Carl Bernstein Bob Woodward
© apCarl Bernstein (links) und Bob Woodward 1973 in der Redaktion der Washington Post
Am 9. August 1974 trat US-Präsident Richard Nixon zurück, weil ihm Journalisten eine entscheidende Rolle in der Watergate-Affäre nachgewiesen hatten. Heute ist vom investigativen US-Journalismus nicht mehr viel übrig.

Seymour Hersh hat ein Kriegsverbrechen und einen Skandal aufgedeckt: das Massaker im vietnamesischen My Lai und die Folter irakischer Häftlinge in Abu Ghraib. Es gibt keinen investigativen Journalisten, der mehr unter dem Teppich Liegendes hervorgekehrt hätte als Hersh. Und keinen, der - vier Jahrzehnte nach dem Watergate-Skandal - schonungslosere Worte über die "vierte Gewalt" findet.

In einem Interview mit dem britischen Guardian wetterte der Veteran einmal gegen die handzahmen US-Journalisten und "ihre Unfähigkeit, das Weiße Haus zur Rede zu stellen". Um die Misere zu überwinden, empfahl er, müsste man die Sender NBC und ABC schließen, neunzig Prozent der Redakteure entlassen und sich auf die Kernaufgabe eines Journalisten besinnen: Außenseiter zu sein. Unbequem, nicht im Bett mit den Mächtigen. Fast scheine es, das traue sich niemand mehr.

Anklagender Sarkasmus

Auch die New York Times, bei der Hersh acht Jahre beschäftigt war, bekam ihr Fett ab: "Sie verwenden mehr Zeit darauf, Obama zu Diensten zu sein, als ich es mir jemals vorstellen konnte." Wieso lasse man Barack Obama die Drohnenangriffe durchgehen? "Warum finden wir nicht raus, wie gut oder schlecht diese Strategie ist? Warum zitieren Zeitungen immer dieselben zwei oder drei Gruppen, die das Töten durch Drohnen beobachten? Wieso machen wir nicht unsere eigene Arbeit?"

Ein Glück, fügte Hersh mit einer Prise Sarkasmus hinzu, dass Edward Snowden die NSA-Programme mit einer Fülle von Dokumenten belegen konnte - sonst wäre er wohl gegen Mauern gerannt. "Redakteure lieben Dokumente, sonst hätten sie die Story nie angefasst."

Es ist alles andere als schmeichelhaft, was Hersh über seine Branche zu sagen hat, 40 Jahre nach der Sternstunde des Watergate-Skandals, 40 Jahre nach dem Rücktritt Richard Nixons, dessen paranoide Machenschaften durch die Lokalreporter Carl Bernstein und Bob Woodward in der Washington Post Puzzlestück für Puzzlestück dokumentiert wurden.

Zeitaufwändige und teure Recherche

Auch Leonard Downie, von 1991 bis 2008 im Chefsessel der Hauptstadtzeitung, brachte die Misere offen auf den Punkt: Investigativer Journalismus koste nun einmal Geld und stelle polemische Fragen. "Hätte man die Begründung für den Einmarsch im Irak nicht genauer unter die Lupe nehmen müssen? Wurde genug getan, um die riskanten Manipulationen der Wall Street zu untersuchen, bevor es 2008 zur finanziellen Kernschmelze kam?" Die Anzeigenkrise untergrabe jenes Geschäftsmodell, das zeitaufwändige und teure Recherche subventioniere, so Downie. Also müssten neue Modelle entwickelt werden: nichtkommerzielle Publikationen, deren Existenz durch Stiftungen, Philanthropen oder Journalismusfakultäten garantiert wird.


Kommentar: Genau das ist Sott.net.



Erste Ansätze gibt es: Pro Publica in New York oder die Texas Tribune in Austin und Intercept, die Plattform von Blogger und Ex-Anwalt Glenn Greenwald, der sich 2013 in Hongkong mit Snowden traf und maßgeblich dazu beitrug, die Lawine der NSA-Enthüllungen ins Rollen zu bringen.

Wie sich die Geheimniskrämerei des Weißen Hauses, gekoppelt mit digitaler Überwachung, auf den Journalismus auswirkt, haben die Bürgerrechtsliga ACLU und Human Rights Watch Ende Juli in einer Studie skizziert: Zum einen verfolge Obamas Kabinett Whistleblower mit einer Härte, wie man sie zuvor nicht kannte. Das "Insider Threat Program" sei bloß zu dem Zweck beschlossen worden, Beamte abzuschrecken, Interna mit der Presse zu teilen. Zum anderen habe die NSA-Offensive zur Folge, dass Regierungsmitarbeiter nie sicher sein könnten, dass ihre Anonymität gewahrt bleibt.

Angst vor Kontakt mit Reportern

"Früher sind Untersuchungen nie weit gekommen, weil es zu schwierig war, die undichte Stelle zu finden", sagt Barton Gellman von der Washington Post. "Mit digitalen Mitteln ist das viel einfacher. Und unsere Quellen wissen das." Sie seien seltener bereit, mit Journalisten Kontakt aufzunehmen, selbst wenn es nicht um Brisantes gehe, sondern nur darum, eine persönliche Meinung zu äußern, einen Vorgang zu bewerten.

Journalisten falle es wegen der digitalen Revolution immer schwerer, ihre Quellen zu schützen, bilanziert der Report.

Mark Felt alias "Deep Throat", der FBI-Vize, der Woodward und Bernstein wie ein Pfadfinder durch den Watergate-Dschungel führte, blieb 32 Jahre unentdeckt, bis er freiwillig das Rampenlicht suchte, um sich zu outen. Heute, glauben Kenner, wäre das praktisch ein Ding der Unmöglichkeit.