Maidan-Nationalisten Straßenkampf Odessa
© Quelle: Screenshot hromadske.od.uaJugendliche Maidan-Nationalisten bauen Moltow-Cocktails am Griechischen Platz in Odessa -
Den Angeklagten war "Anzetteln von Massenunruhen" am 2. Mai 2014 angelastet worden. Sie befanden sich seither in Haft oder standen unter Hausarrest. Neonazistische Mordbrenner wurden bis heute nicht angeklagt. Ultrarechte bedrohen nun die Richter.

Als der Richter im Ilitschewski-Gericht von Odessa am Montag 19 Anti-Maidan-Aktivisten freisprach, brandete Applaus auf. Die 19 jungen Männer hatten seit Mai 2014 in Haft gesessen oder standen unter Hausarrest. Fünf Beschuldigte befanden sich bis zum Urteilsspruch am Montag in Untersuchungshaft. Sie wurden noch im Gerichtssaal freigelassen.

Die Staatsanwaltschaft hatte die 19 Aktivisten angeklagt, weil sie angeblich an "Massenunruhen" am 2. Mai 2014 in Odessa beteiligt waren. Das war jener Tag, an dem es auf dem Griechischen Platz in Odessa zu einer Straßenschlacht zwischen Maidan- und Anti-Maidan-Aktivisten kam und ein Mob ukrainischer Nationalisten anschließend das Gewerkschaftshaus von Odessa in Brand steckte. Mindestens 42 Menschen starben bei dem Brand, erstickten, verbrannten oder starben beim Sprung aus dem Fenster.

Freispruch Anti-Maidan-Aktivisten
© Quelle: Internet-Portal timer.od.uaDie Anti-Maidan-Aktivisten am 18.9. während des Freispruchs
Die Brandstifter und die Schläger, die während des Brandes durch einen Seiteneingang des Gewerkschaftshaus mit Knüppeln in das Gebäude eindrangen und Jagd auf Andersdenkende machten, stehen bis heute nicht vor Gericht. Stattdessen erklärten ukrainische Medien die 19 Anti-Maidan-Aktivisten zu den Hauptschuldigen der Auseinandersetzungen am 2. Mai 2014 in Odessa.


Maidan-Radikale als angebliche Gewalt-Opfer

Die Polizei hatte die 19 Anti-Maidan-Aktivisten am 2. Mai 2014 am Rande des Griechischen Platzes in Odessa festgenommen. Im Laufe der gewalttätigen Auseinandersetzungen starben dort zudem sechs Personen - darunter zwei Maidan-Unterstützer und vier Anti-Maidan-Aktivisten - nach Schüssen. Die Täter sind bis heute unbekannt. Die Polizei war mit nur 200 Mann angerückt und machtlos gegenüber den 2.000 Demonstranten, die sich gegenseitig bekämpften. Die gesamte Polizeiführung hielt ausgerechnet während der Straßenschlacht eine interne Besprechung ab. Man hatte die versammelten Spitzenbeamten angewiesen, ihre Handys auszuschalten. Dies gab dem nationalistischen Mob in Odessa freie Hand, sich auszutoben.


Kommentar: Bezüglich der Schüsse verhielt es sich vermutlich ähnlich wie bei den Todesschüssen vom Maidan: Überraschung: Journalismus im WDR! Wer waren die Todesschützen auf dem Maidan in Kiew?


Die ungeklärten Schüsse auf Pro-Maidan-Demonstranten stachelten die in voller Straßenkampf-Montur aus Charkow und Kiew angereisten Maidan-Radikalen zu einer Racheaktion an. Sie zogen zum Zeltlager der Maidan-Gegner vor dem Gewerkschaftshaus von Odessa, brannten die Zelte dort nieder und zündeten anschließend mit Molotow-Cocktails das Gewerkschaftshaus an, in das sich mehrere hundert Anti-Maidan-Aktivisten geflüchtet hatten.

Ukrainischer Abgeordneter droht Richtern mit Lynchjustiz

Auch nach den nunmehrigen Freisprüchen der 19 Aktivisten kam es vor dem Ilitschewski-Gericht von Odessa zu Ausschreitungen ukrainischer Nationalisten - diesmal gegen die Polizei. Die Nationalisten versuchten, den Abtransport der Freigesprochenen gewaltsam zu verhindern. In der Nacht auf Dienstag griffen Unbekannte einen der Freigesprochenen an und schlugen ihn mit Gegenständen aus Metall. Das Gewaltopfer musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden, berichtete das Internet-Portal "Timer".

