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© picture alliance / dpaEin digitaler Polizist fordert chinesische Internetnutzer dazu auf, dem Gesetz zu folgen.
Die Strategie ist ausgefeilt: Von Postings im Internet bis hin zu den finanziellen Verhältnissen - China will alles über seine Bürger wissen. Ein Punktesystem soll künftig deren Verhalten einstufen. Ziel ist die "Kreation eines neues Bürgers".

Die Kommunistische Partei Chinas stellt sich den innenpolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit einer ausgeklügelten Isolationsstrategie. So will sie die 1,3 Milliarden Bürger des Landes mit Hilfe von Big Data kontrollieren und zu gehorsamen Staatsbürgern erziehen. Das Credo: Wer aus der Reihe schert, bekommt Schwierigkeiten.

Bis 2020 soll jeder Chinese in einem elektronischen Verzeichnis erfasst sein, das per Punktesystem sein Sozialverhalten einstuft. Das sogenannte Social Credit System führt die Bewertung mehrerer Aspekte des alltäglichen Lebens zusammen. Dazu zählen das Kauf- und Konsumverhalten, die finanziellen Verhältnisse, aber auch Vergehen im Straßenverkehr und Kommentare oder Postings im Internet. Eine Konferenz hochrangiger Mitarbeiter aller Ministerien arbeitet im Auftrag des Staatsrates seit vergangenem Jahr intensiv an dem Projekt. Man wolle eine Kultur der Aufrichtigkeit etablieren, heißt es. Zu den Kernprinzipien zählt die "Förderung der Regierung", also die Stabilisierung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei.

"Die ideologische Idee dahinter ist nicht neu. Aber das Internet macht das Social Credit System für die Regierung jetzt richtig sexy", sagt der taiwanesische Technologie-Unternehmer David Lee, Gründer der Online-Plattform Maker Collider. Bis 2017 soll eine digitale Plattform entstanden sein, auf der alle relevanten Daten über jeden Bürger zentral gesammelt und in ein Punktesystem konvertiert werden. Wenn jemand Schulden hat, mit dem Auto über Rot gefahren ist oder spitze Bemerkungen im Internet gegen die Partei hinterlassen hat, gibt es Punktabzüge. Die könnten später bei der Suche nach einem Job oder einer Wohnung fehlen. "Die Frage ist, welche Gewichtung die einzelnen Aspekte erhalten", sagt Lee.

"Es wimmelt an Hinweisen darauf, dass der Punktestand als Basis für eine Anstellung oder eine Beförderung verwendet wird", sagt der Sinologe und Medienforscher Rogier Creemers von der britischen Universität in Oxford. Der Belgier legte Mitte April eine 14-seitige Übersetzung des Leitfadens zur Einführung des Social Credit System vor, das der Staatsrat schon im vergangenen Jahr verabschiedet hatte.

"Erzwungene soziale Kontrolle"

Creemers erkennt in dem Projekt "die Kreation eines neuen Bürgers": "Die Technologie von heute biete ein effektives Werkzeug zur Verhaltenssteuerung. Es sei nicht überraschend, dass die Staatsführung sie sehr gerne einsetze". Der Forscher glaubt, dass auch vermeintliches Fehlverhalten von Freunden oder Familienmitgliedern sich negativ auf den eigenen Punktestand auswirken werde, weil Kollektivstrafen in China eine lange Geschichte haben. "Das ist erzwungene soziale Kontrolle", sagt er.

Der Leitfaden fordert die Verwaltungsebenen auf, das Verhalten der Nutzer im Internet "mit Nachdruck" zu beeinflussen. Ziel müsse es sein, dass Gesetze befolgt würden und sich die Menschen "aufrichtig" benähmen. Die Definition des Begriffs "aufrichtig" verschwimmt in üblicher chinesischer Unschärfe. Die Grauzone bietet dem Regime bei Bedarf ausreichend Angriffsfläche. Falsch ist, was dem Staat nicht passt. Diese Unsicherheit hinterlässt Wirkung bei Nutzern. Sie zensieren sich selbst und tragen zur propagierten "harmonischen Gesellschaft" bei.

Schon heute überwacht die Partei alle Vorgänge im Internet akribisch. Allerdings hat sie noch keinen Masterplan, wie sie alle übrigen Daten verlässlich sammeln kann. In der Vergangenheit haben Regierungsstellen großes Interesse an den Technologien der heimischen IT-Konzerne formuliert. Die Zentralbank forderte die Marktführer Alibaba und Tencent öffentlich auf, sich am Aufbau eines Datensatzes über die Kreditwürdigkeit der Bürger zu beteiligen.

Alibaba hat bereits ein System namens Sesame Credit entwickelt, dass 300 Millionen registrierte Nutzer und 37 Millionen Anbieter seiner verschiedenen elektronischen Handelskanäle zusammenfasst. Das System soll die Kreditwürdigkeit der Konsumenten bewerten und bei entsprechender Punktzahl Geldverleih anbieten und auf Mausklick vollziehen. Kritiker fürchten, dass die IT-Unternehmen keine andere Wahl haben, als ihre Datensätze mit der Regierung zu teilen. Die Bedingungen zum Erhalt einer Internetlizenz sind seit jeher extrem scharf. Die chinesischen Großkonzerne der Branche gelten als gezähmte Riesen, die sich staatlicher Vorgabe nahezu bedingungslos unterordnen müssen.

Das Social Credit System soll auch ein stabiles Finanzsystem mit einem effizienten Kreditwesen fördern, das als Basis für künftiges Wachstum in der zweitgrößten Volkswirtschaft nötig ist. Deshalb werden nicht nur Privatpersonen erfasst, sondern auch Unternehmen und andere Organisationen. Firmen, die Umweltgesetze verletzen, sollen Minuspunkte bekommen, korrupte Behörden ebenfalls. Der Staatsrat drängt die Provinzen und Kommunen zu mehr Transparenz in staatlichen Angelegenheiten. Unter einem Vorbehalt: "dem Schutz von nationaler Informationssicherheit, von Industriegeheimnissen und der Privatsphäre von Einzelpersonen".