Im September und Oktober hat sich eine radioaktiv verstrahlte Wolke über ganz Europa ausgebreitet. Die französische Atombehörde Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire(IRSN) vermutet, dass sie sehr wahrscheinlich von einem Unfall in einer Kernbrennstoff- oder Nuklearmedizin-Anlage in Russland oder Kasachstan stammt.
Ruthenium Erde
© IRSNDie Ruthenium-106-Konzentration Ende September
Wie der Independent schreibt, registrierten die europäischen Messstellen in der letzten September- sowie der ersten Oktoberwoche eine unerklärliche erhöhte Radioaktivität in der Luft, deren Ursache die französischen Atomforscher des IRSN in einem nuklearen Zwischenfall zwischen dem Gebiet der Wolga und des südlichen Uralgebirges vermuten, was russisches bzw. kasachisches Territorium sei. Da es sich um das radioaktiven Elements Ruthenium-106 handelt, das künstlich in einem Reaktor hergestellt wird und vor allem in der Krebstherapie Verwendung findet, könnte die Freisetzung möglicherweise in einer derartigen medizinischen Einrichtung, in der Lagerstätte, beim Transport oder bei der Herstellung erfolgt sein. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz erklärte, dass ein Unfall in einem Kernkraftwerk wegen der Art des nachgewiesenen Partikels ausgeschlossen werden könne, da dann zusätzlich zu dem Ruthenium-106 auch noch andere radioaktive Substanzen gemessen worden sein müssten.

Jean-Marc Peres, Direktor des IRSN, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: "Die russischen Behörden haben mitgeteilt, dass ihnen kein Unfall auf ihrem Territorium bekannt sei" und fügte hinzu, dass sein Team noch nicht mit den kasachischen Behörden Kontakt aufgenommen habe. Die freigesetzte Menge an radioaktivem Material am Unfallort schätzt das IRSN auf zwischen 100 und 300 Terabecquerel pro Kubikmeter Luft, was gemäß Peres in Frankreich bereits die Evakuierungen eines Umkreises von mehreren Kilometern zur Folge gehabt hätte.

Sorgen müssen wir uns nicht mehr machen, seit dem 6. Oktober ist die Strahlenbelastung in Europa kontinuierlich zurückgegangen und auch die Gefahr, dass unsere aus der Unfallregion importierte Lebensmittel kontaminiert sein könnten, wird vom IRSN als äußerst gering eingeschätzt. Im Gegensatz zu dem bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl freigesetzten Cäsium-137, das eine Halbwertszeit von 30 Jahren hat, besitzt Ruthenium-106 eine wesentlich kürzere Halbwertszeit von nur einem Jahr. Die höchste in Deutschland gemessene Konzentration von Ruthenium lag bei etwa 5 Millibecquerel pro Kubikmeter Luft, was gesundheitlich völlig unbedenklich war.

Anfang dieses Jahres war es schon einmal zu einem ähnlichen Zwischenfall gekommen, bei dem ebenfalls Osteuropa als Verursacher verdächtigt wurde (wir berichteten). In der zweiten Januarwoche wurde zuerst in Norwegen und dann in Finnland, Polen, Tschechische Republik, Deutschland, Frankreich sowie Spanien geringe Mengen des hoch radioaktiven Radioisotops Jod-131 gemessen. Da Jod-131 nur eine kurze Halbwertszeit von acht Tagen hat, bedeutete das, dass es Anfang Januar irgendwo zu einem Zwischenfall gekommen sein musste, bei dem Strahlung freigesetzt wurde. Zwar waren die Strahlungswerte nicht annähernd hoch genug, um eine Gefahr für unsere Gesundheit oder Umwelt darzustellen, dennoch waren die Behörden in Sorge, denn sie konnten nicht herausfinden, wo die Strahlung herkam und welche Quelle sie auslöste. Messungen aus verschiedenen Orten schienen jedoch darauf hinzudeuten, dass es aus Osteuropa kam. Da nur Jod-131 und keine anderen radioaktiven Substanzen gemessen wurden, vermuten wir, dass es aus einem pharmazeutischen Unternehmen stammt, das radioaktive Drogen herstellt"