Nach den Urteilen vom Montag drohte zudem der bekannte Abgeordnete der ultranationalistischen Radikalen Partei, Igor Mosijtschuk, den Richtern wegen der Freisprüche unverhohlen mit Lynchjustiz.
Ohne die Entlassung aller Richter geht es nicht. Wenn das nicht geschieht, werden die Ukrainer beginnen, sie zu lynchen", schrieb Mosijtschuk auf Facebook.
Auch Andrej Ilenko, Rada-Abgeordneter der rechtsradikalen Partei Swoboda, forderte von der Regierung in Kiew Maßnahmen wegen der Freisprüche in Odessa. Das Gericht habe "Teilnehmer des Aufstands gegen den ukrainischen Staat freigesprochen". Nun müsse man mit einem "neuen Aufflammen des Pro-Moskauer Terrorismus im ukrainischen Süden" rechnen, schrieb der Abgeordnete im Internet. Den "Versuch einer Revanche" müsse man "mit der Wurzel ausreißen". Sonst werde es "ein Übel geben".


Kommentar: Dieser Abgeordnete ist Teil des Übels, das sich seit mehr als 3 Jahren in der Ukraine abspielt.


Zwei neuerliche Verhaftungen von Freigesprochenen

Die Freude über die Freisprüche, die Juri Tkatschow, der Chefredakteur des kritischen Odessaer Internetjournals "Timer", als Fortschritt angesichts einer ansonsten repressiven Rechtsprechung lobte, war jedoch nur von kurzer Dauer. Unmittelbar nach dem Freispruch verhafteten die Behörden zwei gerade erst Freigesprochene - Sergej Dolschenkow und Jewgeni Mefedow - wegen neuer Beschuldigungen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, im Frühjahr 2014 zu separatistischen Aktionen aufgerufen haben. Gegen die beiden Anti-Maidan-Aktivisten wurden zunächst 60 Tagen Untersuchungshaft verhängt. Diese Maßnahme war vermutlich ein Zugeständnis an die ukrainischen Nationalisten, welche die Rücknahme aller Freisprüche vom Montag fordern.

Mit Richtern, die Anti-Maidan-Aktivisten freisprechen, geht der Rechte Sektor in Odessa nicht zimperlich um. Erst im Dezember 2015 hatten 100 Ultranationalisten den Saal des Manilowski-Gerichtes besetzt und die Richter gezwungen, ihren Rücktritt zu unterschreiben.

Drei tote Kinder nach Brand in einem Kinder-Ferienlager

In Odessa ereignete sich in der Nacht auf den 16. September eine neue Brand-Tragödie mit möglicherweise politischem Hintergrund. In dem vor einem Jahr nach einer Modernisierung wiedereröffneten Kinderferienzentrum "Viktoria" kam es zu einem Brand, bei dem drei Kinder starben. Berichten zufolge befanden sich 42 Kinder in dem Gebäude, welches sehr schnell abbrannte. Insgesamt sollen sich während des Brandes 150 Kinder in dem Lager aufgehalten haben.


Nach Aussage des Katastrophenschutzes funktionierte der Brandschutz in dem Ferienzentrum in der Brandnacht nicht. In den Tagen zuvor hatte der Brandschutz nach Aussagen von Augenzeugen jedoch noch funktioniert. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärt bei seinem Besuch im Ferienzentrum im Mai dieses Jahres, Viktoria sei das beste Kinderferienzentrum der Ukraine.


Der Bürgermeister von Odessa, Gennadi Truchanow, wollte nicht ausschließen, dass Brandstiftung die Ursache des Feuers ist. "Ich möchte es nicht in einen Zusammenhang mit der Politik bringen. Aber es ist sehr interessant und wichtig, die Gründe herauszufinden", erklärte der Bürgermeister. "Ich bitte um eine objektive Untersuchung und ich bitte darum, eine mögliche Brandstiftung nicht auszuschließen", zitiert das örtliche Internet-Portal "Timer" den Bürgermeister der Hafenstadt. Am Dienstag entließ der dieser auch eine für die Aufsicht von Ferienlagern zuständige Spitzenbeamtin sowie vier weitere Spitzenbeamte.

Kinder erzählen über ihre Rettung:


Ukrainische Nationalisten versuchen nun, den Brand im Ferienlager für ihre politischen Ziele zu nutzen. Am Mittwoch kam es in Odessa zu Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Nationalisten und der Polizei. Etwa 500 Nationalisten belagerten den Stadtrat. Schließlich gelang es den Demonstranten, in das Gebäude einzudringen und dort Reden zu halten. Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Bürgermeister Truchanow. Grund des Brandes sei Korruption in der Stadtverwaltung. Genauere Angaben wurden nicht gemacht.

Der Bürgermeister ist für die ukrainischen Nationalisten schon lange ein rotes Tuch. Sie werfen ihm vor, er habe nicht die richtige Gesinnung. Schon der damalige Gouverneur von Odessa, Micheil Saakaschwili, scheiterte an Truchanow, der dem georgischen Populisten die kalte Schulter zeigte.