Das Kuschelhormon Oxytocin sorgt bekanntlich für Liebe und Treue. Angeblich sogar zwischen Mensch und Hund. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.

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© PICTURE-ALLIANCE„Und dass du mir bloß nicht zu den Bergwühlmäusen gehst“, sagt der große Kuschelbär.
Die ganze Welt ist wie verhext, Veronika, der Spargel wächst“, heißt es im Schlager der Comedian Harmonists aus dem Jahre 1930. In aller damals opportunen Deutlichkeit beschreibt der Text die Effekte des Lenzes auf den menschlichen Fortpflanzungstrieb. Ob es Frühlingsgefühle als wissenschaftlich untersuchbares Phänomen wirklich gibt und wenn ja, was genau sie hervorruft, ist aus wissenschaftlicher Sicht bis heute nicht geklärt. Neuroendokrinologen vermuten dahinter ein lichtbedingtes Anfluten anregender Hormone, darunter auch des sogenannten Kuschelhormons Oxytocin.

Das aus neun Aminosäuren bestehende Neurohormon wird von der Hirnanhangsdrüse ins Blut ausgeschüttet und ist der Medizin schon seit mehr als hundert Jahren als Auslöser von Geburtswehen und Milcheinschuss bei der werdenden beziehungsweise frischgebackenen Mutter bekannt. Im Laufe der Zeit zeigte sich, dass Oxytocin nicht nur die Physiologie, sondern auch die Psychologie der jungen Mutter steuert, indem es nach der Geburt eine entscheidende Rolle beim Aufbau der emotionalen Bindung zu ihrem Neugeborenen spielt. Verantwortlich für solche Effekte ist aber nicht das im Blut zirkulierende, sondern das parallel im Gehirn freigesetzte Oxytocin. Dort wirkt es als sogenannter Neuromodulator, der die Aktivität bestimmter Gruppen von Nervenzellen gezielt verändert.

Soziales Kittmittel

Als neuronaler Botenstoff reicht die bindende Wirkung des Oxytocin weit über die Mutter-Kind-Beziehung hinaus. Nach dem Sex trägt ein Oxytocinschub bei beiden Partnern zum Gefühl der Verbundenheit bei. Künstlich verabreicht, bewirkt es neben vielem anderen eine Reduktion von Stress, dämpft Aggressivität und fördert Empathie ebenso wie Vertrauensseligkeit gegenüber Fremden. Ursache und Wirkung sind dabei kaum zu trennen, weil Oxytocin oft in Form einer positiven Rückkoppelung wirkt. Es fördert nicht nur das Kuscheln, sondern wird auch selbst vermehrt durch wohlige Gefühle ausgeschüttet.

Als soziales Kittmittel findet sich Oxytocin auch in der weiteren Verwandtschaft des Menschen, vom Schimpansen bis zur Maus. Dass das nicht nur innerartlich funktioniert, zeigt eine Studie japanischer Wissenschaftler mit Hunden in der aktuellen Ausgabe von „Science“. Die Forscher ließen dreißig Herrchen und Frauchen eine halbe Stunde mit ihren vierbeinigen Freunden spielen und schmusen. Vorher und nachher maßen sie den Oxytocingehalt in den Urinproben von Mensch und Tier.

Bei beiden Partnern zeigte sich ein deutlicher Anstieg des Hormons. Dieser fiel besonders stark aus, wenn sich Herr und Hund lange und intensiv in die Augen gesehen hatten. In einer Kontrollgruppe mit von Hand aufgezogenen Wölfen und ihren Pflegern fehlte dieser Effekt ebenso wie ein ausgedehnter Blickkontakt. Der Zusammenhang von Oxytocinanstieg und treuherzigem Hundeblick zeigte sich umgekehrt auch, wenn die Forscher Hunden einer weiteren Versuchsgruppe das Hormon über die Nase zuführten. Die so gefühlsselig gemachten Tiere schauten ihren Besitzern besonders tief in die Augen, was bei diesen wiederum das Oxytocin in Wallung brachte.

Treu wie die Präriewühlmaus

Offenbar habe die im Eiltempo verlaufende Evolution des Hundes während seiner nur einige Jahrtausende währenden Domestikation dazu geführt, dass er geschickt an unsere elterlichen Instinkte appelliert, schreiben die Kognitionspsychologen Evan McLean und Brian Hare von der Duke University in North Carolina in einem begleitenden Artikel. Der treue Hundeblick sei also viel mehr als nur der Versuch, uns unser Wurstbrot abzuluchsen. Hundebesitzer dürfte diese Erkenntnis kaum überraschen. Aber immerhin stellt die neue Studie die wahre Liebe zu ihrem Fiffi und deren Erwiderung nun auf ein solides endokrinologisches Fundament.

