Von 1959 bis 1975 sammelte ein Offizier der Bundeswehr in einer Kaserne in Hannover Zeitungsberichte über „Fliegende Untertassen“ und unbekannte Himmelsphänomene. Ein interessanter Querschnitt durch die Goldene Ära der Alien-Sichtungen.

Am Abend des 19. Juni 1959, gegen 22.30 Uhr, tauchte über der Ostsee im flachen Winkel und in westlicher Richtung ein kleiner Asteroid in die Erdatmosphäre ein. Durch die Luftreibung begann er zu schmelzen und als er Norddeutschland überquerte, sahen Hunderte von Menschen am Himmel eine Feuerkugel mit einem langen dichten Schweif, der hell zwischen Weißblau und Zartrosa leuchtete. Dann verschwand der Bolide in der Unendlichkeit des Alls.

Besonders schön erstrahlte er über Hannover. In den kommenden Tagen brachten die Zeitungen der niedersächsischen Landeshauptstadt ausführliche Artikel über das Phänomen. War es wirklich nur ein Meteor gewesen oder steckte mehr dahinter? Eine Theorie verdrängte schnell alle anderen: Es habe sich um eines der rätselhaften unidentifizierten Flugobjekte gehandelt, die seit 1947 Schlagzeilen machten. Oder wie die „Hannoverschen Zeitung“ am 25. Juni 1959 titelte, um ein „UFO aus dem Himmelsraum“.

Das Himmelslicht geriet bald wieder in Vergessenheit, doch an einer Adresse in Hannover wirkte es nach: in der heutigen Kurt-Schumacher-Kaserne. Dort saß 1959 das Wehrbereichskommando II der Territorialverteidigung des nicht direkt der NATO unterstellten Teils der Bundeswehr. Der Presseoffizier jenes Kommandos begann im Juni, Zeitungsartikel über UFOs zu sammeln und in einem Ordner abzuheften. Quelle war wohl ein kommerzieller Ausschnittsdienst.

78 Seiten über „Fliegende Untertassen“

Die Aktion dauerte bis September 1975, und am Ende füllten die UFO-Berichte 78 Seiten im A4-Format. Erfasst wurden sowohl überregionale Blätter als auch die norddeutsche Lokalpresse - von der „Ostfriesen-Zeitung“ über die „Bremer Nachrichten“ bis zur „Kreiszeitung für die Grafschaft Hoya“. Einen Schwerpunkt bildeten Zeitungen des Großraums Hannover. Zeitschriften und ein deutsches Nachrichtenmagazin blieben außen vor.

Die Sammlung liefert uns einen Querschnitt durch die Goldene Ära der „Fliegenden Untertassen“ - vor allem derjenigen aus Amerika. So enthält sie Berichte zum sogenannten „Sumpfgas-UFO“ von Michigan aus dem Jahr 1966 und zum „Pascagoula-Fall“ von 1973, als zwei Arbeiter angeblich von Aliens entführt wurden. Andere Artikel behandeln UFO-Forscher wie Allen Hynek und Philip Klass oder den berühmten „Condon-Report“ von 1969, der die meisten gesichteten unbekannten Flugobjekte auf natürliche Ursachen zurückführte.

Die UFO-Akten des BND werden 2021 freigegeben

Notizen zu Leihvorgängen verraten, was im Offizierskorps auf besonderes Interesse stieß: Artikel, die UFOs abwerteten oder ganz wegerklärten. Der Ordner überliefert aber auch „Drei geheimnisvolle kleine Flugobjekte“, über die am 3. November 1966 im Osnabrücker Tageblatt berichtet wurde. Dort heißt es, dass laut Lagebericht der Nasa genau 1112 Satelliten und Satelliten-Bruchstücken um die Erde kreisten, von denen drei eine „unaufgeklärte“ Herkunft hatten. Sollte es dort oben also doch Außerirdische geben? Wir wissen es nicht.

Nach Schließung der Ausschnittsammlung 1975 kam diese von Hannover nach Freiburg ins Militärarchiv des Bundesarchivs, wo man sie unter der Signatur „BH 28-2/207“ ausleihen und studieren kann. Unter dem Kürzel „B 206/1914“ lagern im Archiv noch weitere außerirdische Rätsel, nämlich die UFO-Akten des Bundesnachrichtendienstes. Wer sie lesen möchte, braucht aber etwas Geduld: Freigegeben werden sie erst am 1. Januar 2021.

Über den Experten

Ralf Bülow ist Wissenschaftshistoriker in Berlin und arbeitet seit Jahrzehnten erfolgreich für Museen und Ausstellungsprojekte. Außerdem schreibt er oft über Computergeschichte und sammelt Grafiken des Retro-Futurismus. Für FOCUS Online widmet er sich ungelösten Rätseln und vergessenen Erfindungen.