Mediziner untersuchen die Gehirnaktivität von Meistern des Gedächtnissports
Gedächtnis, Lernen
© contrastwerkstatt/fotolia.comBestimmte Arten des Trainings ermöglichen es, dass sich normale Menschen in nur kürzester Zeit große Mengen von Zahlenkombinationen oder Reihenfolgen von Gegenständen merken können.
Es gibt bestimmte Menschen, sogenannte Gedächtnissportler, die sich schier unglaubliche Mengen an Informationen in kurzer Zeit merken können. Solche Personen sind beispielsweise in der Lage, sich die Reihenfolge eines kompletten Kartendecks in weniger als zwanzig Sekunden zu merken. Forscher untersuchten jetzt, ob normale Menschen mit dem richtigen Training ebenfalls zu solchen Leistungen fähig sind.

Die Wissenschaftler des Donders Institute for Brain, Cognition and Behavior an der Radboud University in den Niederlanden stellten bei einer Untersuchung fest, dass sich die Gehirne der besten Gedächtnissportler nicht von den Gehirnen von normalen Menschen unterscheiden. Dies könnte bedeuten, dass jede Person mit dem richtigen Training zu außergewöhnlichen Gedächtnisleistungen fähig ist. Die Mediziner veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie in der medizinischen Fachzeitschrift Neuron.

Experten suchen nach Unterschieden bei der Gehirnaktivität

„Wir interessierten uns besonders dafür, wie sich sogenannte Meister der Erinnerung von normalen Menschen unterscheiden“, erklärt Autor Dr. Martin Dresler von der Radboud University. Gibt es bei solchen Gedächtnissportlern messbare Veränderungen im Gehirn? Um dies herauszufinden, untersuchten die Experten rund zwei Dutzend Meister im Gedächtnissport. Diese 23 Menschen gehörten zu den Top 50 Gedächtnissportlern auf der gesamten Welt. Es gibt nirgendwo Menschen, die sich mehr Informationen merken können, fügt Dr. Dresler hinzu.

Forscher führen MRT-Scans der Gehirne durch

Die Wissenschaftler führten MRT-Scans von den Gehirnen der Gedächtnissportlern durch. Zusätzlich untersuchten sie auch die Gehirne von 23 normalen Probanden. Diese Teilnehmer waren in ihrem Alter, Geschlecht und sogar dem IQ an die Gedächtnissportler angepasst. Als die Mediziner die Gehirn-Scans verglichen, konnten sie keine wesentlichen Unterschiede feststellen. Dieses Ergebnis war ein bisschen überraschend, sagt Dr. Dresler.

Teile des Gehirns sind bei Gedächtnissportlern im Einklang aktiv

Als die Mediziner funktionale MRT-Scans durchführten, welche die Gehirnaktivität mit der Hilfe der Blutversorgung bestimmter Areale messen, bemerkten sie einen subtilen Unterschied. Wenn die Gedächtnissportler aufgefordert wurden, dass sie eine Liste von zuvor gemerkten Wörtern rezitieren sollten, waren einige Teile des Gehirns im Einklang aktiv, sagen die Autoren. Es gab 25 Verbindungen unter den verschiedenen Teilen des Gehirns, welche besonders wichtig zu sein schienen. Die Wissenschaftler fanden diese Art von einheitlicher Tätigkeit nicht im Gehirn der regulären Teilnehmer.

Gedächtnissportler trainieren ihr Gehirn mit besonderen Methoden

Mit dem Gedächtnis verbundene Teile und Bereiche des räumlichen Lernens schienen bei den Gedächtnissportlern besonders viel zu interagieren. Diese Feststellung macht durchaus Sinn, wenn man die Methoden betrachtet, wie sich Gedächtnissportler große Mengen an Informationen merken, erläutern die Wissenschaftler. Sie werden nicht mit außergewöhnlichen Erinnerungsfähigkeiten geboren, sondern lernen alle auf die gleiche Art, um scheinbar übernatürliche Gedächtnisleistungen zu entwickeln.

Weltrekordler nutzt seine visuelle Erinnerung

Boris Nikolai Konrad, einer der Autoren der Studie, hält den Weltrekord für das Auswendiglernen von Gesichtern und Namen. Er ist in der Lage sich 201 Menschen in 15 Minuten zu merken. Der Forscher begann mit dem Gedächtnistraining als eine Art Hobby an der High School, nachdem er zuvor die Gedächtnismeisterschaften im Fernsehen angeschaut hatte. „Ich benutze meine visuelle Erinnerung, wenn ich versuche mich an eine Person zu erinnern“, erklärt Konrad. Wenn dieser Mensch beispielsweise Müller heißt, stelle er sich diese Person vor, wie sie eine Mühle betrachtet.

