Totenkopf Schädel
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Spanische Forscher sind auf ein Rätsel in der Entwicklung früher Menschen gestoßen: Je mehr das menschliche Gehirn an Größe gewann, desto kleiner wurden seine Zähne - eine "evolutionäre Paradoxie". Denn eigentlich müsste das Gebiss mitwachsen.

Haarlosigkeit, permanent aufrechter Gang, Sprachfähigkeit - der Liste der Dinge, die uns von anderen Primaten unterscheiden, können wir einen weiteren Eintrag hinzufügen: Der Mensch ist der einzige Primat, dessen Backenzähne immer kleiner wurden, während sein Gehirn an Größe zunahm.

Tatsächlich verschoben sich im Laufe der Entwicklung der Gattung Homo die Proportionen des menschlichen Schädels zwischen Hirnschädel und Gesichtsschädel sowie Kiefer. Während Ersterer immer weiter "anschwoll", um das wachsende Volumen des Gehirns zu beherbergen, geriet der Rest zunehmend "zierlicher".

Das klingt schräg, ist aber vor allem eines: kontraintuitiv. Die Forschergruppe um Juan Manuel Jimenez Arenas von der Universität Granada, Spanien, nennt es ein "evolutionäres Paradoxon". Denn klar ist auch, dass bedingt durch den extrem hohen Energiebedarf eines größeren Gehirns der Bedarf an Nährstoffen eigentlich steigen sollte. Bei gleicher Ernährung sollte also parallel zum Gehirn auch der Zahnapparat wachsen.

Pflanzliche Nahrung liefert weniger Energie

Denn Verdauung, schreiben die Studienautoren, beginne "im Mund". Backenzähne sind mehr noch als Schneidezähne ein Indikator für den Aufwand, den ein Lebewesen beim Zerkleinern von Nahrung treiben muss. Tendenziell haben reine Pflanzenfresser die größten Mahlzähne (Molare), da pflanzliche Nahrung nicht nur oft schwerer verdaulich ist, sondern auch weniger Energie liefert: Umso wichtiger ist dann die möglichst feine Zerkleinerung, um das Aufschließen der Nahrung zu erleichtern.


Entsprechend nahe liegend ist die Lösung dieses Rätsels: Möglich wurde die gegenläufige Entwicklung von Gebiss und Gehirn nur durch eine Veränderung der Ernährungsweise. Ein anwachsender Konsum tierischer Proteine und Fette habe die Energie für den anschwellenden Denkapparat geliefert. Der wiederum habe eine größere Komplexität bei der Ausprägung sozialen Verhaltens und kultureller Eigenheiten ermöglicht.

Und das wiederum habe die Voraussetzungen für die Entwicklung und Weitergabe komplexer technologischer Errungenschaften geschaffen.

Bestätigung des Stammbaums

Arenas und seine Mitautoren untersuchten neben Schädeln verschiedener Vor- und Frühmenschen auch die zahlreicher anderer Primaten. Sie stellten dabei zum einen fest, dass die Vertreter der Gattung Homo die einzigen Primaten waren und sind, bei denen die geschilderte Korrelation in Kontinuität festgestellt werden kann. Sie zeigen zudem auf, dass sie tatsächlich nur für unsere direkte Abstammungslinie gilt, nicht aber für andere vermeintliche Vormenschen.

So lasse sich eine solche Entwicklung bei Australopithecinen noch gar nicht feststellen. Die Entwicklung späterer Arten der Entwicklungslinien Homo und Paranthropus entsprachen dann offenbar tatsächlich einer echten Trennung der Entwicklungslinien: Bei den Paranthropus-Arten kam es zu keinen merklichen Verschiebungen der Proportionen oder signifikanten Veränderungen der Größe von Gehirn und Bezahnung. Bei den Arten der Homo-Entwicklungslinie setzte hingegen die geschilderte Entwicklung ein.

Gehirnwachstum und Zahn-Schrumpfung sind dort bei allen Arten mit Ausnahme des Homo floresiensis (einer kleinwüchsigen Menschenart) in Kontinuität zu sehen. So zeige etwa der Vergleich von Homo habilis oder erectus mit den späteren neanderthalensis oder sapiens klar die beschriebene Korrelation.

Ich grille, also bin ich?

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© Dorling KindersleyVeränderung der Proportionen: Oben mehr, unten weniger (Abbildung aus: Alice Roberts: "Die Anfänge der Menschheit")
Die Studie relativiert die "Hypothese des teuren Gewebes" (Aiello und Wheeler, 1995), der zufolge das Größenwachstum des Gehirns im Laufe der Evolution mit einer Gewebeabnahme an anderen Körperteilen hätte "finanziert" werden müssen - Aiello und Wheeler verwiesen hier auf den Verdauungstrakt und die Zähne. Das aber, schreiben Arenas und seine Co-Autoren, lasse sich weder durch den Vergleich des Menschen mit anderen Säugetieren bestätigen, noch durch die aktuelle Untersuchung.

Sie halten für den Menschen und seine Verwandten und Vorfahren vielmehr den Aspekt der energetischen Qualität neu erschlossener Nahrungsquellen dagegen.

Denn deren Zahl und Breite wuchs auch mit der Entwicklung "extraoraler Verarbeitungsmethoden" - vulgo: durch Kochen und Grillen. Solche Kulturtechniken erschlossen Menschen Nahrungsquellen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. Koch- und Bratvorgänge sind letztlich Formen einer Vorverdauung, die uns Nährstoffe erschließt, die wir mit körpereigenen Mitteln nicht oder nur erheblich schwerer verarbeiten könnten. So ziehen wir auch aus gekochter pflanzlicher Nahrung leichter und mehr Energie als aus Rohkost.

Der zunehmend erfindungsreiche Mensch verfügte also nicht nur über ein immer größeres Gehirn, sondern auch über zunehmend effektivere Methoden der Nährstoffgewinnung. Was da Auslöser und was Wirkung war, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt - und dürfte nun, mit Beginn der Grillsaison, die Diskussionen unter Steak-Schwenkern beleben.

Die Studie ist im Fachmagazin BioMed Research International erschienen.