EHEC fordert weitere Todesopfer, Ärzte geben keine Entwarnung. Nun wurde das Genom entschlüsselt: Der Erreger ist ein völlig neuer Stamm und "super-toxisch". Der frisch gewählte BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery sagte, dass Gesundheitssystem werde bis an seine Grenzen gefordert.

NEU-ISENBURG (nös). "Neu und super-toxisch" - eine knappe Beschreibung für ein Bakterium, das derzeit die Republik in Atem hält. Die Bezeichnung stammt von chinesischen Genforschern, die jetzt gemeinsam mit Mikrobiologen der Uni Hamburg das Genom des derzeit zirkulierenden Erregers sequenziert haben.

Ihr Resultat: "Die Infektionen werden von einem völlig neuen super-toxischen Escherichia-coli-Stamm verursacht." Der Name: E. coli TY2482. Der jetzt gefundene Erreger sei zwar vom Serotyp O104, aber noch nie bei einem bekannten Ausbruch von E. coli aufgetreten.

Die Forscher vermuten in dem neuen Serotyp eine "Mischung" aus mindestens zwei Coli-Stämmen. Er soll nur ein "ganz entfernter Verwandter" der sonst üblichen EHEC-Erreger sein.

Im Erbgut fanden die Forscher 93 Prozent von einem enteroaggregativen Escherichia coli (EAEC), ebenfalls einem pathogenen E. Coli. Der Hamburger Mikrobiologe Dr. Holger Rohde nannte diesen Teil das "Mutterschiff".

Der restliche Anteil des Erbguts stammt offenbar von einem enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC). Die Forscher vermuten einen lateralen Gentransfer. Denn das Genom des jetzt isolierten Keims kodiert spezifische Proteine, die typisch sind bei hämorrhagischer Kolitis und dem hämorrhagisch-urämischen Syndrom, kurz HUS.

Die Forscher fanden bei der Sequenzierung, dass der jetzige Stamm eine bessere Adhärenz hat. Das könnte die langen und schweren Verläufe erklären, wenn die Keime nur schwer therapeutisch zu eliminieren sind.

Der Münsteraner EHEC-Experte Professor Helge Karch hatte jüngst herausgefunden, dass der derzeit grassierende Erreger statt des Intimin-kodierenden Gens eae das Gen iha enthält. Es kodiert für eine besondere Form eines Adhärenzproteins.

Auch soll der jetzt "ertappte" Serotyp etliche Gene für Antibiotikaresistenzen haben. Dazu zählen etwa Aminoglykoside (etwa Streptomycin), Makrolide (etwa Clarithromycin oder Erythromycin) und β-Lactam-Antibiotika. Auch Karch hatte gezeigt, dass er Extended-spectrum-β-Lactamasen (ESBL) bildet.

Allerdings sind Antibiotika bei EHEC-Infektionen zunächst kontraindiziert. Das Problem: Die Wirkstoffe regen die Ausschüttung von Shigatoxin 2 aus den Bakterien an - mit dramatischen Folgen für die Progression bei den ohnehin schon geschwächten HUS-Patienten.

Die schwere Erkrankung HUS hat derweil die Kliniken vor allem im Norden der Bundesrepublik weiter im Griff. Bis Mittwoch waren beim Robert Koch-Institut in Berlin offiziell 470 Fälle gemeldet, die stationär behandelt werden. Viele Fälle verlaufen schwer, Sorgen bereiten den Ärzte vor allem die auffällig zunehmenden neurologischen Symptome. Bislang wurden mindestens siebzehn Todesopfer gezählt.

Eine 81-Jährige war in der Nacht zum Donnerstag am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gestorben. Die Frau hatte nach einer EHEC-Infektion ein HUS entwickelt.

Ein womöglich 18. Todesopfer könnte aus Baden-Württemberg gemeldet werden. Dort war am Mittwochabend eine 55 Jahre alte Patientin gestorben, die ebenfalls wegen eines HUS behandelt wurde. Eine Bestätigung der Todesursache steht jedoch noch aus.

Die Ärzte vor Ort geben deswegen auch keine Entwarnung. "Bei uns ist die Lage nach wie vor angespannt", sagte etwa Professor Jörg Debatin. Der ärztliche Direktor des UKE verwies auf die 102 HUS-Patienten die an der Klinik behandelt werden.

In Niedersachsen stieg die Zahl der neuen EHEC-Verdachtsfälle indes auch am Donnerstag. Dort werden nach Angaben des Gesundheitsministeriums 414 Fälle gezählt. Deutschlandweit wird die Zahl auf rund 2000 geschätzt, etwa 470 Menschen werden wegen eines HUS behandelt.

Der am Donnerstag neu gewählte Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", das Gesundheitssystem sei gerade bis an seine Grenzen gefordert.

Montgomery: "Wir testen gerade unser Notfallsystem unter extremen Bedingungen aus, und es zeigt sich, wie ich finde, es ist belastbar und stabil." Es sei erkennbar, "dass wir das Problem in den Griff bekommen können".