Flüchtlingshelfer Italien
Ein Rotkreuz-Mitarbeiter mit Flüchtlingskindern in Sizilien nach einer Rettungsaktion am Donnerstag
Wohlfahrtsorganisationen warnen: Unzählige Kinder, die Asyl suchen, werden missbraucht und ausgebeutet. Während die Zahl der an Europas Grenzen ohne Begleitung ankommenden Minderjährigen Rekordhöhen erreicht, werden in Italien geflüchtete Kinder sexuell missbraucht und genötigt.

Viele Hilfsorganisationen haben lange vor Schmugglern gewarnt, die Kinder, nicht nur Mädchen, zur Prostitution zwingen, um ihre „Schulden“ zu tilgen. Die Kinder sind oft mehrere Jahre auf der Flucht und den Schleppern schutzlos ausgeliefert. Europol nimmt an, dass von der Million Flüchtlinge, die 2015 nach Europa kamen, 27% Minderjährige waren. Etwa 10 000 Kinder gelten als vermisst. Siehe Kinder auf der Flucht - vermisst,verschleppt, ausgebeutet und missbraucht

Libyen ist das Durchgangsland für viele Flüchtlinge nach Europa. Werden Flüchtlinge auf See gerettet, landen sie im Gefängnis. Hier werden sie regelmäßig ausgeraubt, gefoltert, entführt und sexuell missbraucht. Siehe: Flüchtlingskrise - Leichen säumen Libyens Küste und gerettete Flüchtlinge sterben in Libyen an Misshandlungen

In diesem Jahr kamen etwa 102 000 Flüchtlinge auf dem Seeweg nach Italien. Ca. 15% von ihnen sind Minderjährige ohne Begleitung. Viele werden nach Sizilien in Aufnahmelager gebracht. Die folgende dramatische Geschichte hat sich in Italien abgespielt, aber sie passiert überall, wie wir auch von anderen Flüchtlingen erfahren haben.

Schlafende Flüchtlingskinder im Park eingesammelt und „von italienischen Männern sexuell missbraucht”

Während die Zahl der an Europas Grenzen ohne Begleitung ankommenden Minderjährigen Rekordhöhen erreicht, werden in Italien geflüchtete Kinder sexuell missbraucht und genötigt.

Lange schon warnen Wohlfahrtsorganisationen vor Menschenschmugglern, die Kinder missbrauchen. Oft werden Mädchen zur Prostitution gezwungen, um ihre „Schulden“ abzuarbeiten. Doch nun berichten um Asyl ersuchende Teenager in Sizilien davon, dass sie von Ortsansässigen gezielt angegangen wurden.

Ermias Haile (16 Jahre) aus Eritrea schlief mit seinen Freunden auf einer Baustelle, seit sie nach der riskanten Überfahrt aus Libyen auf der Insel angekommen waren.

Wie viele andere sind sie nicht im offiziellen Auffanglager für junge Flüchtlinge geblieben - im Glauben, sie würden gezwungen, in Italien zu bleiben, wo ihr Asylantrag gestellt wurde - und stehen nun allein und schutzlos da.


Bildunterschrift: Mehr als 10 000 Flüchtlingskinder sind in Europa verschwunden

Ermias und seine Freunde erzählen Sky News, ein italienischer Mann habe sie sexuell missbraucht, nachdem er ihnen etwas zu trinken gekauft und eine Unterkunft angeboten hatte.

„Er hat uns an einem Ort wie diesem [Park] getroffen, in ein Lokal eingeladen und uns Bier zu trinken gegeben. Dann hat er uns mit nach Haus genommen und wieder Bier gegeben”, sagt er.

„Als wir anfingen zu trinken, begann er, unsere Körper anzufassen. Als wir das Haus verließen, rief er uns zurück und gab uns Geld.”

Knapp 102 000 Asylbewerber sind in diesem Jahr auf dem Seeweg in Italien angekommen, davon sind 15 % Minderjährige ohne Begleitung.

Die meisten werden, wie Ermias, mit Rettungsschiffen aus dem Mittelmeer geborgen und nach Sizilien gebracht, wo man sie in die örtlichen Auffanglager schickt.

Doch viele verlassen die verhältnismäßig sichere Unterkunft wieder, um in andere europäische Städte weiterzureisen. Oft landen sie in der Obdachlosigkeit oder stranden an den Grenzen, wie im Dschungel-Camp in Calais, wo von zahlreichen Vergewaltigungen berichtet wird.
flüchtlinge
© Twitter
Nach Angaben von Save the Children hat sich die Anzahl der unbegleiteten Kinder im letzten Jahr verdoppelt. Wehrlose Mädchen und Jungen befinden sich dabei in einem „Kreislauf von Missbrauch“.

Schleuser bürden Mädchen und jungen Frauen € 50 000 als Kosten für die Überfahrt über das Mittelmeer auf und zwingen sie dann, ihre „Schulden” abzuzahlen, indem sie sie in die Prostitution oder zu anderer körperlich harter Arbeit zwingen.

Jungen werden in ähnliche Abhängigkeiten gezwungen. Da geht es um Kinderarbeit und kriminelle Aktivitäten, einschließlich Einbruch, Diebstahl und Drogenhandel in Banden.

Die Kinder sind auch in den überfüllten Internierungslagern auf den griechischen Inseln in Gefahr, wo jetzt im Rahmen eines Deals zwischen der EU und der türkischen Regierung alle Migranten festgehalten werden, bis über ihren Asylantrag entschieden wurde.

Hilfsorganisationen berichten, dass Familien nach der Flucht vor Gewalt und Verfolgung in ihren Heimatländern „in Angst leben“. Inmitten steigender Spannungen mit Protesten und Kämpfen trauen sich viele gar nicht, ihre Kinder aus den Augen zu lassen.

Tanya Steele, Interimsgeschäftsführerin von Save the Children, sagt: „Es ist schockierend, dass in der heutigen Zeit so viele wehrlose Kinder einer derartigen Gewalt, Manipulation und Ausbeutung ausgesetzt sind.“

„Sie machen sich allein auf die gefährliche Reise nach Europa in der Hoffnung auf Sicherheit und ein besseres Leben, doch stattdessen geraten sie in einen Kreislauf von Missbrauch.”

Der frühere englische Premierminister David Cameron reagierte auf die vermehrten Rufe, unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, indem er fest zusagte, im Mai 2016 einige der am stärksten schutzbedürftigen Flüchtlingskinder umzusiedeln. Es wird jedoch vermutet, dass bisher keine angekommen sind.

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten gibt zu bedenken, dass die Zusage des Vereinigten Königsreiches, bis zum Jahr 2020 insgesamt 20 000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, wohl nicht einzuhalten sein wird, und macht damit gleichzeitig aufmerksam auf den immensen Rückstau bei unerledigten Asylanträgen und Entscheidungen, auf Grund derer Flüchtlinge fälschlicherweise in Gewalt und Verfolgung zurückgeschickt wurden.

Die britische Regierung hatte zuvor ihr Programm für Asylbewerber in den UN-Camps im Nahen Osten und in Nordafrika eingeschränkt - mit dem Argument, man wolle die Menschen nicht ermutigen, die „tödliche” Reise über das Meer nach Europa anzutreten.


ORIGINAL: independent.co.uk