Unter Wasser müssen Augen einiges leisten: Ein Fisch blickt gleich mit vier Augen durchs Dunkel des Meeres - und Seeigel gucken mit ihren Füßen.
Schützenfisch
© picture-alliance/obs/arteDer Schützenfisch jagt Insekten über dem Wasser. Seine Augen legt er derweil unter der Oberfläche ab

Das Licht hat es schwer, bis zum Tiefseebewohner Dolichopteryx longipes vorzudringen. Bis zu zweieinhalb Kilometer unter der Meeresoberfläche lebt der Gespenstfisch. Trotz scheinbar völliger Dunkelheit besitzt er Augen. Und zwar nicht nur zwei, sondern gleich vier.

Ein Paar zeigt leuchtend orangefarben nach oben. An diesem anliegend schielt das zweite Paar seitlich nach unten. Wer dem Gespenstfisch in diese Augen blickt, sieht sich selbst. Denn D. longipes ist das einzige Wirbeltier mit Spiegelaugen. Mit ihnen kann er auch das schwächste Licht noch einfangen.

Je tiefer das Wasser, desto dunkler wird es. Sonnenstrahlen werden durch Absorption vom Meer verschluckt - ihre Energie wird in Wärme umgewandelt. So wimmelt es in Seen und Teichen, Flüssen und Bächen und in den Weiten der Ozeane von Kreaturen, die ihre Sinne fein auf die schummrigen Lichtverhältnisse abgestimmt haben.

Stielaugen fangen das Sonnenlicht in der Tiefe ein

Blickten wir durch ihre Augen, würden sich uns neue Welten offenbaren. Deshalb untersuchen Forscher die Augen der Wasserbewohner und ihre ausgefeilten Techniken - um sie abzuschauen und selbst in fremden Welten klare Sicht zu behalten.

„Das Aussehen des Fisches verriet schon, dass etwas an ihm ungewöhnlich war“, sagt Julian Partridge, Professor für Zoologie an der University of Bristol in England. Er und sein Team beschrieben erstmals die Augen des Gespenstfischs in Current Biology. Die orangefarbenen Stielaugen sind aufgebaut wie ein normales Fischauge, mit einer Linse und einer Netzhaut. Sie nutzen das wenige Sonnenlicht, das sie in der Tiefe erreicht.
Anglerfisch
© PAExtrem Bissig: Meeresexpeditionen haben bereits solch erstaunliche Tiere wie den Anglerfisch zu Tage gebracht. Dieser lebt in mehreren Kilometern Tiefe.

Das seitlich nach unten blickende Augenpaar besitzt keine Linse, sondern eine Kristallschicht an der Rückwand des Augapfels. Von dieser wird das reflektierte Bild auf die Netzhaut geworfen. Das Spiegelauge fängt das Licht ein, das von den silbrigen Schuppen möglicher Feinde reflektiert wird, die unter ihm lauern. D. longipes kann also mit seinen vier Augen gleichzeitig nach unten und nach oben sehen - und nutzt das Licht dabei optimal.

Als der Neurobiologe Michael F. Land im Jahr 1965 in die rund 60 stahlblauen Augen der Jakobsmuschel schaute, erwiderte diese seinen Blick nicht. „Ein Bild von mir selbst strahlte mir stattdessen ziemlich leuchtend aus diesen Augen entgegen“, sagt Land.

Raumfahrt nutzt die Techniken der Fische

Seine Entdeckung: die verspiegelten Augen der Jakobsmuschel. Auch das schmackhafte Tier - das sich anders als etwa die festsitzende Auster, im Meer schwimmend fortbewegt - nutzt die Spiegeltechnik um möglichst viel Licht aufzufangen.

Die Weichtiere besitzen zwar eine Linse, doch diese ist zu schwach, um ein aussagekräftiges Bild zu erzeugen. Lands Interesse war geweckt und er untersuchte im Laufe seiner langen Karriere an der University of Sussex die reflektierenden Augen vieler wirbelloser Tiere, wie etwa die bestimmter Krabben- und Hummerarten.

Von diesen Erkenntnissen profitieren auch andere Wissenschaftler: So entwickelten Astrophysiker der University of Leicester ein Röntgenteleskop nach dem Vorbild von Hummeraugen. Diese erlauben durch die Anordnung einzelner reflektierender Zellen ein Sichtfeld von 180-Grad - mit zwei Augen kann der Hummer rundum blicken. Mithilfe dieser Technik erkundet die europäische Raumfahrtbehörde nun die unendlich dunklen Weiten des Weltalls: Das Teleskop soll die Oberfläche des terrestrischen Planeten Merkur analysieren.
Benthic holothurian (Fischart)
© David Shale/James CookBei der größten Volkszählung in den Meeren, des Census of Marine Life, haben Wissenschaftler auch im Nord-Atlantik zahlreiche neue Tiere entdeckt: u.a. den Benthic holothurian.

