßen hart erkämpften Sieg Rocky Balboas über den Russen Drago, dass selbst die Kreml-Spitzen dem Amerikaner zujubeln. Die Krim-Kriseverweigert sich allerdings der Logik von Hollywood-Drehbüchern.