Reihenfolgen durch die Gedächtnispalasttrainingsmethode abspeichern

Für abstraktere Gedächtnisherausforderungen, wie das Auswendiglernen der genauen Reihenfolge von Hunderten von Ziffern, werden sogenannte Gedächtnispaläste gebaut. Diese Methode ist bereits seit den alten Griechen bekannt. Sie funktioniert durch die Erinnerung an ein bestimmtes Gebäude oder einen Ort, erklären die Forscher. Dieser ist den Gedächtnissportlern sehr vertraut und Betroffene erstellen sozusagen einen geistigen Weg durch dieses Gebäude. Das erste Gebäude was ich für diese Methode nutzte, war das Haus meiner Eltern. Als ich noch in der High School war und mit dem Training begann, lebte ich noch bei meinen Eltern in diesem Haus, erläutert Konrad.

Wie funktioniert die Gedächtnispalasttrainingsmethode?

„Ich begann mir eine Reihenfolge des Durchschreitens des Hauses zu merken. Der Weg begann in meinem Zimmer. Der erste Ort wäre dort mein Bett, der zweite das Regal über meinem Bett, dann kommt der Schreibtisch, der Computer auf dem Schreibtisch, das Fenster, der Spiegel und immer so weiter“, erklärt der Experte. Um sich abstrakte Informationen zu merken, wie beispielsweise eine Liste von Zahlen, würde er Zahlen in Bilder übersetzen und sie dann auf dem geistigen Weg durch sein Haus verteilen, fügt Konrad hinzu.

Gedächtnissportler wandeln Zahlenpaare in Bilder um

Wenn er sich zum Beispiel die Zahl 1202 merken sollte, wandelte Konrad die Zahlenpaare in Bilder um. Dafür nutze er das sogenannte Major System. Für den Wissenschaftler steht die Kombination 1 und 2 zum Beispiel für einen Dinosaurier. Ich würde also einen Dinosaurier auf mein Bett stellen, dieses Bild ist merkwürdig und lässt sich deswegen gut merken, erläutert Konrad. 0 und 2 wäre eine Sonne, also würde ich mir eine Sonne vorstellen, welche über meinem Bett scheint, fügt der Forscher hinzu. So würde der Wissenschaftler dann immer weiter verfahren, um sich alle Zahlen zu merken.

Weitere Probanden wurden zum Training in drei Gruppen unterteilt

In einem zweiten Teil der Untersuchung rekrutierten die Mediziner 51 Universitätsstudenten. Ein Drittel dieser Teilnehmer begann mit dem sogenannten Gedächtnispalasttraining für einen Zeitraum von sechs Wochen. Die Übungen wurden einmal in der Woche persönlich von Konrad geleitet, zusätzlich trainierten die Probanden eine halbe Stunde am Tag zu Hause auf ihrem Computer, erläutern die Wissenschaftler. Die zweite Gruppe von Teilnehmern führte eine andere Art von Gedächtnistraining durch, die letzte Gruppe machte keine besondere Art von Übungen, sagen die Autoren.

Nach Abschluss des Trainings sollten sich die Teilnehmer eine Liste von Worten merken

Nach den sechs Wochen wurden die Probanden in ein Labor gebracht und dort gebeten, dass sie sich eine Liste von Wörtern merken sollten. Die Forscher verwendeten funktionale MRI-Geräte, um die Gehirne in verschiedenen Zuständen zu scannen. Dies geschah während sie ruhten und später nochmal, wenn sie die Liste der Worte rezitierten.

Gedächtnispalasttraining veränderte die Hirnaktivität der Teilnehmer

Bei der Gruppe, die das Gedächtnispalasttraining durchgeführt hatte, veränderte sich die Hirnaktivität der Teilnehmer, ähnlich wie bei den Meistern des Auswendiglernens. Diese Unterschiede waren sowohl im Ruhezustand, als auch bei der Aufzählung der gemerkten Gegenstände oder Zahlen zu beobachten, erklären die Mediziner. Vier Monate nach ihrem Training kamen die Freiwilligen noch einmal in das Labor und erhielten dort eine neue Liste zum Auswendiglernen.

Gedächtnispalasttraining führt zu den besten Ergebnissen

Nutzer der Methode des sogenannten Gedächtnispalasttrainings erzielten im Vergleich zu den anderen Teilnehmern wirklich gute Ergebnisse. Außerdem waren die Bereiche im Gehirn bei diesen Probanden immer noch auf die neue Art und Weise miteinander verbunden, berichten Dr. Dresler und Kollegen.

(as)