Die "schwer schuftenden Redakteure" des amerikanischen Nachrichtensenders CNN zogen einen Artikel von der Internetseite des Senders zurück, nachdem es massive Kritik über den Bericht über weibliche Wähler gehagelt hatte, den viele Leser als »sexistisch« einstuften. Auf cnn.com war man der uralten Frage nachgegangen: »Steuern Hormone die Wahlentscheidung von Frauen?«.
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Bei ihrer Suche nach Antworten stießen die "Journalisten" auf eine Untersuchung der Universität von Texas in San Antonio, die zu dem Schluss gekommen war, dass die biologischen Veränderungen in den verschiedenen Phasen des weiblichen Zyklus einen feststellbaren Einfluss auf die Art und Weise haben, wie sich Frauen - hysterisch und leicht zu beeinflussen, wie sie offenbar nach Ansicht von CNN nun einmal sind - am Wahltag entscheiden.

»Die Wissenschaftler fanden heraus, dass alleinlebende Frauen in den fruchtbaren Tagen ihres Zyklus, wenn der Östrogenanteil im Blut hoch ist, eher dazu neigen, Obama zu wählen, während Frauen, die in einer festen Beziehung leben, sich mit einem Unterschied von mindestens 20 Prozent offenbar für Romney entscheiden würden«, erläuterte Kristina Durante von der Universität von Texas die Ergebnisse gegenüber CNN. »Dies scheint auch der entscheidende Faktor hinter der allgemeinen Beobachtung der Forscher zu sein, dass allein lebende Frauen eher Obama und in einer Beziehung lebende Frauen eher Romney zuneigen«, berichtete der Sender. Nach Einschätzung von Durante neigten Frauen übertrieben dazu, »den Hormonanstieg für ihr Bedürfnis nach Sex mit anderen Männern verantwortlich zu machen... Dies ist eine Möglichkeit, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie nicht der Typ Frau seien, diesem sexuellen Drang nachzugeben«, interpretierte CNN die Erklärung der Wissenschaftlerin.

Durantes Arbeit wurde niemals öffentlich zugänglich gemacht, und so machte dieser Artikel über den offensichtlich unsinnigen, aber möglicherweise »wahlentscheidenden« Einflussfaktor, den CNN in seinem bekannt "kritischen Journalismus" ausgemacht hatte, zur spontanen Zielscheibe heftiger Angriffe im Internet. »CNN sollte sich dafür schämen, überhaupt die Frage zu stellen, inwieweit Hormone die Wahlentscheidung von Frauen beeinflussen, und schon gar nicht einen Artikel dazu veröffentlichen«, twitterte Jamil Smith vom Konkurrenzsender MSNBC, und Kat Stoeffel vom New York Magazine fragte ihrerseits: »Wie verhält es sich bei Störungen bei der Hormonproduktion? Enden wir dann damit, Michael Fassbender zu wählen und tun wir unaussprechliche Dinge gegenüber Medicaid?«

Nur wenige Stunden nachdem CNN diesen Artikel auf seine Internetseite gestellt hatte, sahen sich die Internet-Redakteure bereits gezwungen, ihn von dort wieder zu entfernen, und an seiner Stelle die folgende Erklärung zu veröffentlichen: »Ein früherer Beitrag an dieser Stelle über eine Untersuchung, inwieweit Hormone die Wahlentscheidung beeinflussen könnten, wurde entfernt. Nach gründlicher Beurteilung gelangte man zu dem Schluss, dass einige Aspekte des Artikels nicht den redaktionellen CNN-Standards entsprechen.«

Nach Angaben der an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen sie zu den genannten Schlussfolgerungen, nachdem sie mit 275 Frauen, die sich in unterschiedlichen Phasen ihres Zyklus befanden, per Internet Interviewgespräche über ihre politische Ausrichtung zu diesem besonderen Zeitpunkt geführt hatten. Die Verfasserin des CNN-Artikels, Elisabeth Landau, verteidigte sich auf Twitter, nachdem ihr Artikel gelöscht worden war, u.a mit den Worten: »Nur um es einmal festzuhalten, ich habe über eine Untersuchung mit durchaus kritischen Untertönen berichtet, die in einer Zeitschrift erschien, deren Artikel von Fachkollegen begutachtet werden (›Peer-Review‹). Ich habe die Untersuchung nicht erarbeitet.«

Die Frauen- und Geschlechtsforscherin Susan Caroll, die an der Rutgers-Universität des US-Bundesstaates New Jersey einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft innehat, bezweifelte gegenüber Jezebel.com die angebliche Seriosität der Untersuchung: »Es gibt keinerlei Gründe für die Vermutung, die Hormone einer Frau beeinflussten ihr Wahlverhalten, ebenso wie die Annahme haltlos ist, Schwankungen in der Testosteronkonzentration seien für das unterschiedliche Verhalten von Obama und Romney bei ihren [TV-] Debatten verantwortlich.«

Lassen wir einmal die wissenschaftlichen Aspekte beiseite; nach Auffassung des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Gallup gibt es durchaus feststellbare Unterschiede, wenn es um Wahlentscheidungen der beiden Geschlechter geht, aber dankenswerterweise verzichtet das Institut darauf, das zum Thema absurder biologischer Diskussionen zu machen. In dieser Woche lag der frühere Gouverneur von Massachusetts und republikanische Herausforderer Mitt Romney übrigens bei männlichen Wählern mit einem Vorsprung von 14 Punkten vorne, während Präsident Obama einen achtprozentigen Vorsprung bei Frauen besaß, die bei den "Wahlen" im kommenden Monat abstimmen wollen.