München - Technische Störungen und im Schnitt fast einen Notarzteinsatz täglich stören die Fahrpläne. Genervt sind nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Verantwortlichen.

Menschenmenge Bahnhof
© SchlafDie Auslöser von Notarzteinsätzen sind vielfältig. Die Folge fast immer: lange Wartezeiten für die anderen Fahrgäste wie hier am Hauptbahnhof.
Die S-Bahn-Fahrgäste nervt es, die Verantwortlichen auch: Neben technischen Störungen bringen immer häufiger Notarzt-Einsätze die Fahrpläne durcheinander: „Das Thema steht bei uns ganz besonders im Fokus. Wir haben im S-Bahn-Netz täglich im Durchschnitt einen Notarzt-Einsatz. Die Tendenz ist steigend“, erklärt S-Bahn-Geschäftsleiter Bernhard Weisser.

Das Netz ist zwar rund 440 Kilometer lang: Trotzdem bringt jede Betriebsunterbrechung auch auf den Außenstrecken den Fahrplan zumindest einer Linie durcheinander: Mangels zweiter Innenstadt-Röhre und stark ausgelasteter Stammstrecke schlägt das oft auch auf andere Linien durch. Das Schlimme: Laut Weisser kommt es alleine auf der Stammstrecke im Schnitt drei Mal pro Woche zu einer Betriebsunterbrechung.

„Wir haben die Meldewege optimiert“, sagt Weisser. DB-Notfallleitstelle und Rettungsdienst sorgen dafür, dass in wenigen Minuten Hilfe vor Ort ist. „Oft fahren nach 14 Minuten die Züge schon wieder weiter“, berichtet der S-Bahn-Chef. Bisweilen dauert es auch länger: Die Einsatzgründe sind vielfältig, reichen vom Schwächeanfall bis zum Herzinfarkt. Da lässt sich nichts beschleunigen.

Selbst nur 14 Minuten Stehzeit sind aber für das reibungslose Funktionieren auf Deutschlands dichtbefahrenster Bahnstrecke zu viel. Denn bereits zehn Minuten sind genau die Grenze, ab der die S-Bahn ein Notfallprogramm auslöst: Viele Linien enden dann in Pasing oder am Ostbahnhof, auf der Stammstrecke verkehrt gar nichts mehr oder nur einzelne Pendellinien. Oft sind dann hunderte Züge betroffen, bis wieder alle Züge planmäßig laufen. Weisser: „Ein Notarzt-Einsatz auf der Stammstrecke kann sich auf die Pünktlichkeitsstatistik eines ganzen Monats auswirken. Dennoch beträgt die Pünktlichkeit seit Wochen 95 Prozent: Das heißt 95 Prozent der Züge sind entweder pünktlich oder weniger als fünf Minuten verspätet.

Aber warum brauchen immer mehr Menschen in der S-Bahn medizinische Hilfe? Weisser hat zwei Erklärungen: Die Zahl der Fahrgäste ist in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Außerdem besitzt heute fast jedermann ein Handy: Man muss also nicht mehr den Zug verlassen, um von einem öffentlichen Telefon Hilfe zu holen. Und da die S-Bahn verständlicherweise keinen Hilfsbedürftigen aus dem Zug werfen kann, bleibt dieser stehen, bis der Notarzt kommt. Weisser: „Das Wohl unserer Reisenden steht selbstverständlich im Vordergrund.“

Über eine weitere Zunahme der Notarzt-Einsätze aus einem anderen Grund schweigt die Bahn, und auch die Medien halten sich wegen des Nachahmereffektes zurück: Immer mehr Menschen beenden vor einem Zug ihr Leben. Im Schnitt ist eine Bahnstrecke dann rund zwei Stunden lang gesperrt. Während die Deutsche Bahn trotz angeblich steigender Tendenz seit 15 Jahren von 1000 Selbstmorden bundesweit pro Jahr spricht, sind der tz folgende Zahlen bekannt: Alle ein bis zwei Wochen ein Selbstmord bei der Münchner S-Bahn, zwei bis drei Suizide pro Woche bei DB-Regio Oberbayern und täglich im Schnitt drei bis fünf Selbsttötungen mit ICEs bundesweit (Spitzenwerte: bis zu zehn pro Tag).

Eine besondere Häufung stellt die Bahn in der Nähe psychiatrischer Kliniken wie dem Isar-Amper-Klinikum München-Ost fest. Das Tragische: Nicht wenige Menschen überleben den Versuch, oft grauenvoll verstümmelt.