Über Island kreist das heftigste Tiefdruckgebiet seit zehn Jahren. Am Nordpol ist es 30 Grad wärmer als sonst. Meteorologe Andreas Friedrich erklärt, ob das schlecht ist.
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© Sebastian Menze/AWI/dpa
Zuerst eine Warnung: In der Silvesternacht dürfte es Blitzeis geben. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) rechnet mit gefrierendem Regen in einem Gebiet von Mecklenburg-Vorpommern über Berlin bis nach Bayern. "Wir müssen aufpassen, dass der gute Rutsch ins neue Jahr nicht mit Stürzen und Unfällen endet", sagt DWD-Meteorologe Andreas Friedrich. Grund für das erwartete Blitzeis sind Ausläufer des Rekord-Tiefs Eckard. Ja, genau dasselbe, das am Nordpol gerade eine Art Hitzewelle verursacht. Ist das jetzt wieder der Klimawandel?

ZEIT ONLINE: Herr Friedrich, über Grönland hat sich ein gigantisches Tief zusammengebraut. Eckard sein Name. Es saugt warme Luft in Richtung Nordpol. Dort soll es nach Medienberichten in den kommenden Tagen bis zu 50 Grad Celsius heißer werden als um diese Jahreszeit üblich. Stimmt das?

Andreas Friedrich: Die 50 Grad halte ich für übertrieben. Heute Morgen waren es auf Spitzbergen 7°C. Normal wären minus 25°C. Also kann man schon sagen, dass es am Nordpol gerade gut 30 Grad wärmer ist als sonst im Dezember. Eckard ist das extremste Tiefdruckgebiet, das es in den letzten zehn Jahren gegeben hat.

ZEIT ONLINE: Was ist so extrem daran?

Friedrich: Es hat einen Kernluftdruck von 950 Hektopascal - und das ist wirklich sehr niedrig. Derzeit schaufelt das Tief an seiner Ostseite kalte Luft nach Island, wo es deshalb eisig wird mit Schneestürmen und Minusgraden. Gleichzeitig befördert das Tiefdruckgebiet warme Kanaren-Luftmassen in Richtung Nordpol, wodurch es dort so ungewöhnlich warm ist. Wie alle Tiefs dreht Eckard sich dabei gegen den Uhrzeigersinn.

ZEIT ONLINE: Sieben Grad ist für uns kühl - aber am Nordpol bedeutet das schon eine Art Hitzewelle. Ist das ein Problem?

Friedrich: Nur für die Schifffahrt. Die See ist gerade rauh mit starkem Wellengang. Besiedelte Gebiete in Europa müssen wegen der Tiefausläufer aber jetzt nicht mit Orkanen rechnen. Vorher wird sich Eckard abschwächen. Der Höhepunkt war heute, am Mittwoch, erreicht.

ZEIT ONLINE: Orkane im Winter? Wäre das nicht ohnehin ungewöhnlich?

Friedrich: Ja, das kommt selten vor, ist aber möglich. Auch Tornados - die kleinen Verwandten der tropischen Hurrikane - kann es in Deutschland vereinzelt im Winter geben. Solche Wirbelstürme entstehen, wenn kalte Luft auf warme Luftmassen in Bodennähe trifft. Entscheidend ist dabei der große Temperaturunterschied.


ZEIT ONLINE: Ist der Klimawandel Schuld an der aktuellen Wärme über dem Nordpol?

Friedrich: Das Extremtief hat mit dem Klimawandel direkt nichts zu tun. Denn der läuft schleichend über sehr lange Zeiträume ab. Tief Eckard ist zufällig entstanden. Eine Laune der Atmosphäre. Solche Sturmtiefs bilden sich ja, wenn Luftmassen von sehr unterschiedlicher Temperatur aufeinandertreffen. Nach heutigem Stand der Klimamodelle werden sie aber nicht häufiger, wenn sich die Erde im Durchschnitt erwärmt. Sie können höchstens mal heftiger ausfallen.


ZEIT ONLINE: Trotzdem war 2015 ein Rekordjahr, was das Wetter angeht.

Friedrich: Es war global betrachtet das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Und das steht durchaus mit dem Klimawandel in Zusammenhang. In Deutschland haben wir im November und Dezember ebenfalls Rekordmonate erlebt. Trotzdem bleibt 2014 das bisher wärmste gemessene Jahr. 2015 liegt noch leicht darunter.


ZEIT ONLINE: Extremtiefs wie Eckard, die dem Nordpol einheizen, wird es also nicht häufiger geben?

Friedrich: Das wäre reine Spekulation. Wir Meteorologen können etwa eine gute Woche im Voraus erkennen, ob sich so ein Tiefdruckgebiet zusammenbraut. Exakte Vorhersagen sind erst ein paar Tage vorher möglich. Die aktuelle Großwetterlage hält sich jetzt aber schon seit Anfang November - mit nur kurzen Unterbrechungen. Immer wieder bilden sich nach ähnlichem Muster Tiefs über dem Nordatlantik. Weil der Jetstream gerade leicht nach Norden verschoben ist, bringt das tendenziell eher warme Luft zu uns nach Nordeuropa.


Kommentar: Das Wetter kann nur gut eine Woche im Voraus erkannt werden, aber Klimamodelle können viele Jahre in die Zukunft projiziert werden. Das widerspricht jeder Logik.


ZEIT ONLINE: Aber zu Silvester gibt es Blitzeis?

Friedrich: So sieht es im Moment aus. Wir rechnen mit gefrierendem Regen und Glatteis im Osten von Mecklenburg-Vorpommern über Berlin bis nach Bayern. Schuld daran ist wieder Eckard. Sein Ausläufer erreicht uns genau in der Silvesternacht. Und wie gesagt: Warm pustet der nur Richtung Nordpol.