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Schülern mit psychischen Problemen fehlt es häufig an Ansprechpartnern. Eltern und Schule sind überfordert. Auf dem Kongress für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Essen wird derzeit diskutiert, wie man Hemmschwellen abbauen kann.

Für viele Kinder und Jugendliche ist nur das Wort "Schule" bereits ein Albtraum. Sie haben Versagensängste, spüren den Leistungsdruck von Eltern und Gesellschaft oder werden gemobbt. Dass es in den vergangenen 20 Jahren mehr psychisch kranke Kinder und Jugendliche gibt, davon geht man aus, wenn es auch für Deutschland keine gesicherten Zahlen dazu gibt. Schule ist nicht der Ort, der alle Probleme verursacht, aber der Ort, in dem sie zu Tage treten: Hyperaktivität, Depressionen, Essstörungen etc. Viele dieser Krankheiten werden gar nicht diagnostiziert oder erst sehr spät, weil die Hemmschwelle zu einem Psychiater zu gehen, für Eltern und ihre Kinder groß ist.

"Wir wollten das ändern und sind deshalb in die Schulen gegangen", sagt Jana Metzelaars, Psychologin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in Essen. Der ein Jahr dauernde Versuch war so erfolgreich, dass er nun im dritten Jahr weitergeführt wird. Dabei klingt es so simpel: Statt auf mögliche Patienten zu warten, haben die Psychologen in den Schulen Sprechstunden angeboten. Die Lehrer hatten im Vorfeld einzelne Schüler und ihre Eltern angesprochen, daran teilzunehmen, das Angebot haben viele genutzt.

Hemmschwelle senken

Von den zehn Schulen in Essen, die im ersten Jahr besucht wurden, konnten die Psychologen am Ende bei 46 Patienten gesicherte psychiatrische Diagnosen stellen. "Dabei ist das Gespräch in der Schule wirklich nur ein Gespräch", sagt Metzelaars, "wir haben dann danach den Eltern gesagt, ob es empfehlenswert ist, dass sie mit ihrem Kind in unsere Ambulanz kommen, um dann die wirkliche Diagnostik durchzuführen." Viele Eltern wollten bei dem Gespräch auch die Lehrer dabei haben. Wo das nicht der Fall war, galt die ganz normale Schweigepflicht für die Psychiater.

Schüler, Eltern und Lehrer haben nach den Angaben der Psychologin die Sprechstunde gerne angenommen. Vor allem auch für die Lehrer war es eine gute Gelegenheit, ihre Beobachtungen aus dem Schulalltag nicht nur mit den Eltern anzusprechen, sondern gleich einen ersten Hilfsansatz zu geben. "Das ist wichtig", sagt Johannes Hebebrand, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in Essen, der das Projekt leitete, "man kann schließlich nicht jede gesellschaftliche Aufgabe an die Lehrer abgeben."

"Neue Schullaufbahn stricken"

Wie wichtig eine enge Vernetzung von Schule und Ärzten sein kann, zeigt auch ein Netzwerk, um "Schulvermeider" wieder in die Schule zu bringen. Eng an die Psychiatrische Kinder-Klinik in Essen ist eine "Schule für Kranke" gekoppelt. Hier werden Kinder unterrichtet, die für längere Zeit in einem Kinderkrankenhaus oder auch einer psychiatrischen Einrichtung in Behandlung sind. "Wir sehen aber seit Jahren, dass es vor allem immer mehr Schulvermeider sind, die bei uns landen", sagt Hermann Frey, Sonderschulrektor der "Schule für Kranke".

Was Frey und seine Kollegen dann versuchen müssen, ist eine neue "Schullaufbahn zu stricken". Rund 40 Prozent der Kinder müssen nach dem Zwischenstopp in der "Schule für Kranke" in einer anderen Schule untergebracht werden und können nicht mehr dahin zurück, wo sie gewesen sind.

Immer mehr Schulvermeider

Im Durchschnitt bleiben die Kinder und Jugendlichen bis zu fünf Monate in der Einrichtung. Manche sind schon so weit weg von Schule, dass sie manchmal nur mit einer Stunde am Tag, an den Schulalltag zurück gewöhnt werden können. Diese "Gewöhnung" geht Hand in Hand mit der psychiatrischen Behandlung in der Klinik. "25 Prozent unserer Patienten, die wir ambulant behandeln, sind inzwischen Schulvermeider", sagt Hebebrand. Und das Problem wird nach Ansicht von Frey immer größer.

Dabei spielt weder das Alter noch der soziale Hintergrund eine Rolle. Kinder und Jugendliche, die versuchen, Schule zu "vermeiden", gibt es demnach überall. "Was wir in erster Linie versuchen ist, das Selbstwertgefühl wieder aufzubauen und Spaß an Schule zu vermitteln", sagt Frey. Doch das ist schwierig. Der Leistungsdruck in der Gesellschaft, die Erwartungshaltung von Eltern und auch die Schulpolitik, die da nicht richtig entgegensteuert, sehen die Experten als Hauptfaktoren für die Schulvermeider.