Die Hälfte der Menschheit wohnt derzeit in städtischen Ballungsräumen, Tendenz steigend. So ein Leben hat unbestreitbar Vorteile, aber es birgt auch Risiken für die Seele - bestimmte psychische Erkrankungen treten bei Stadtbewohnern und bei Menschen, die hier aufgewachsen sind, deutlich häufiger auf.

Eine deutsch-kanadische Forschergruppe untersuchte in einer Studie 160 freiwillige Teilnehmer auf ihre individuelle Stressverarbeitung. Es galt herauszufinden, ob die Menschen vom Land sich von denen aus der Stadt unterscheiden, wenn es um die Verarbeitung von Reizen geht, die gemeinhin als Stress empfunden werden.

Die Probanden mussten unter Zeitdruck Aufgaben lösen und ihre Gehirne standen derweil unter Beobachtung durch funktionelle Magnetresonanztomographie. Die Ergebnisse waren eindeutig: Stadt- und Landgehirne unterscheiden sich in der Reizverarbeitung, was zur Folge hat, dass Städter ein höheres Risiko für Angsterkrankungen und Depressionen haben. In der Stadt aufgewachsene Menschen sind zudem häufiger von Schizophrenien betroffen.

Alle Studienteilnehmer zeigten unter Stress erhöhte Blutdruck- und Cortisolwerte, zusätzlich aber abhängig vom Wohnort unterschiedliche Aktivierungsmuster im Gehirn. Städter zeigten signifikant höhere Signalwerte in der Amygdala, dem Mandelkern. Dieser Teil des Temporallappens und des Limbischen Systems ist im Wesentlichen für die emotionale Bewertung von Erlebtem zuständig. Einströmende Reize werden hier analysiert, die entstehende Erregung führt zu vegetativen Reaktionen. Diese sind die Voraussetzung dafür, dass der Mensch Gefahren erkennen kann, aber auch lustbetonte Erlebnisse intensiv wahrnimmt. Je nach Bewertung der Situation empfindet man diese Phasen als furchterregend oder angenehm. Kognitiv beeinflussen lassen sie sich nicht.

Wer von den Probanden in einer Großstadt aufgewachsen war, zeigte in der Untersuchung zusätzlich erhöhte Aktivitäten im cingulären Cortex, einem Teil des Frontallappens des Gehirns. Dieser feuert unter anderem auch den Mandelkern an, was das Vegetativum zusätzlich anheizt und in der Situation endet, die man als »Stress« bezeichnet. Die Landbewohner der Studie waren von all diesen spezifischen Hirnaktivierungen nicht betroffen.

Aus früheren Studien weiß man, dass die Chance auf psychische Stabilität eines Menschen wächst, wenn die in der hiesigen Untersuchung auffälligen Areale nicht übermäßig und vor allem nicht permanent stimuliert werden. Genau das passiert aber offensichtlich in der Stadt. Die hier herrschende Reizüberlastung wird als sozialer Stress empfunden und führt verstärkt zu psychischen Erkrankungen. Depressionen sind bei Stadtbewohnern um 21 Prozent häufiger als bei Landbewohnern, Angsterkrankungen sogar um 39 Prozent, das Risiko für eine Schizophrenie ist zwei bis drei Mal so hoch.

Die Untersuchung hat allerdings auch Mängel: Es wurden zu wenig Probanden einbezogen, zudem stammten alle aus Deutschland. Darüber hinaus ist nicht sicher geklärt, was genau diesen Stress in der Stadt entstehen lässt. Die aktuelle These hierzu ist: Dort leben zu viele Menschen auf zu engem Raum. Trifft das zu, sind die Stadtplaner gefragt. Um die Bewohner vor Reizüberlastung zu schützen, gilt es Raum und Ruhe zu schaffen und damit Bedingungen, die für ein psychisch gesundes Leben notwendig sind.