Wird der Angriffsbefehl für eine katastrophale Militäroffensive gegen die Islamische Republik Iran die zweite Amtszeit Präsident Barack Obamas entscheidend prägen? Gegen jeden gesunden Menschenverstand und jegliche Weisheit erscheint es immer wahrscheinlicher, dass Obama einen bewaffneten Konflikt lostritt, um das im Entstehen begriffene Atomprogramm Teherans zu zerstören. Obama, der "demokratische" Führer, der die Welt vor nicht allzu langer Zeit in einem Wahlkampf damit beeindruckte, dass er versprach, er werde sich »mit den Feinden Amerikas zusammensetzen und reden.«
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© Whitehouse
Oder handelte es sich bei den Äußerungen Obamas im Zusammenhang mit Iran nur um den jüngsten Bluff in dem geopolitischen Pokerspiel im Nahen Osten? »Ich habe nicht den geringsten Zweifel an meiner Haltung dazu gelassen, ob Iran Nuklearwaffen besitzen darf. Dies wäre für uns eine rote Linie,die nicht überschritten werden darf. Hier geht es nicht darum, dass eine solche Entwicklung für Israel gefährlich wäre. Sie wäre eine Gefahr für die ganze Welt«, erklärte Obama im israelischen Fernsehsender "Channel 2"kurz vor seinem für die kommende Woche geplanten Besuch beim israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. »Unserer jetzigen Einschätzung nach benötigt Iran noch mehr als ein Jahr, um tatsächlich eine Atomwaffe zu entwickeln«, sagte Obama weiter und versäumte auch nicht, die Warnung hinzuzufügen: »Wir halten uns alle Möglichkeiten offen.«

Auch wenn immer noch von Spannungen und unterschiedlichen Auffassungen zwischen Obama und Netanjahu die Rede ist, lassen sich doch deutliche Parallelen in den Auffassungen beider Politiker zum Iran aufzeigen - ungeachtet dessen, was die amerikanischen Geheimdienste zu diesem Thema mutmaßen.

Gehen wir kurz zum Dezember 2007 zurück, als die USA ihr National Intelligence Estimate (NIE) zum Iran vorlegten, das auf der Grundlage der übereinstimmenden Einschätzungen und Erkenntnisse aller 16 amerikanischen Nachrichtendienste beruhte. In diesem Dossier NIE hieß es einmütig, Iran habe sein Atomwaffenprogramm 2003 eingestellt. Dieser Bericht kommt zu dem Schluss, dass Iran »mit hoher Wahrscheinlichkeit« ein Programm, dass das Land in die Lage versetzen sollte, bestimmte Rohstoffe in atomwaffenfähiges Material zu verwandeln, »seit 2003 eingestellt hat«. Die Entscheidung für diese Einstellung gehe, so heißt es weiter, »insbesondere auf die zunehmenden internationalen Kontrollen und den weltweiten Druck zurück«.

Das NIE hält auch fest, dass das iranische Anreicherungsprogramm rein faktisch Teheran »bis etwa Mitte des kommenden Jahrzehnts« mit soviel angereichertem spaltbaren Material versorgen könnte, wie zum Bau einer Atomwaffe erforderlich wäre. Dieser zeitliche Rahmen stimmt im wesentlichen mit früheren Einschätzungen überein.

Das NIE 2007 verzichtet darauf, Iran als »Schurkenstaat« darzustellen, der alles daran setze, sich in den Besitz von Atomwaffen zu bringen. In dem Bericht heißt es vielmehr, Iran lasse »sich eher von Kosten-Nutzen-Abwägungen, als von einem übereilten Streben nach Atom-Waffen leiten, das die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kosten völlig unberücksichtigt lässt.«

Dies ist sicherlich nicht das Bild, wie es normalerweise in den westlichen Medien von Iran gezeichnet wird.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass diese der apokalyptischen Verzerrung heutiger Tage entgegengesetzte Einschätzung der iranischen nuklearen Ambitionen und Kapazitäten in der doch eher von Kriegstreiberei gekennzeichneten Ära George W. Bushs vorgelegt wurde. In dieser Zeit lief die amerikanische Militärmaschinerie im »Krieg gegen den Terror« auf vollen Touren. Und in der Tat veranlassten diese eher milden Schlussfolgerungen der Bush-Ära die Regierung Obama dazu, ihre Pläne für ein Raketenabwehrsystem in Westeuropa, die insbesondere mit der »Bedrohung« durch den »Schurkenstaat« Iran im Hinterkopf geschmiedet worden waren, erst einmal abzuschwächen.

