Wann erreichen die Menschen ihren intellektuellen Zenit? Ein US-Forscher hat eine provokante Theorie: Es war schon vor mehreren tausend Jahren, seitdem befinden wir uns im Sinkflug. Als Erklärung dienen neben den Genen frühzeitliche Jäger - und Banker-Boni.
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Hamburg - "Ich würde wetten, dass ein durchschnittlicher Bürger aus dem Athen vor 3000 Jahren, der plötzlich in unserer Zeit auftauchen würde, einer der hellsten und intellektuellsten Köpfe wäre. Mit einem guten Gedächtnis, einer großen Palette von Ideen und einem klaren Blick für das Wesentliche." Mit diesem Szenario beginnt der US-amerikanische Entwicklungsbiologe Gerald Crabtree einen zweiteiligen Fachartikel im Magazin Trends in Genetics.

Crabtree stellt in dem Aufsatz die These auf, dass die Menschen bereits vor Jahrtausenden ihren intellektuellen Zenit erreicht hatten. Mit der Entwicklung eines sesshaften Lebensstils und verbesserten Überlebensbedingungen ging es langsam bergab. Denn seitdem konnten sich Mutationen im Erbgut ansammeln, die den Intellekt beeinträchtigen. Es ist eine steile These; der Forscher von der Stanford University stellt auch klar, dass er möglicherweise total falsch liegt.

Crabtree argumentiert in erster Linie mit Genetik. 2000 bis 5000 Gene sind seiner Berechnung zufolge für den Intellekt wichtig. Bei der Häufigkeit, mit der schädliche Mutationen im menschlichen Genom auftauchen, sei es daher wahrscheinlich, dass wir alle im Vergleich zu unseren Vorfahren von vor 3000 Jahren zwei bis sechs neue Erbgutveränderungen besitzen, die sich negativ auf den Intellekt auswirken können.

"Warum ich es vorziehe, in so einer Gesellschaft zu leben"

Der hohe Selektionsdruck auf jeden einzelnen und damit auf dessen Gene verschwand seinem Gedankenspiel zufolge mit der Etablierung der Landwirtschaft, als die Menschen sich in größeren Gemeinschaften zusammenschlossen und gegenseitig stärker unterstützten. Das sei an sich etwas Gutes, merkt der Forscher an - "tatsächlich ist das der Grund, warum ich es vorziehe, in so einer Gesellschaft zu leben."

Für Jäger und Sammler, argumentiert Crabtree, waren Fehler schnell tödlich. Unsere Nicht-Vorfahren starben demnach meist, "weil sie eine Situation falsch einschätzten oder weil ihnen das intuitive Verständnis für bestimmte Sachverhalte abging - wie etwa die Aerodynamik eines Speers -, während sie ein gefährliches Tier jagten". Nur die Intelligentesten schafften es diesem Szenario zufolge, sich fortzupflanzen; Mutationen, die die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen, wurden also nicht vererbt, sondern verschwanden mit ihrem erfolglosen Träger.

Leiste sich dagegen heute ein Wall-Street-Banker ein falsches Urteil, so bekomme er einen dennoch dicken Bonus und sei ein attraktiver Partner, schreibt der Entwicklungsbiologie, der offensichtlich Freude daran hat, seine These mit plakativen Beispielen zu unterfüttern.

Ob die Grundannahmen zu unseren frühen Vorfahren und Nicht-Vorfahren eins zu eins stimmen, ist indes diskussionswürdig. Um beim Beispiel des mit dem Speer losziehenden Jägers zu bleiben: Der musste sicher nicht nur Verständnis für dessen Flugbahn mitbringen, sondern auch hinreichend Kraft und Schnelligkeit, um seine Beute damit zu erwischen. Ob also allein der hellste Kopf der erfolgreichste Jäger war, ist fraglich.

Wenn wir uns dennoch auf Crabtrees Szenario einlassen, was folgt dann? Wird die Menschheit also durch fehlenden Selektionsdruck langsam, aber sicher immer dümmer, so dass die Menschen irgendwann in einer fernen Zukunft nur noch stumpf die Wiederholungen von Serien auf Fernsehern gucken, die sie schon längst nicht mehr selbst konstruieren können, wie es der Wissenschaftler formuliert? Nein, das nimmt auch Crabtree nicht an.

Schließlich ist Vererbung bei weitem nicht alles, wenn es um Intelligenz geht. Erziehung und Bildung beeinflussen die intellektuellen Fähigkeiten enorm. Selbst wenn die genetische Basis für den Intellekt des Einzelnen erstaunlich anfällig sei, so sei das intellektuelle Fundament der Gesellschaft stabil, schreibt deshalb auch der Wissenschaftler.

Schließlich macht dies es heute möglich, solche Thesen überhaupt aufzustellen, zu veröffentlichen und sie mit passenden Experimenten zu überprüfen. Ein Vorgang, vor dem wohl auch der 3000 Jahre durch die Zeit gereiste Durchschnittsathener Respekt hätte - wenn er denn ein derart helles Köpfchen wäre.