Obama
© Olivier Douliery/AFP/Getty ImagesUS-Präsident Barack Obama
Der US-Präsident gibt die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers offiziell auf. Es ist die Abkehr von einem seiner zentralen Wahlversprechen.

Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt hat Präsident Barack Obama offiziell eine komplette Wende seiner Guantánamo-Politik vollzogen. Per Dekret setzte er den legalen Rahmen, um hochkarätige Terrorverdächtige ohne Gerichtsverfahren für unbegrenzte Zeit einzusperren und die Prozesse vor Militärtribunalen wieder als reguläre Verfahren zu benutzen.

Es ist ein scharfer Kontrast zu dem Kurs, den Obama im Präsidentschaftswahlkampf 2008 versprochen und als seine erste Amtshandlung angeordnet hatte. Direkt nach seiner Inauguration hatte er noch am Abend jenes 20. Januar 2009 ein Dekret unterschrieben, das die Militärtribunale seines Vorgängers George W. Bush aussetzte.

Obama versprach damals, das Gefangenenlager im US-Militärstützpunkt Guantánamo an der Ostspitze Kubas innerhalb eines Jahres zu schließen, den Fall jedes einzelnen Insassen neu zu überprüfen und die prominentesten Terrorangeklagten vor zivile Strafgerichte innerhalb der USA zu stellen.

Diese Politik ist in den zwei Jahren seither scheibchenweise gescheitert. Insbesondere der Kongress stellte sich dem Präsidenten immer wieder in den Weg, obwohl seine demokratische Partei bis zur Kongresswahl im November 2010 in beiden Kammern eine große Mehrheit hatte. Die Abgeordneten kalkulierten, dass die Furcht vor neuen Terroranschlägen nach wie vor groß ist und Terrorverdächtige sowie ihr rechtlicher Schutz auf wenig Sympathie bei Wählern stoßen.

Nach und nach machte das Parlament Obamas Guantánamo-Strategie zunichte. Es verweigerte dem Präsidenten die Mittel für den Ausbau des Gefängnisses in Thomson, Illinois, in das Gefangene nach der Schließung Guantánamos verlegt werden sollten. Es beschloss, dass kein Guantánamo-Insasse ohne Parlamentserlaubnis in die USA gebracht werden dürfe. Das wäre aber die Voraussetzung gewesen, um zum Beispiel den Drahtziehern des 9/11-Anschlags einen zivilen Strafprozess in New York nahe dem Ort zu machen, wo das World Trade Center stand.

Das neue Dekret vom Montag ändert wenig am aktuellen Umgang mit Terrorverdächtigen. Alle praktischen Auswirkungen, die sich auf den ersten Blick anführen ließen, sind längst Alltag. Die Prozesse vor Militärtribunalen, die Obama nun zu einem regulären Verfahren erklärt, sind schon vor einem Jahr wieder aufgenommen worden. Es ist seit langer Zeit ausdrückliche Regierungslinie, dass mindestens 48 der derzeit 172 Insassen ohne Gerichtsurteil unbegrenzt gefangen bleiben. Das Dekret ist vielmehr das politische Eingeständnis des Präsidenten, dass er mit seinem Kurs gescheitert ist und sich nun den vom Kongress gesetzten Realitäten beugt.

Das Ende von Obamas Guantánamo-Strategie

Die Gefangenen bekommen etwas mehr Rechte

Menschenrechtsorganisationen reagieren einerseits mit Enttäuschung über Obamas Nachgeben. Andererseits sind sie erleichtert, dass er die neue Praxis nur in einem Dekret festschreibt. Das lasse sich leichter wieder aufheben. Aus ihrer Sicht wäre es bedenklicher, wenn der Kongress die Möglichkeit zu unbegrenzter Haft ohne Gerichtsverfahren in einem Gesetz erlaube. Sie betonen zudem, das Dekret beziehe sich nur auf Menschen, die bereits in Guantánamo sind, nicht auf künftige Gefangene.

Die Verfahrensregeln, die Obama für die neuen Militärtribunale vorsieht, geben den Angeklagten und ihren Anwälten immerhin weitergehende Rechte als Bushs Militärtribunale. Belastungsmaterial und Geständnisse, die unter Anwendung körperlicher Gewalt zustande gekommen sind, dürfen nicht verwendet werden. Der Präsident hält daran fest, dass er "Guantánamo eines Tages schließen" könne und dass der Kongress erlauben werde, einzelne Insassen zum Zweck ziviler Strafverfahren in die USA zu bringen.

Seit Einrichtung des Lagers Guantánamo zu Jahresbeginn 2002 waren annähernd 800 Verdächtige dort inhaftiert. Mehr als 500 wurden unter Bush entlassen. Obama erbte 2009 240 Gefangene. 68 wurden seither in ihre Heimatländer oder Drittstaaten entlassen. Deutschland nahm zwei auf. Etwa 40 der verbleibenden 172 sollen vor Gericht gestellt werden - nach jetzigem Stand fast durchweg vor Militärtribunale. 48 bleiben ohne Urteil inhaftiert. Die übrigen sollen entlassen werden. Der Großteil sind Jemeniten, die wegen des Bürgerkriegs derzeit nicht in ihre Heimat zurück können.