Ein Harzer Käse aus Österreich hat vor zwei Jahren acht Menschen das Leben gekostet. Der Skandal um den bakterienverseuchten Käse hat exemplarisch gezeigt, was bei Lebensmittel-Warnungen schief gehen kann.

5. Januar 2010: Die Geschichte beginnt an diesem Tag in Wien. Der 54-jährige Andreas P. wird in seiner Wohnung leblos aufgefunden. Er liegt im Koma. Wie sich später herausstellt, ist das die Folge von Keimen in einem gekauften Käse. Ein neuer Erregerstamm von Listerien, die Lunge und Gehirn angreifen, hatte den Weg in das Milchprodukt gefunden. Bis Anfang Januar 2010 waren 23 Menschen schwer erkrankt und fünf sogar gestorben. Die Ermittler der Agentur für Gesundheit- und Ernährungssicherheit Österreichs (AGES) versuchten daraufhin fieberhaft, die Infektionsquelle zu finden. Dazu wurden die Kassenzettel der Erkrankten auf ihre Ernährungsgewohnheiten untersucht.

Erster Schritt: Infektionsquelle finden

15. Januar: Den Ermittlern fiel auf, dass oft Quargel, so nennt man Harzer Käse in Österreich, gekauft wurde. "Dann sind wir am selben Tag in diesen Lebensmittelbetrieb und haben dort Proben gezogen, sind am selben Tag in die Geschäfte, wo die Patienten Quargel gekauft haben und haben auch dort Proben gezogen und der Großteil dieser Proben war massiv mit Listerien kontaminiert", erläutert Prof. Franz Allerberger, Leiter Human-Medizin der AGES.

Produktionsstopp nach vier Tagen

19. Januar: Die vorgeschriebenen Untersuchungen beim Hersteller wurden abgeschlossen und die Produktion gestoppt. Doch damit war der Spuk nicht vorüber. Schließlich hatten sich Produkt und Erreger bereits verbreitet. Der Käse wurde auch nach Deutschland geliefert - an den Discounter Lidl.

22. Januar: Nach der Auswertung aller Proben gab die AGES eine Warnmeldung in das "RASFF" - das Schnellwarnsystem der EU, über das Lebensmittelwarnungen verbreitet werden. Das zuständige Gesundheitsministerium von Baden-Württemberg informierte Lidl und am Abend wurde begonnen, den Käse aus den Regalen zu räumen.

Lidl warnt zurückhaltend - weiterer Todesfall

23. Januar: Der Discounter informierte auf seiner Internet-Seite über den Warenrückruf. Den Käufern wurde geraten, den Käse aus "Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes" nicht zu verzehren. Er könne "unter besonderen Umständen lebensgefährlich sein". Über die Todesfälle in Österreich war Lidl nach Informationen von Foodwatch zu diesem Zeitpunkt bereits informiert. Die Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch warf dem Unternehmen deshalb vor, nicht eindringlich genug gewarnt zu haben.

11. Februar: Knapp drei Wochen nach der ersten Lidl-Warnung wurde ein Mann mit einer schweren Listeriose in eine hessische Klinik eingeliefert. Er sollte das achte und letzte Todesopfer werden. Der Mann musste den Harzer noch im Kühlschrank gehabt und von der Warnung nichts mitbekommen haben.

16. Februar: Erst zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Lidl eine zweite wichtige Verbraucherwarnung, in der die Todesfälle in Deutschland erwähnt wurden. Somit dauerte es fast einen Monat, bis der deutsche Verbraucher erfuhr, dass Menschen an diesem Käse gestorben waren.

Strafanzeige gegen Gesundheitsministerium

Die Vorwürfe von Foodwatch richten sich aber nicht nur gegen Lidl, sondern auch gegen das zuständige Gesundheitsministerium. In dessen Ermessen hätte es gelegen, selbst deutlich zu warnen. Foodwatch stellte deswegen Strafanzeige. "Es ist nicht auszuschließen, dass man, wenn man offensiver informiert hätte, den Todesfall hätte verhindern können", erläutert Matthias Wolfschmidt die Ansicht von Foodwatch.

Doch da die Behörden keine gesetzliche Informationspflicht haben, wurde das Verfahren eingestellt. In der Begründung heißt es, dass eine "öffentliche Verbraucherwarnung durch die zuständige Behörde ... entbehrlich" gewesen sei, weil Lidl - nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Verbraucher - bereits "unmittelbar und ausreichend" informiert habe. Es gebe einen "Beurteilungsspielraum".

Gesetzesänderung soll Sicherheit erhöhen

Doch diesen Spielraum wird es ab Herbst 2012 nicht mehr geben. Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag eine Gesetzesänderung gebilligt, nach der die Behörden ab Herbst verpflichtet sind, "alle Rechtsverstöße durch Grenzwertüberschreitungen zwingend zu veröffentlichen." Dies bedeutet eine Abkehr vom bisherigen Warnprinzip. Bis sich die Politik zu dieser Informationspflicht entschieden hatte, brauchte es aber noch einen weiteren Skandal - den um dioxinverseuchte Eier und die damit verbundenen Warnpannen.

Matthias Wolfschmidt und Foodwatch wollen gern an eine Besserung glauben: "Wir hoffen, dass diese Formulierung ausreicht, den Beamten in aller Deutlichkeit zu sagen: Ihr müsst die Öffentlichkeit informieren und ihr dürft keine Rücksicht auf womögliche Regressforderungen seitens der Unternehmen nehmen."