Türkei setzt Beschuss syrischen Bodens fort ohne NATO-Mandat - Syrer verhalten sich ruhig

Während gestern in Deutschland Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit das Bild im Land bestimmten, gab es in Syrien erneut Anschläge, die vielen Menschen das Leben kosteten. Die nordsyrische Handelsmetropole Aleppo wurde erneut hart getroffen von mehreren Bombenanschlägen, die in den frühen Morgenstunden den zentralen Platz, Sadallah al-Jabri, verwüsteten. Man geht von circa 40 Toten und über 100 Verletzten aus. Ziel des Angriffs war ein Offiziersclub am zentralen Platz Aleppos. Nachdem bereits der historische Basar zerstört wurde, war nun der nächste Platz in Aleppo dran. Die Aleppiner spüren täglich die Rache der frustrierten Terroristen, die nicht wirklich schlagkräftig gegen die Armee vorgehen können, die im Vorfeld angekündigt wurde.

Wer sich nicht auf die Seite der Assad-Gegner stellt wird dies bereuen, so drohte man den Aleppinern vor einigen Monaten, da die sich mehrheitlich aus den Konflikten heraushielten oder sich auf die Seite Assads stellten. Die meisten Ausschreitungen, die Aleppo bis zum Sommer 2012 erlebte waren schnell einzudämmen und gingen hauptsächlich von auswärtigen Studenten aus, die immer wieder innerhalb der Universität für Unruhen und Konflikten sorgten. Doch seit etlichen Wochen wird in der einst so blühenden Metropole gekämpft, alles wird zerstört. Für den Westen ist die Verurteilung der Ereignisse sehr einfach: Die Assad-Truppen sind die Bösen, die nicht nur alles verwüsten, sondern auch morden, während die Gegner Oppositionelle sind, die sich den Schlächtern der Regierung entgegenstellen. Doch so funktioniert die Beurteilung absolut nicht.

Viele Islamisten und ausländische Söldner, die aus umliegenden Ländern nach Syrien eingeschleust werden sorgen immer wieder für brutale Übergriffe. Sie ziehen raubend, mordend und plündernd durch die Straßen und provozieren den Einsatz von schwerer Artillerie. Dass die Soldaten trotz allen Hinterhalten dennoch eher zurückhaltend vorgehen, wird nicht berichtet. Im Gegenteil: Das Bild der Monster, die Assad persönlich losschickt wird aufrechterhalten und immer wieder neu fundiert. Während man immer wieder Videos als Beweis für angebliche Gräueltaten der Armee benutzt, ohne deren Richtigkeit zu überprüfen, werden Darstellungen der syrischen Regierungsseite nicht verwendet oder von vornherein als Propaganda denunziert.

Die schrecklichen Bombenanschläge in Aleppo, und wie in einigen Quellen berichtet wird, auch in Deir az-Zour waren aber nicht die einzigen beunruhigenden Nachrichten aus Syrien. Im Laufe des Tages gab es Meldungen über Angriffe von syrischem Boden aus auf die türkische Grenzstadt Akcakale mit Granaten. Bei diesem Angriff wurden eine Mutter und deren Kinder getötet, mehrere Personen wurden verletzt. Nach türkischen Meldungen wurden die Granaten aus dem syrischen Grenzort Tell Abjiad abgefeuert. Wer tatsächlich hinter dem Angriff steckt ist nicht klar, scheint aber den Medien auch vollkommen egal zu sein. Mit den Vorfällen von gestern hat man nur neues Futter, weiter gegen die syrische Regierung zu hetzen, ohne Untersuchungen einzuberufen und deren Ausgang abzuwarten. Der syrische Grenzort Tell-Abjiad wird derzeit umkämpft, hier kommt es also immer wieder zu Gefechten zwischen der Regierungsarmee und Bewaffneten bzw. Kämpfern der FSA.

Wer kann eigentlich momentan garantieren, dass nicht die FSA die Granaten auf die Türkei abgefeuert hat, um die Provokationen zu erhöhen und die von ihnen schon so lange geforderte militärische Intervention bzw. die Errichtung einer Flugverbotszone und humanitärer Korridore entlang der syrisch-türkischen Grenze durchzusetzen? Wer hat Vorteile von einem auf die Türkei übergreifenden Konflikt und die offene Einmischung der Türkei in syrische Angelegenheiten? - Die syrische Regierung mit Sicherheit nicht. Die syrische Regierung dürfte derzeit keinen Gedanken daran verschwenden, den stärksten Nachbarn, der auch noch NATO-Mitgliedsstaat ist, anzugreifen. Man dürfte den gestrigen Angriff also erneut als gezielte Provokation verstehen, die dazu dienen soll, doch einen von der NATO unterstützten und abgesegneten Einmarsch auf syrisches Territorium zu erreichen.