Vielleicht sollten sich die Weltraumforscher als Nächstes das Auge des Seeigels ansehen - denn auch der Stachelhäuter sieht in alle Richtungen und fühlt sich in der Dunkelheit am wohlsten. Mit seinen schleichenden Bewegungen auf winzigen Füßen wäre er ein vorsichtiger Entdecker auf fremdem Terrain. In jedem einzelnen seiner Stacheln, so fanden Esther Ullrich-Lüter von der Freien Universität Berlin und ihr Team heraus, befinden sich an der Basis und am Ende ein sensibler Rezeptor.

Tausend Einzelaugen setzen Bild zusammen

Ein Erkundungsfahrzeug erhielte mit so vielen Kameras Bildinformationen aus allen Richtungen. Doch dem Seeigel helfen die Rezeptoren nur, um wahrzunehmen, aus welcher Richtung das Licht kommt. So weiß er, wohin er sich bewegen muss, um eine dunkle, geschützte Nische zu finden.

Auch der Fangschreckenkrebs mag die Dunkelheit, denn sie bietet Schutz vor Jägern. Das bizarre, einer Gottesanbeterin ähnelnde Krustentier bohrt Sandgänge in den Meeresboden, in denen es seiner Beute, wie etwa Krabben, auflauert.
Drachenfisch
© Dr. Julian FinnDas Meer nimmt einen riesigen Teil der Biosphäre ein, dennoch ist über keinen Lebensraum so wenig bekannt. Die erste umfassende Volkszählung in den Meeren rund um den Globus versucht, einen Überblick zu geben. Zu den neuen Funden in den Meeren gehört dieser Drachenfisch, der sogar Zähne auf seiner Zunge hat. Der Tiefseefisch lebt am liebsten dort, wo es kalt und dunkel ist.

Während der Seeigel nur zwischen hell und dunkel unterscheidet, nutzen die Präzisionsinstrumente des Fangschreckenkrebses jedes erdenkliche Mittel, um ein scharfes Bild der Umgebung herzustellen. Seine Augen setzen sich aus bis zu Tausend Einzelaugen, Ommatidien genannt, zusammen.

Eine spezielle Anordnung der Ommatidien erlaubt es den Krebsen, mit einem einzelnen Auge dreidimensional zu sehen. Mit komplizierten Sensoren nehmen sie über 100.000 Farben wahr. Doch nicht nur das: Um der Dunkelheit des Lebensraums zu trotzen, sehen sie nicht nur das sichtbare, sondern sogar auch das ultraviolette Licht. Manche Unterarten sind gar dazu fähig polarisiertes Licht wahrzunehmen. Ihre gute Sicht macht sie zu ausgezeichneten Jägern.

Schützenfisch kann sein Augen ablegen

Über perfekt auf die Lichtverhältnisse und Jagdgründe angepasste Augen verfügt auch der Schützenfisch. Er lebt im küstennahen tropischen Brackwasser. Seine Beute sind Insekten, die sich an der Wasseroberfläche aufhalten. Zu ihnen gesellt sich der barschartige Fisch, um sie mit einem gespuckten Wasserstrahl zielsicher abzuschießen. Seine Augen bleiben dabei allerdings im Wasser. Dem Fisch gelingt es also, die Lichtbrechung zwischen Luft und Wasser mit seinem Sichtvermögen auszugleichen.

Shelby Temple, Neurobiologe an der University of Queensland hat die Netzhaut des Schützenfischs untersucht und dabei zwei verschiedene Bereiche mit unterschiedlich dichter Anzahl von Farbsinneszellen, Zapfen genannt, gefunden. Ein Bereich ist auf den Wellenlängenbereich der Farben unter Wasser ausgerichtet. Der andere ist empfänglich für das Farbspektrum über der Wasseroberfläche.

„Menschliche Augen sind prädestiniert dazu, Früchte vor Gestrüpp zu erkennen. Bei Schützenfischen ist das ähnlich“, sagt Temple. Ihre Technik erlaubt ihnen selbst einen halben Meter entfernte Insekten zu sehen und zu versenken. Schützenfische haben also so etwas wie Gleitsichtgläser für Unter- und Überwassersicht.

Menschliches Sehvermögen passt sich Wasser an

Den meisten Menschen ist das nicht vergönnt, sie sehen unter Wasser verschwommen. Durch den unterschiedlichen Brechungsindex von Wasser und Luft entsteht auf der Netzhaut nur ein schemenhaftes Bild. Die Pupillen weiten sich um mehr Licht ins Auge zu lassen. Dadurch leidet jedoch die Sehschärfe. Doch wenn die Kinder vom Volk der Moken tauchen, passiert etwas Erstaunliches: Ihre Sicht ist unter Wasser ungetrübt. Die Augen der Nomaden der Adamamensee an der Westküste Thailands und Myanmars haben sich über viele Generationen an das Leben mit dem Meer angepasst.

Die schwedische Wissenschaftlerin Anna Gislén von der Universität Lund schreibt in „Current Biology“, dass die Kinder ihre Pupillen im Meer zu einem winzigen schwarzen Punkt verkleinern. So können die Kinder ohne Sehhilfe Seegurken, Seesterne und andere Meeresfrüchte an Land bringen. Eine Anpassung, erklärt Gislén in einer weiteren Studie, zu dem auch europäische Kinder fähig sind, wenn sie nur üben.