Von derselben Faszination, komplexe psychologische Phänomene wie Liebe, Treue und Vertrauen auf ihre biochemische Basis zurückzuführen, wird auch ein Großteil der seit der Jahrtausendwende lebhaft blühenden Oxytocinforschung getrieben. Ein Klassiker dieser Disziplin sind Studien an naheverwandten Arten amerikanischer Wühlmäuse: Während Bergwühlmäuse einzelgängerisch leben und sich auf jeden Sexualpartner werfen, der ihnen über den Weg läuft, gehen Präriewühlmäuse nach der ersten Paarung eine zärtliche und lebenslange, wenn auch nicht immer ganz treue Ehe ein. Der entscheidende Unterschied zwischen den äußerlich kaum zu unterscheidenden Arten scheint die Zahl und Verteilung der Rezeptoren im Gehirn für Oxytocin und für das nahverwandte Hormon Vasopressin zu sein. So ließen sich aus polygamen Bergwühlmäusen durch eine genetische Manipulation der Rezeptoren treue Partner machen. Umgekehrt verloren Präriewühlmäuse ihren Treuetrieb durch das biochemische Blockieren ihrer Rezeptoren.

Inwieweit sich das alles auf den Menschen übertragen lässt, ist allerdings umstritten. „Man sollte sich davor hüten, so zu tun, als ob wir nur sehr, sehr große Wühlmäuse seien“, meinte beispielsweise der amerikanische Neurobiologe und Pionier der Wühlmausforschung Thomas Insel in einem Interview. Ein bisschen Skepsis und gesunder Menschenverstand sind jedenfalls angebracht gegenüber den zahllosen Laborstudien, die der Oxytocin-Boom der letzten Jahre hervorbrachte. Eine Studie Bonner Forscher ergab 2012 beispielsweise, dass sich verheiratete Männer unter Oxytocineinfluss mehr von einer attraktiven Wissenschaftlerin fernhielten als Singles oder Probanden, die nur eine Salzlösung bekommen hatten - zehn bis 15 Zentimeter ferner, um genau zu sein.

Es wirkt auch negativ

Studien wie diese begründen den weit über Forscherkreise hinausgehenden Enthusiasmus für das vermeintliche Sex- und Treuehormon. Man hat Oxytocin als Parfüm und als Nasenspray verabreicht. Inga Neumann, Neurobiologin an der Universität Regensburg, hält nicht viel davon. „Da werden Mengen eingesetzt, die den normalen Oxytocinspiegel um das Zehn- bis Hundertfache übersteigen. Aber Untersuchungen, was davon den Sprung über die Blut-Hirn-Schranke schafft oder auf anderem Wege im Gehirn ankommt, gibt es so gut wie keine.“ Auch die Annahme, dass der Oxytocinspiegel des Blutes automatisch mit der Ausschüttung im Gehirn korreliert, sei nicht zutreffend.

Neuere Experimente lassen sogar eine antisoziale Schattenseite des Kuschelhormons vermuten. So fanden israelische Psychologen eine oxytocinbedingte Verstärkung unschöner Emotionen wie Neid und Schadenfreude. Andere Studien legen nahe, dass sich die prosozialen Wirkungen des Stoffs nur unter vertrauten Gruppenmitgliedern zeigen, Fremde dagegen umso stärker ausgegrenzt werden.

Auch beim vieldiskutierten Ansatz, Autismus mit Hilfe des Stoffs zu kurieren, ist Vorsicht geboten. „Es gibt Hinweise darauf, dass eine chronische Gabe die körpereigene Produktion von Oxytocin und seiner Rezeptoren herunterregelt und so die Probleme von Autisten - so sie denn wirklich mit Oxytocinmangel zu tun haben - noch verstärken könnte“, sagt Inga Neumann. Negative Langzeitwirkungen fand auch die Psychologin Karen Bales von der University of California, wieder am Beispiel der monogamen Präriewühlmaus: Behandelte sie männliche Jungtiere mit dem Hormon, neigten sie später zur Untreue und zeichneten sich gleichzeitig durch ein ungeschicktes Paarungsverhalten aus.

Das wäre - falls doch auf den Menschen übertragbar - wohl kaum die gewünschte Wirkung. Man sollte es sicherheitshalber doch lieber mit den Comedian Harmonists halten: „Veronika, die Welt ist grün, drum lasst uns in die Wälder ziehn.“