In dieser Woche nun erklärte der amerikanische Chefgeheimdienstler James Clapper, seines Zeichens »Direktor Nationale Nachrichtendienste« (DNI), Iran habe zwar Fortschritte in seinem Atomprogramm gemacht, aber »wir sind der Ansicht, dass es Iran nicht gelingen wird, unbemerkt gesichertes Material abzuzweigen und ausreichend angereichertes atomwaffenfähiges Uran herzustellen, ohne dass derartige Aktivitäten entdeckt würden.« Die Nukleareinrichtungen Irans werden sowohl von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) als auch von den Geheimdiensten der USA und anderer Länder überwacht.

Die Warnung Obamas vor dem »Überschreiten einer roten Linie« im Hinblick auf das iranische Atomprogramm knüpft unmissverständlich an Äußerungen Netanjahus vor der UN-Vollversammlung im September an. Dort sprach der israelische Ministerpräsident mit der Zeichnung einer Bombe mit einer brennenden Zündschnur in der Hand von einer »eindeutigen roten Linie«, welche Iran im Zusammenhang mit der Herstellung atomwaffenfähigen Urans keinesfalls überschreiten dürfe.

Netanjahu behauptete damals, Iran könnte möglicherweise bereits im Frühjahr bzw. Sommer 2013 »ausreichend angereichertes Uran für seine erste Bombe« hergestellt haben. Diese Prognose wurde bisher nicht korrigiert, obwohl aus verschiedenen UN-Berichten hervorgeht, dass Iran seine Vorräte an spaltbaren Material auf 20 Prozent angereichert hat.

In Atomwaffen wird in der Regel auf 85 Prozent angereichertes, spaltbares atomwaffenfähiges »Uran-235« verwendet. Mit seinem gerade einmal auf 20 Prozent angereicherten Uran ist Iran von diesem Wert noch weit entfernt.

Auch vor dem Hintergrund der massiven Auswirkungen der gegen Iran verhängten Sanktionen und der wenig diplomatischen Mittel, mit denen auf einen Verzicht Irans auf sein Atomprogramm hingearbeitet wurde (wie etwa dem Stuxnet-Computervirus, der gegen die Urananreicherungsanlage in Natanz eingesetzt wurde), erscheinen die Prognosen Obamas und Netanjahus, Iran stehe kurz vor der Fertigstellung seiner Atombombe, etwas weit hergeholt und realitätsfern.

Die Weltöffentlichkeit steht nun vor der schwierigen Überlegung, ob Obama aus innenpolitischen Überlegungen vor seinem Israel-Besuch in der kommenden Woche gegenüber den Republikanern noch einmal auftrumpfen will, oder ob der amerikanische Präsident versucht, den Druck auf Teheran zu verstärken, doch noch seine Kernforschungen aufzugeben.

Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Vielleicht ist Barack Obama tatsächlich von seiner eigenen Rhetorik überzeugt - wie dies schon einmal im Falle des irakischen Machthabers Saddam Hussein der Fall war. Dann hat sich die Gefahr einer militärischen Tragödie im Iran allerdings dramatisch erhöht. Saddam Hussein war 2003 vorgeworfen worden, über Massenvernichtungswaffen zu verfügen. Diese fehlerhaften geheimdienstlichen Erkenntnisse musste er mit seinem Leben bezahlen.

Angesichts der in Scherben liegenden amerikanischen Wirtschaft, der massiven und scheinbar kaum lösbaren Haushaltskrise und eines Landes, das in politischer Hinsicht eine immer drastischere Spaltung in Reiche und Habenichtse erfährt, sieht Obama vielleicht keinen anderen Ausweg, als die USA in einen Krieg gegen Iran zu führen. Es wäre sozusagen der letzte "heroische" Akt einer ansonsten eher gescheiterten Präsidentschaft.

Vielleicht kennt nicht einmal Benjamin Netanjahu die Antwort auf diese Frage.