In den USA spielt das Wetter verrückt. 2011 war ein Jahr der extremen Phänomene. Doch auch der Bericht der Wetter-Behörde über das erste Halbjahr 2012 liest sich wie ein Buch der Rekorde.
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© AFPÜberflutete Häuser sind in den USA keine Seltenheit mehr. Der ungewöhnlich starke Regen ist für Meteorologen eine Folge des Wetterphänomens La Niña
Mit historischen Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen war das vergangene Jahr laut einer internationalen Klima-Studie ein Jahr der Extreme. 2011 werde weltweit als "Jahr der extremen Wetterphänomene" in Erinnerung bleiben, sagte die Vizechefin der US-Behörde für Wetter- und Meeresforschung (NOAA), Kathryn Sullivan. Bezogen auf extreme Wetterlagen, war 2011 demnach das turbulenteste Jahr der vergangenen 30 Jahre.

Die extremen Wetterphänomene sind nach Einschätzung der Autoren keine eindeutige Folge des Klimawandels. Der Bericht, der in dieser Hinsicht "bewusst konservativ" gehalten ist, führt das turbulente Wetter vor allem auf das Klimaphänomen La Niña zurück. Als Beispiele werden darin etwa schwere Dürren in Ostafrika, im Südwesten der USA und im Norden Mexikos genannt.

La Niña beschreibt ein Wetterphänomen, bei dem im Pazifik auf Höhe des Äquators ungewöhnlich niedrige Temperaturen herrschen. Es war 2011 unter anderem mitverantwortlich für eine ungewöhnlich heftige Tropensturm-Saison im Nordatlantik.

Außerdem verursachte das Phänomen im vergangenen Jahr Rekord-Regenfälle in Australien, die zu katastrophalen Überschwemmungen führten. La Niña kommt alle vier bis fünf Jahre vor und dauert ein bis zwei Jahre an.

La Niña habe bei vielen der extremen Wetterphänomenen eine Rolle gespielt, aber "mit Sicherheit" nicht bei allen, sagte der Leiter des Klimazentrums der NOAA, Tom Karl, bei der Vorstellung des Berichts, der in diesem Jahr erstmals durch eine eigene Untersuchung zum Klimawandel ergänzt wurde. Darin wird an sechs Beispielen aufzeigt, dass die Wahrscheinlichkeit extremer Wetterphänomene mit dem Anstieg der Temperaturen größer wird.

Die Studie habe gezeigt, dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für ein Auftreten der untersuchten Wetterextreme "verändert" habe, sagte der Klimaexperte Peter Scott vom britischen Wetterdienst. Eine Hitzewelle, wie es sie etwa 2011 im US-Bundesstaat Texas gab, sei während eines La-Niña-Zyklus heute 20 Mal wahrscheinlicher als vor 50 Jahren. In Großbritannien ist ein besonders milder November wie 2011 demnach sogar 62 Mal wahrscheinlicher.

In der Arktis besonders sichtbar

2011 waren die Klimaveränderungen dem Bericht zufolge wie in den Vorjahren besonders deutlich in der Arktis sichtbar. Das arktische Packeis sei im Sommer auf die zweitkleinste Größe geschmolzen, die dort jemals im Sommer gemessen wurde.

Die Antarktis erlebte am 25. Dezember 2011 mit einer Minustemperatur von zwölf Grad ihren bislang wärmsten Tag seit Beginn der Messungen. Insgesamt war 2011 eines der 15 wärmsten Jahre seit Beginn der Messungen Ende des 19. Jahrhunderts. Auch die Gletscher schmolzen der Studie zufolge weltweit weiter.

Bei ihrer Suche nach Hinweisen auf den Klimawandel berücksichtigten die Autoren 43 Indikatoren, darunter die Konzentration von Treibhausgasen in der Luft, den Salzwassergehalt in den Ozeanen und die Schneedecke.

Aktuelles Jahr weiter auf Rekordkurs

Den Forschern zufolge stieg die Konzentration der wichtigsten Treibhausgase in der Atmosphäre weiter an und erreichte einen neuen Rekordwert. Von einer Million Luftteilchen waren 2011 erstmals mehr als 390 Kohlendioxid-Moleküle. Das waren 2,1 mehr als 2010.

An dem Bericht waren fast 400 Wissenschaftler aus 48 Ländern beteiligt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Bulletin of the American Meteorological Society veröffentlicht.

