Jordan Peterson
© Toroto Star via Getty ImagesJene die Jordan Peterson durch Verweigerung einer Plattform zum Schweigen zu bringen suchen oder ihn als professionellen Polemiker karikieren, verraten jene liberalen Werte, die sie angeblich hochhalten
Diejenigen unter euch, die schon einmal von Jordan Peterson gehört haben, sehen ihn entweder als Inspiration oder als rechtsextremen Volksverhetzer - je nachdem, welchen Blickwinkel man einnimmt. Wer ihn noch nicht kennt, sollte ihn unbedingt kennenlernen.

Peterson ist Kanadier und Psychologie-Professor an der Universität von Toronto. Mir ist der Name vor ein paar Monaten zum ersten Mal zufällig begegnet, als ich auf ein Youtube-Video gestoßen bin, wo er von einigen transsexuellen Studenten dafür kritisiert wurde, dass er sich weigerte, ihre gewünschten Personalpronomen zu verwenden. Man fragt sich vielleicht, was daran so außergewöhnlich sei. Nun, in Kanada gibt es für Transsexuelle jetzt den Gesetzesentwurf C-16, den Peterson als Angriff auf die Meinungsfreiheit betrachtet.

Nachdem ich den Namen wieder vergessen hatte, begegnete er mir vor einem Monat erneut, als ich ein Interview von ihm auf dem britischen Fernsehkanal Channel 4 anschaute, in welchem er im Gespräch mit der Moderatorin Cathy Newman ihre Fehldeutung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles und der patriarchalen Struktur anfocht. Sie gab vor laufender Kamera zu, dass er sie mit dem neckischen Ausspruch "Gotcha!" tatsächlich "erwischt" hatte, als ihr die Argumente ausgingen. Seither wurde er zu einem gefeierten Verfechter der Freien Meinungsäußerung. Sein jüngstes Werk 12 Rules For Life: An antidote to Chaos landete auf Platz Eins der amerikanischen und britischen Bestseller-Liste und toppt damit sogar das Skandalbuch über Donald Trump, Fire and Fury, von Michael Wolff.

Wie kommt es, dass der in Europa weitgehend unbekannte Peterson plötzlich solch ein Star ist? Er schreibt sehr verständlich und gibt grundsätzliche Ratschläge wie "Mach dir die Menschen zu Freunden, die dein Bestes im Sinn haben" oder "Gehe immer davon aus, dass derjenige, dem du gerade zuhörst, etwas weiß, was du nicht weißt" oder "Drück dich präzise aus". Das mag auf den ersten Blick ziemlich offensichtlich und nichtssagend erscheinen, doch Petersons gefühlvolle und erzählerische Darstellungsweise macht diese Lebensregeln so eindrucksvoll.

Man soll nicht glauben, es handele sich dabei um simple Alltagspsychologie und Psychogelaber. Damit würde man ihn völlig unterschätzen. Petersons Arbeit speist sich aus einer Vielzahl bedeutender Quellen. Beispiele sind der Schriftsteller Dostoyevsky, der Psychotherapeut Carl Jung, der Philosoph Nietzsche und die Bibel. Er bezieht sich auch auf Konzepte der Evolutionsbiologie und Neurobiologie. Aus diesen miteinander verwobenen Themen erstellt er eine Anleitung für eine gute und sinnvolle Lebensführung. Peterson betont: " Das Leben ist hart und leidvoll. Wir müssen lernen, mit den unausweichlichen Strapazen des Lebens fertigzuwerden und uns von der Weisheit längst vergangener Zeiten leiten zu lassen".

Er nutzt Beispiele aus der Bibel und der Mythologie, bezieht sich auf Sünde, Himmel und Hölle, Archetypen, menschliche Schwächen, unsere Vorfahren und Gott. Auch wenn er kein Theist oder gar ein Christ im traditionellen Sinne ist, sieht er in den biblischen Geschichten eine verborgene Weisheit, die Widerhall in den Mythen findet, auf die Jung sich bezogen hatte. Sie sind Ausdruck unseres reichhaltigen, kollektiven Unbewussten, das uns und unsere Vorfahren über Jahrtausende geleitet hat. Auf die Frage, ob Gott existiert, sagt er: "Ich denke nicht". Er fügt jedoch hinzu: "Aber ich fürchte, dass er womöglich doch existiert!"

Wie hat er es geschafft, das Publikum für sich zu erobern? Zu einem gewissen Teil liegt es an seiner parabel-artigen Erzählweise und der kraftvollen Emotionalität, die seine Präsentationen auszeichnen - insbesondere vor öffentlichem Publikum. Insgesamt ist es wohl seine zugrundeliegende Botschaft, die im Großen und Ganzen eine Kritik gegenüber vielen Aspekten der modernen Kultur darstellt. Diese bezieht sich auf politische Korrektheit, Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Zentralität der Opferkultur und die Tendenz, einzig im Hier und Jetzt zu leben, ohne den reichhaltigen Erfahrungsschatz der Geschichte einzubeziehen, der Geist und Psyche zur Verfügung steht. Zu einer Zeit, in der die soziale und geschlechtliche Rollenverteilung durcheinandergeraten ist und in der es aus Sicht des Libertarismus kein klares Richtig und Falsch mehr gibt, sondern es einzig und allein nur darum geht, niemandem auf den Schlips zu treten, trifft Peterson den Nerv der Zeit.

Daher ist es keine Überraschung, dass er der Zeitung The Guardian zufolge Pseudo-Fakten heranziehe und sich in Verschwörungstheorien ergehe. Schaut euch seine Youtube-Videos an und entscheidet selbst, ob das eine treffende Dartsellung ist und er wirklich das "smarte Vorbild des dummen Volkes" ist (wie ihn Tabatha Southey von der Kanadischen Zeitschrift Macleans beschreibt).

Für seine Bewunderer vertritt er Ideen, die einmal populär und allgemeingültig waren, jedoch im Zuge der Kulturkriege und der Regelungen zur politisch korrekten Ausdrucksweise verschrien wurden, welche die amerikanischen Kampusse der 80er Jahre beherrscht haben und jetzt nach Europa rübergeschwappt sind. Sie nennen ihn einen "populistischen Intellektuellen". Doch vielleicht haben wir hier auch einfach "den rechten Mann zur rechten Zeit".