Nur wenige Stunden nach dem Angriff auf das türkische Grenzstädtchen wurde eine NATO-Sondersitzung einberufen, auf der sich Washington erneut der Türkei verbunden fühlt. Umso weniger überraschend sind die neuen Worte aus dem Weißen Haus, die einmal mehr verdeutlichen, dass man Assads Kopf rollen sehen (im übertragenden oder wörtlichen Sinn) will und dafür mittlerweile zu allem bereit ist. Obwohl die Türkei mit den Hufen scharrt und die Unterstützung Amerikas bekommen hat, scheint Deutschland momentan zumindest einen offenen Krieg verhindern zu wollen. Westerwelle verurteilte den Angriff zwar, warnte aber vor einer übereilten Reaktion und vor allem vor einem Eskalieren der Situation. Das dürfte dann in den nächsten Tagen und Wochen bedeuten, dass Deutschland in die Mangel genommen wird, um seinen Anti-Kriegs-Kurs zu überdenken.

Je deutlicher der Westen erkennt, dass die bisher eingesetzte Strategie des „leichten Krieges“, also dem Einschleusen von Söldnern und die Unterstützung von allen möglichen Gruppen, nichts bringt, desto lauter werden die Kriegsrufe. Ob man sich auf einen offenen Krieg einlassen wird, ist aber zumindest bis nach den US-Wahlen eher unwahrscheinlich. Obama will keinen offenen Krieg und sich damit wertvolle Stimmen entgehen lassen, also wird es wohl vorläufig so weitergehen wie bisher. Was nach den US-Wahlen geschehen wird, steht noch auf einem anderen Blatt und wird sich zeigen. Nun bleiben auch erst einmal die nächsten Tage abzuwarten, ob die Türkei nicht vielleicht doch einen Alleingang mit Hilfe von Saudi-Arabien und Katar unternimmt. Das Risiko dazu dürfte zwar gering sein, aber es ist da. Vielleicht wird die Türkei durch die Ankündigungen des Irans und der PKK zurückgehalten, die im Falle eines offenen Krieges sich auf die Seite Syriens stellen werden.

Die Situation ist derzeit mehr als heikel. Man kann nur darauf hoffen, dass die syrische Regierung ihren eigenen Mahnungen folgt und rational, ruhig und besonnen verhält, trotz anhaltenden Beschusses aus der Türkei bei dem bereits mehrere Soldaten getötet wurden. Die Türkei will unbedingt ein NATO-Mandat erzwingen und wettert gegen Syrien, richtete ein Schreiben an den UN-Sicherheitsrat und will Unterstützung bei Maßnahmen, um die Gefahr für die Türkei zu beseitigen. Der Versuch der Türkei, Rückhalt vom UN-Sicherheitsrat und der Nato zu bekommen, schlug schon einmal fehl und dürfte auch jetzt kaum anderer Ergebnisse bringen. Russland und China werden definitiv weiterhin ihr Veto gegen eine äußere Einmischung in Syrien einlegen, so dass der UN-Sicherheitsrat weiter blockiert ist. Die NATO ist auch (noch) nicht zu einem Einsatz bereit, sonst wäre die Entscheidung auf der Dringlichkeitssitzung gestern Nacht anders ausgefallen.

Für den Konflikt in Syrien gibt es keinen Ausweg, wenn der Westen auch weiterhin meint, sich in die Angelegenheiten eines souveränen Staates so extrem einmischen zu müssen, wie das bisher geschieht. Solange nicht endlich wirkliche Schritte unternommen werden, das Genfer Abkommen vom 30.06.2012 tatsächlich umzusetzen, wird Syrien weiter in Gewalt versinken. Es braucht einen Dialog, zu dem sich die Regierung bereit erklärt, wenn dieser ohne Vorbedingungen, sprich ohne den vorherigen Sturz Assads, und mit Vertretern der jetzigen Regierung sowie innersyrischen Oppositionellen umgesetzt wird. Nur durch einen solchen Dialog und dem Abziehen der ausländischen Söldner sowie dem Ende der Finanzierung, Bewaffnung und militärischen Hilfe der Bewaffneten kann Syrien aus der Gewaltspirale gerettet werden. Doch wer hat denn daran schon wirkliches Interesse?