Doch auch im aktuellen Jahr bleiben die Amerikaner von Wetterextremen nicht verschont. Sie erleben bisher das wärmste Jahr seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen 1895, teilte die NOAA mit. Landesweit sei es von Januar bis Juni durchschnittlich etwa 2,5 Grad Celsius wärmer gewesen als üblich. Die Rekordwerte während der Hitzewelle, die gerade erst nach mehr als einer Woche weitgehend abgeklungen ist, sind in diese Statistik noch nicht einmal eingeflossen.

Wärmer als jemals seit dem Bürgerkrieg

Der NOAA-Bericht über das erste Halbjahr 2012 liest sich wie ein Buch der Rekorde: In der Windy City, der "windigen Stadt" Chicago sei es im Mittel 3,8 Grad wärmer gewesen als normal. Die Metropole New York habe gar den höchsten Temperaturdurchschnitt seit dem Bürgerkrieg vor 150 Jahren gemessen.

Auch die vergangenen zwölf Monate zusammengenommen waren so warm wie nie. Allein im Juni herrschte in mehr als der Hälfte des Landes Dürre - dieser Wert wurde zuletzt im Jahr 2000 erreicht. Waldbrände hätten mehr als 10.000 Quadratkilometer vernichtet. Das ist, als wäre halb Rheinland-Pfalz abgebrannt.

Zwischen Pazifik und Atlantik seien seit Jahresbeginn an 22.356 Orten Wärmerekorde aufgestellt worden, berichtete die USA Today unter Berufung auf Meteorologen. Nur 2448 Mal seien dagegen Kälterekorde gekippt.

Regen mit Brachialgewalt

Grund für das ungewöhnlich milde Klima sei der Jetstream - ein Starkwindband in fünf bis zehn Kilometern Höhe. Er verlaufe seit Dezember ungewöhnlich weit im Norden, so dass nahezu alle US-Staaten weniger Kühle und Regen erlebten als üblich, sagte der Klimaexperte Jake Crouch der Zeitung.

Wenn der Regen doch kam, dann oft mit Brachialgewalt. Tropensturm "Debby" setzte viele Gebiete Floridas unter Wasser und bescherte dem Staat den nassesten Juni seit Beginn der Aufzeichnungen. Weit im Norden in Minnesota schlug heftiger Niederschlag unversehens tödliche Fluten los.

Ein äußerst seltener Gewittersturm namens "Derecho" schoss ohne Vorwarnung so schnell über den Osten des Landes hinweg, dass zahlreiche Menschen von Bäumen erschlagen oder von Blitzen getötet wurden. In mehr als 3,5 Millionen Haushalten fiel der Strom aus - in einigen eine Woche lang. Und das mitten in einer extremen Hitzewelle.

"Von Menschen verursachter Klimawandel"

Vor allem Klimaschützern liefern diese Wetterphänomene frische Argumente für ihre Warnung vor der globalen Erwärmung. "Das Wetter ist nicht mehr komplett "natürlich"", sagte etwa Professor Don Wuebbles von der University of Illinois dem National Journal. "Von Menschen verursachter Klimawandel ist heute ein Faktor in allen Wetterereignissen", neben vielen anderen Einflüssen.

Auch Mitglieder der Regierung von US-Präsident Barack Obama vertreten diese Meinung, wenn auch vorsichtig. "Man kann immer einen untypischen Sommer haben", sagte etwa Heimatschutzministerin Janet Napolitano jüngst. "Aber wenn man einen nach dem anderen sieht, dann gibt es einen Trend".

Obamas Klimaschutzgesetz ist im Kongress gescheitert, Unterstützer hoffen auf einen Neuanlauf in einer möglichen zweiten Amtszeit.

Von den Polarkappen bis in den Hinterhof

Das Rekordwetter ist für viele US-Wissenschaftler und Politiker dagegen längst kein Grund, Schlüsse zu ziehen. Für eine wissenschaftliche Fundierung reichten die aktuellen Beobachtungen nicht aus, mahnen sie.

Doch viele Amerikaner sehen das in diesen Tagen anders: "Es sind nicht mehr nur die Eisbären", die zu leiden hätten, schrieb die Los Angeles Times in einem Editorial. "Die vergangenen Wochen brachten die Realität des Klimawandels von den Polarkappen in unseren Hinterhof."