Die weltweite Getreideernte könnte in diesem Jahr einen Rekord erreichen. Dennoch sagen Experten steigende Preise voraus.
weizenpreis
© Berliner Zeitung/Anja Kühl, Quelle: Bloomberg
Die Welt steht vor einer rekordverdächtigen Getreideernte. Allein die Weizenproduktion schnellt in diesem Jahr um sieben Prozent auf etwa 704 Millionen Tonnen hoch. Doch weil vor allem China mit dem dort wachsenden Appetit auf Fleisch sowie der Nahe Osten wegen der unsicheren Lage mehr Weizen als bisher ordern dürften, wird die Versorgungslage mit dem Grundnahrungsrohstoff insgesamt prekär bleiben.
Im Prinzip gibt es genug für alle

Ernährung: Die Menschheit wächst - bis 2050 um weitere zwei auf dann neun Milliarden Menschen. Forschern zufolge wäre es rein rechnerisch ohne Ausdehnung der landwirtschaftlichen Fläche möglich, vier Milliarden Menschen mehr als heute zu ernähren. Das Getreide, das heute in die Tiermast wandert, müsste nur für die menschliche Ernährung verwendet werden. Heute werden nur 55 Prozent der geernteten Pflanzenenergie für Nahrungsmittel verarbeitet. 36 Prozent wandern in den Futtertrog, neun Prozent in den Tank.
Auch wenn Prognosen noch vorläufig sind: In der EU erwarten die Experten die zweithöchste bisher registrierte Weizenernte. Auch in Deutschland werden trotz Hochwasser, Hagelschäden und Hitze 24 Millionen Tonnen Weizen erwartet - 16 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Die EU-Ernte ist mit knapp 132 Millionen Tonnen nur noch wenig von der Rekordernte von 2008 entfernt. Auf europäischen Feldern wächst in diesem Jahr mehr Weizen, als hier benötigt wird, und das, obwohl der Verbrauch steigt. Der Grund für den Anstieg ist, dass die Bauern mehr Weizen verfüttern werden.

Hoher Weizenbedarf in China

Auch zwei der wichtigen Exportländer, die in der Vergangenheit immer mal wieder als Wackelkandidaten galten, sind in dieser Saison als Exporteure dank guter Erträge präsent: Denn auch in der Ukraine und in Russland ist die Ernte groß genug, um die internationalen Märkte beliefern zu können. So wollen die Russen trotz der langen Trockenphasen in diesem Sommer ein Viertel mehr vom Acker holen als im Jahr zuvor. Noch vor zwei Jahren waren Russland und die Ukraine wegen schlechter Ernten als Exporteure ausgefallen. Nun soll das Gros des weltweiten Erntezuwachses aus dieser Region kommen.

Allerdings seien die Prognosen für diese Länder der fruchtbaren Schwarzmeerregion wegen des trockenen Wetters noch mit Vorsicht zu betrachten, warnen die Marktbeobachter. Von einer guten Ernte in diesen Ländern hängt auch der Preis ab.

Die Commerzbank sieht den Weizenpreis aktuell nach oben ziehen, nachdem er seit Juni um die 30 Prozent eingebüßt hatte: Bis zum Jahresende soll er wieder auf 200 Euro je Tonne steigen. Dies vor allem deshalb, weil die hohe weltweite Produktion kaum ausreichen werde, um die rege Nachfrage zu decken, schreiben die Rohstoffanalysten der Bank in ihrem aktuellen Marktbericht. Aktuell liegt der Preis für eine Tonne Weizen bei rund 185 Euro.

Denn die wachsende Nachfrage in China und in krisengeschüttelten Ländern wie Ägypten oder Syrien, wo die Ernte praktisch ausfällt, sorgen für tendenziell anziehende Kurse. So warnten die internationalen Marktspezialisten der amerikanischen Landwirtschaftsbehörde USDA in ihrem Juli-Report davor, dass China nicht nur wegen Wetterunbilden, sondern auch wegen eines rapide wachsenden Verbrauchs an Futtergetreide einen enormen Importbedarf anmelden werde. Analysten, wie sie etwa die Agrarzeitung zitiert, sehen China bereits bei einem Import von zehn Millionen Tonnen Weizen - das Land hätte damit den führenden Importeur Ägypten überholt.

Dies, so der in London ansässige International Grains Council, würde dann dazu führen, dass der Welt am Ende rein rechnerisch gerade noch ein Plus von einer Million Tonnen bliebe. Zu wenig, um die negativen Salden der letzten Jahre aufzufüllen.

Die USA setzen auf Maisexport

Noch aber ist der Weizenpreis weit von alten Rekordständen wie etwa zu Zeiten der Hungerkrise von 2007/08 entfernt. Damals reichte er an die 300 Euro heran. Dass dies nun nicht der Fall ist, hängt mit ebenfalls sehr guten Mais- und Sojaernten in Süd- und Nordamerika zusammen. „Ausschlaggebend ist, dass eine Substitution stattfindet“, sagte Olaf Zinke, Marktexperte bei agrarheute.com. Denn Tierhalter können in bestimmtem Umfang zwischen Weizen und Mais wechseln. Und anders als 2012, als der Mais in den Vereinigten Staaten unter einer Dürre litt, fahren die US-Farmer in diesem Jahr besonders viel „Corn“ ein.

Zugleich hatten die US-Farmer die Mais-Anbaufläche in diesem Jahr auf eine Rekordfläche ausgedehnt - noch nie seit dem Jahr 1936 wuchs Mais in den USA auf so viel Fläche. Die Gründe dafür dürften weniger sein, dass in den USA - je nach Preis - mehr als ein Drittel der Maisernte zu Ethanol verarbeitet und damit auf den Straßen verheizt wird, sondern die Exportchancen, die sich die Farmer für ihren Mais ausrechnen. Zusammen mit dem guten Wetter führte diese Ausdehnung zu fallenden Preisen. Das zieht alle Getreidepreise nach unten.