Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung des Heidelberger Astronomen Julian Merten hat mit den Weltraumteleskopen «Hubble» und «Chandra», sowie dem VLT und dem japanischen Subaru-Teleskop, den Galaxienhaufen Abell 2744 untersucht. Sie deckten eine ereignisreiche Vergangenheit auf, das «Pandorahaufen» getaufte Konglomerat ist aus Zusammenstößen von mindestens vier verschiedenen Galaxienhaufen entstanden.
Pandorahaufen
© Nasa / Esa / Eso / CXC & D. Coe, STScI / J. Merten et al.Im « Pandorahaufen » Abell 2744 kommt es zu tumultartigen Krawallen zwischen Galaxien, ihren Sternen, heißem Gas (pink) und Dunkler Materie (blau). Die Vorgänge rekonstruierten Astronomen anhand von Aufnahmen mit « Hubble », « Chandra », dem VLT und dem Subaru-Teleskop
Das Durcheinander, das beim Zusammenstoß von großen Galaxienhaufen entsteht, bietet Astronomen eine wahre Flut an Informationen über den Verlauf solcher Kollisionen. Für Abell 2744, eines der außergewöhnlichsten und komplexesten Systeme von kollidierenden Haufen am gesamten Himmel, ist es nun einem internationalen Astronomenteam gelungen, den genauen Ablauf des 350 Millionen Jahre dauernden Zusammenstoßes zu rekonstruieren (→ Wallpaper).

“Genau wie ein Unfallsachverständiger, der die Trümmerstücke wieder zusammensetzt, um die Unfallursache zu finden, können wir mit Beobachtungen solcher kosmischen Massenkarambolagen den Ereignissen auf die Spur zu kommen, die sich über hunderte von Millionen Jahren hinweg während des Zusammenstoßes abgespielt haben. So können wir entschlüsseln, wie sich große Strukturen im Universum bilden und wie verschiedene Arten von Materie wechselwirken, wenn sie miteinander kollidieren”, erklärt Julian Merten vom Zentrum für Astronomie der Uni Heidelberg, Erstautor der Studie, die die Auswertung der Beobachtungen des Galaxienhaufens Abell 2744 beschreibt.

“Wir haben dem Haufen den Spitznamen «Pandoras Galaxienhaufen» gegeben, weil durch die Kollision so viele verschiedene und teilweise seltsame Phänomene ausgelöst wurden”, fügt Renato Dupke hinzu, ein weiterer an der Studie beteiligter Astronom.

Durch die Kombination von Daten des Very Large Telescope (VLT), des japanischen Subaru-Teleskops, des Weltraumteleskops «Hubble» sowie des Nasa-Röntgensatelliten «Chandra» konnten die Astronomen Abell 2744 jetzt detaillierter untersuchen als jemals zuvor.

Die einzelnen Galaxien des Haufens sind in den VLT- und «Hubble»-Aufnahmen deutlich zu erkennen. Sie machen allerdings - trotz ihrer imposanten Erscheinung - lediglich 5% von dessen Gesamtmasse aus. Der Rest besteht zu etwa 20% aus Gas, das so heiß ist, dass es nur im Röntgenbereich zu sehen ist, und zu etwa 75% aus komplett unsichtbarer Dunkler Materie. Um den Ablauf der Kollision zu verstehen, mussten die Wissenschaftler die Verteilung dieser drei Materiearten in Abell 2744 genau kartieren.

Bei der Dunklen Materie nutzten die Forscher den Gravitationslinseneffekt, dieser bewirkt eine Ablenkung des Lichtes noch weiter entfernter Hintergrundgalaxien, das auf seinem Weg zu uns das Schwerefeld des Galaxienhaufens durchquert. Das Ergebnis ist eine charakteristische Verzerrung der Bilder der Hintergrundgalaxien in den VLT- und «Hubble»-Aufnahmen. Diese haben die Wissenschaftler für Abell 2744 im Detail analysiert und konnten daraus rekonstruieren, wo genau sich die Masse - und damit die Dunkle Materie - befindet.

Vergleichsweise einfach gestaltet sich die Kartierung des heißen Gases in Abell 2744, denn das kann der Satellit «Chandra» direkt beobachten. Die Röntgenaufnahmen sind dabei nicht nur von entscheidender Bedeutung, um die Verteilung des Gases zu bestimmen, sondern sie verraten auch die Winkel und Geschwindigkeiten, mit denen die einzelnen Teile des Galaxienhaufens zusammenstoßen.

Bei der Auswertung ihrer Ergebnisse entdeckten die Astronomen eine ganze Reihe von Besonderheiten. “Abell 2744 scheint sich bei einer etwa 350 Millionen Jahre dauernden Serie von Kollisionen aus vier einzelnen Galaxienhaufen gebildet zu haben. Die komplexe und ungleichmäßige Verteilung der verschiedenen Arten der Materie in dem Haufen ist sehr ungewöhnlich und faszinierend”, erläutert Dan Coe, der Zweitautor der Studie.

Anscheinend hat der komplizierte Ablauf der Zusammenstöße einen Teil des heißen Gases und der Dunklen Materie voneinander getrennt, so dass diese Teile nun räumlich getrennt voneinander und von den Galaxien liegen. Im «Pandorahaufen» lassen sich damit verschiedene Phänomene gemeinsam beobachten, die die Wissenschaftler bisher in anderen Systemen nur getrennt erforschen konnten.

So hat sich beispielsweise in der Nähe des Zentralbereichs des Haufens eine Art “Geschoss” gebildet, das entstand, als das Gas eines der ursprünglichen Haufen mit dem Gas eines anderen kollidierte und dabei eine Stoßwelle ausbildete. Die Dunkle Materie konnte diese Region dagegen vollkommen ungehindert durchdringen.