Schlechte Luft in Flugzeugkabinen: Schädliche Dämpfe aus den Triebwerken
Flieger,Flugzeugkabine,Passagiere Flugzeug
© Michael Schütze – fotoliaGiftstoffe in Flugzeugen.
Angesichts zahlreicher Zwischenfälle und vor allem seit dem Tod eines Piloten schwelt ein Streit um giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen. In einer neuen Studie fanden Wissenschaftler nun schädliche Stoffgemische, die wahrscheinlich aus den Triebwerken stammen.

Giftige Dämpfe in Flugzeugen

Verreisen Menschen mit dem Flieger, machen ihnen oft Flugangst oder auch die drohende Thrombose-Gefahr bei Flugreisen zu schaffen. In den vergangenen Jahren kam noch eine weitere Furcht hinzu: Im Luftverkehr häufen sich Berichte über Zwischenfälle, die möglicherweise auf giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen zurückgehen könnten. Die Rede ist von heiklen Landungen, kranken Stewardessen und Flugbegleitern sowie unabsehbaren Folgen für Passagiere. Die medizinischen Zusammenhänge waren bisher jedoch nur wenig erforscht. Einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa zufolge haben Wissenschaftler der Universität Göttingen nun untersucht, welche Stoffe welche Krankheitssymptome hervorrufen können.

Gefahr für die Nerven und das Herz-Kreislauf-System

Die Arbeitsmediziner um Astrid Heutelbeck prüften fast drei Jahre lang Proben von Menschen, die nach Flügen über Beschwerden klagten. Sie untersuchten dazu über 140 Patienten - vor allem Flugpersonal - und analysierten unmittelbar nach Flügen Blut- oder Urinproben. Dabei fanden sie neben den bereits bekannten Organophosphaten, die negativ auf Enzyme im Körper wirken, auch regelmäßig sogenannte flüchtige organische Verbindungen (VOC) oder deren Abbauprodukte. Diese Stoffe greifen laut Gesundheitsexperten Nerven und Herz-Kreislauf-System an und reizen zudem die Atemwege.

Undichte Stellen im Triebwerk

Die Forscher vermuten, dass die Stoffe in den Turbinen bei starker Hitze aus Kerosin, Ölen oder Enteisungsmitteln freigesetzt und über undichte Stellen im Triebwerk in die Zapfluft gelangen könnten. Den Angaben zufolge wird in fast allen Passagierflugzeugen die Kabinenluft aus den Triebwerken abgezapft. Dort werden von Technikern immer wieder Lachen von Öl oder Enteisungsmitteln gefunden. Schon seit den 1950er Jahren werden sogenannte „Fume Events“ (Dunst-Ereignisse) beschrieben. Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) hat für die Zeit von 2006 bis 2013 bei deutschen Fluggesellschaften nicht weniger als 663 Fälle registriert.

Pilot und Co-Pilot mit Sauerstoffmasken

Ein Zwischenfall der für großes Aufsehen sorgte, war der einer Germanwings-Maschine im Jahr 2010. Beim Landeanflug auf Köln setzten Pilot und Co-Pilot Sauerstoffmasken auf, nachdem sie einen scharfen Brandgeruch wahrgenommen hatten und ihnen übel geworden war. Der Airbus landete damals sicher. Obwohl es viele Vorfälle gab, fehlt bislang der wissenschaftliche Nachweis, dass Kabinenluft wirklich Krankheiten verursachen kann. Nach ihren eigenen Angaben sind die Göttinger Mediziner diesem Zusammenhang jetzt nähergekommen. In den kommenden Wochen wollen sie ihre Ergebnisse auf Tagungen und in Fachartikeln präsentieren. Das Krankheitsbild des umstrittenen „aerotoxischen Syndroms“ soll genauer umrissen werden. Unter diesem Begriff werden von Experten gesundheitliche Beschwerden zusammengefasst, die auf das Einatmen kontaminierter Kabinenluft in Flugzeugen zurückzuführen sind.

Hilfsturbinen aus Kostengründen eingespart

Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, sieht die Pilotenvereinigung Cockpit nun Flugzeughersteller und die europäische Zulassungsbehörde EASA in der Pflicht. Der Verband fordert technische Vorkehrungen, um gefährliche Dämpfe in Flugzeugkabinen zu vermeiden. Die Vereinigung befürwortet zusätzliche Hilfsturbinen für die Kabinenluft, die zu Beginn des Düsen-Zeitalters lange üblich waren, dann aber aus Kosten- und Gewichtsgründen eingespart wurden. Wie es heißt, verzichtet bei modernen Großraum-Jets allein Boeing bei der 787 auf Zapfluft direkt aus dem Antrieb. Cockpit sowie die Flugbegleitergewerkschaft Ufo verlangen von Herstellern und EASA, die Gesundheitsrisiken für Passagiere und Besatzungen endlich abzustellen. Laut „flightglobal.com“ hat die EASA die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und das Fraunhofer Institut schon vor längerer Zeit mit einer Untersuchung über die Schadstoffbelastung von Kabinenluft beauftragt. Untersucht werden soll demnach die Kabinenluft im Normalzustand sowie bei „Fume „Events“.

Keine Richtwerte für die Atemluft

Laut Heutelbeck gebe es für viele der nun erstmals im Labor gefundenen Substanzen keine Richtwerte für die Atemluft. „Das sind alles Stoffe, die in Verbraucherprodukten verboten sind. Es gibt nur Werte für Gefahrstoff-Arbeitsplätze, aber darum handelt es sich ja hier nicht.“ Auch die für solche Arbeitsunfälle zuständige Berufsgenossenschaft Verkehr in Hamburg gerät in die Kritik. Den Göttinger Ärzten zufolge würden Leistungen für Heilverfahren oft schon nach wenigen Tagen eingestellt und ausstehende Laborergebnisse nicht mehr abgewartet, sofern keine technischen Berichte über die Zwischenfälle vorlägen.

Medizinisches Kompetenzzentrum für Betroffene

Allerdings nimmt die Genossenschaft nach eigenem Bekunden die Problematik sehr ernst. Es gebe jedoch uneinheitliche Symptome und unklare Diagnosen. Wie es heißt, liege die Zahl der länger als sechs Wochen anhaltenden Erkrankungen pro Jahr im einstelligen Bereich. Einen dauerhaften Gesundheitsschaden haben man den Angaben zufolge noch nie festgestellt. Die Gewerkschaft Verdi kümmert sich nicht nur um das fliegende Personal. „Auch die Leute am Boden sind im hohen Maße gefährdet“, so ihr Verkehrsexperte Robert Hengster. Daher setze sich Verdi für die Gründung eines medizinischen Kompetenzzentrums zur Diagnose und Behandlung von Betroffenen ein.

(ad)