Es ist eine beunruhigende Beobachtung: Auf besonders regenreiche Taifune in den Tropen folgen oft verheerende Erdbeben. Offenbar rauben die Wassermassen dem Untergrund seinen Halt. Vielen Ländern droht so ein doppeltes Desaster.
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Im Herbst 2008 wirbelten riesige Hurrikane über der Karibik. Anderthalb Jahre später verwüstete ein Erdbeben die dort gelegene Insel Haiti. Im August 2009 stürmte Taifun "Morakot" über Taiwan. Gut ein halbes Jahr später erschütterte das stärkste Beben seit mehr als hundert Jahren den Südosten des Landes. Alle glaubten an Zufall - schließlich ziehen in den Tropen ständig Wirbelstürme auf. Und irgendwann bebt es nun mal.

Jetzt aber zeigen Geoforscher, dass die Taifune die Beben ausgelöst haben könnten. Es waren nämlich besondere Wirbelstürme, die in jenen Jahren über Haiti und Taiwan gewütet hatten. Sie brachten extrem viel Regen: Taifun "Morakot" etwa ließ binnen fünf Tagen knapp viermal so viel Wasser zu Boden prasseln, wie auf gleicher Fläche in Deutschland im Jahr fällt.

Die Sturzfluten entfesselten zahllose Erdlawinen. Gigantische Mengen Erdreich strömten auf diese Weise vom Festland ins Meer. Damit sei der Weg frei geworden für die nächste Naturkatastrophe, meint der Geophysiker Shimon Wdowinski von der University of Miami: Von Auflast befreit, gerieten seinen Aussagen zufolge Felspakete im Untergrund in Bewegung. Die weggespülten Landmassen hatten Klüfte im Boden, die unter Spannung standen, zuvor zusammengepresst wie eine Schraubzwinge.

Die neue Studie stützt sich auf eine erstaunliche Statistik, die Wdowinski nun auf der Herbsttagung der Amerikanischen Geophysikalischen Union (AGU) in San Francisco vorstellt: Demnach ereigneten sich 85 Prozent aller Starkbeben in Taiwan innerhalb von vier Jahren nach einem regenreichen Taifun - das seien fünfmal so viele Beben dieser Stärke wie im statistischen Durchschnitt eigentlich zu erwarten wären. Auch schwächere Beben ereigneten sich in vier Jahren nach einem besonders nassen Wirbelsturm doppelt so häufig wie zu erwarten wäre.

Das Ergebnis überrascht, obwohl das zugrunde liegende Prinzip bekannt ist: Dass es beben kann, wenn sich die Auflast des Bodens ändert, gilt als gesichert. Im Jahr 1967 etwa löste das mächtige Wasserreservoir des Koyna-Staubeckens in Indien ein verheerendes Beben aus. Der See füllte sich gerade und fügte dem Untergrund bis dahin nicht gekannte Belastungen zu. Diese führten zum Beben, rund 200 Menschen starben.

Der Boden springt wie eine Feder

Gleichwohl haben Forscher Schwierigkeiten, aus ihren bisherigen Erkenntnissen auch Prognosen abzuleiten. Denn ob der Boden wackelt, hängt auch davon ab, wie die Gleitflächen des Gesteins im Untergrund verlaufen. Schieben sich Erdplatten aufwärts wie in Taiwan, beben sie, sobald Erdreich von ihnen heruntergespült wird - der Boden springt wie eine freigelegte Feder. Andere Orte hingegen sind gefährdet, wenn das Gewicht auf dem Boden zunimmt: Schiebt sich eine Platte ins Erdinnere, kann zusätzliche Auflast sie zum Beben bringen - ähnlich einem Sandkorn, das einen Sandhaufen zum Einstürzen bringt.

Ein solcher Fall sei das südliche Himalaya-Gebirge, berichtet nun Thomas Ader vom California Institute of Technology in Pasadena auf der AGU-Tagung. GPS-Stationen hätten gezeigt, dass die Indische Erdplatte während jeder Monsunsaison von Regenmassen eingedellt werde. Nur ein paar Millimeter, aber mit Folgen: Während der Monsun-Monate bebe es dort häufiger, sagt Ader. Glücklicherweise gebe es meist nur schwaches Zittern: Stundenlang ruckeln dann kilometerdicke Gesteinspakete übereinander.

Ähnliches Vibrieren des Bodens hatten Geoforscher in Taiwan registriert - dort jedoch wird es offenbar durch Entlastung des Bodens hervorgerufen und nicht wie im Himalaya durch Belastung. Auslöser in Taiwan seien Taifune, berichteten Experten bereits vor zwei Jahren im Wissenschaftsmagazin Nature. Diese Studie machte allerdings den niedrigen Luftdruck der Wirbelstürme für die Beben verantwortlich und nicht die Regenschwemme. Der Effekt war aber der gleiche: Das fragile Gestein im Untergrund wurde entlastet.

Sind die prognostizierten Doppelkatastrophen physikalisch plausibel?

Nun jedoch setzt die Studie von Geophysiker Wdowinski auf der AGU-Tagung noch einen drauf: Auch die Starkbeben des Landes würden also von Taifunen entfacht. Ein Warnsignal für andere Länder, meint der Forscher: In Wirbelsturmregionen wie Japan, den Philippinen, Zentralamerika und der Karibik könnten die Unwetter ebenfalls Beben auslösen, folgert der Experte - sofern die geologischen Verhältnisse es zuließen.

Experten auf der AGU-Tagung halten die Studie für plausibel. "Taifune scheinen Erdbeben an flach geneigten Störungszonen und auf stark gespannten Böden zu begünstigen", resümiert der Seismologe Christian Klose von der Geophysik-Firma "Think GeoHazards", ein angesehener Experte für Spannungsberechnungen. Gleichwohl müssten genauere Untersuchungen folgen, sagt Klose.
Zunächst seien weitere Daten nötig, um den Beweis statistisch abzusichern. Außerdem müsste überprüft werden, ob die prognostizierten Doppelkatastrophen physikalisch plausibel sind: Wird bei den Taifunen wirklich genügend Erdreich verschoben? In welcher Weise geraten Felsmassen im Boden in Bewegung? Warum bleiben andere Klüfte unbeweglich, trotz der Stürme?

Die Rechnungen von Wdowinski zeigen immerhin, dass die Taifune in Taiwan den Boden großflächig um 2000 Pascal entlastet haben. Gestein, das unter Hochspannung steht, könnte dadurch bersten - und beben.