Seit Jahrzehnten steht das Fett in unserer Nahrung unter Beschuss. Immer mehr fettreduzierte Lebensmittel erobern den Markt. Doch der gewünschte Effekt, nämlich die Reduzierung von Körpergewicht, bleibt meistens aus. Warum das so ist und warum wir tatsächlich wieder zu Butter und Sahne greifen sollten, erklärt Ulrike Gonder, Ernährungswissenschaftlerin und Autorin des Buches Mehr Fett in einem Gespräch mit n-tv.de.
Butter
© UnbekanntDer vergangene Herbst brachte bereits einen Preissprung bei Butter.

n-tv.de: Frau Gonder, entgegen dem Trend kämpfen Sie für das Fett in unserer Nahrung. Warum?

Ulrike Gonder: Das ist leicht zu beantworten. Ich habe schon immer gern fettreiche Lebensmittel wie Sahne und Butter gegessen, weil sie mir einfach schmecken. Als Teenager fühlte ich mich dann viel zu dick und habe mich durch eine Reihe von Diäten gequält. Die, wie die meisten Diäten, nichts brachten oder im schlimmsten Fall sogar das Gegenteil bewirkten. Die meisten der ausprobierten Diäten waren fettarm und schmeckten mir gar nicht. Aus dieser Frustration heraus war ich schon mal sensibilisiert für das Thema Fett. In meinem Studium haben mich dann die widersprüchlichen Meinungen über Fett hellhörig und neugierig gemacht, sodass ich mich entschloss, tiefer in das Thema einzusteigen.

Wie sah denn die Vertiefung aus?

Erstens gab es innerhalb der Wissenschaft neue, wenn auch zögerliche, Erkenntnisse zum Thema Fett und Gesundheit. Zweitens gab es auch immer absolute Fett-Befürworter und Fett-Gegner. Das fand ich sehr spannend. Ich habe damals begonnen, die wissenschaftlichen Studien zum Thema Fett selbst und im Original zu lesen. Dabei habe ich festgestellt, dass beim Thema Fett einiges im Argen liegt.

Was meinen Sie damit?

Ich kann Ihnen das mal an einem Beispiel erklären. Es gibt ungefähr 20 Studien, die der Frage nachgegangen sind, ob der Verzehr von gesättigten Fettsäuren zu Arteriosklerose oder Herzinfarkt führt. Von diesen 20 Studien gibt es drei, die einen Zusammenhang gefunden haben. Diese drei Studien werden ständig, auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), zitiert. Die restlichen 17, die keinen Zusammenhang feststellen konnten, werden einfach unter den Tisch gekehrt. Das macht mich sprachlos und ich finde es ärgerlich.
bratwurst
© picture alliance / dpaBratwurst vom Grill schmeckt nicht zuletzt wegen des hohen Fettanteils so gut.
Wie weit ist denn die Wissenschaft in der Fettforschung?

Vieles ist längst erforscht, aber nicht gut bekannt gemacht worden. Bei anderen Fragen steht sie noch am Anfang. Zum Beispiel beginnt die Wissenschaft gerade erst zu erforschen, welche positiven Stellenwerte die Fette für den Körper haben. Die Omega3-Fette zum Beispiel sind hochaktive Moleküle. Bekannt ist, dass sie entzündungshemmend wirken. Sie können jedoch bis in den Zellkern kriechen und Gene an- und ausschalten. Wie wichtig diese und andere Wirkungen der Fette für unsere Gesundheit ist, weiß man noch nicht so genau. Da ist noch eine Menge Grundlagenforschung nötig. Aber wir müssen auf jeden Fall aufhören, das Fett als solches zu dämonisieren.
öl
© unbekanntÖl ist wichtig, damit der Körper Vitamine, zum Beispiel aus einem Blattsalat, aufnehmen kann.
Das ist ja eine harte Umschreibung.

Das Fett wurde aber verteufelt und das hat viel Schaden angerichtet. Erst seitdem die fettarme Ernährung massiv propagiert wurde, sind die Zahlen der Übergewichtigen weltweit stark angestiegen. In den USA zum Beispiel, wo in den 1980er Jahren vermehrt auf "low fat" und Light-Produkte gesetzt wurde, stiegen die Zahlen von Übergewichtigen erst dann explosionsartig an.

Heißt das, dass zu wenig Fett dick macht?

Seit den 1980er Jahren heißt es immer: "Fett macht fett". Dieses Modell ist jedoch zu einfach, genau wie das Gegenteil auch nicht zutrifft. Klar ist, dass nicht nur Fett, sondern auch Zucker oder Kohlenhydrate zu Übergewicht führen können. Es kommt wie immer auf die Dosis an. Obwohl Fett die meisten Kalorien hat, hält eine fettarme Kost nicht automatisch schlank. Denn wer stattdessen viele Kohlenhydrate, also stärke- und zuckerreiche Lebensmittel isst, hat häufiger Hunger, isst mehr und läuft damit eher Gefahr, dick zu werden. Im Übrigen schmeckt das Essen ja auch besser, wenn es nicht fettarm ist, denn Fett ist ein Geschmacksträger. Fette sind lebensnotwendig, sie sorgen für Geschmack und halten lange satt. Mit fettarmen Light-Produkten ist man meines Erachtens auf dem Holzweg.

Also weg von den Light-Produkten, hin zu normalfetten Lebensmitteln?

Gesunde Menschen sollten essen, was ihnen schmeckt und gut bekommt. Wer krank ist, benötigt eine individuelle Ernährungsberatung. Wer insgesamt zu viel isst, kann natürlich dick und krank davon werden, doch dafür ist nicht allein das Fett verantwortlich. Im Übrigens kennt man das ja: Wenn man mal zu viel Fettreiches zu sich genommen hat, liegt es einem schwer im Magen und das ist sehr unangenehm. Mir geht es darum, den Menschen zu sagen, dass sie nicht in erster Linie am Fett sparen müssen, um gesund zu bleiben - im Gegenteil. Wir wissen heute, dass es zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen sogar schädlich sein kann, Fett durch Kohlenhydrate zu ersetzen. Genau das wurde uns aber 30 Jahre lang empfohlen, und darin sehe ich den Skandal, es schreit nur keiner. Dass Hersteller auf den Zug von Light-Produkten aufspringen, um Kapital daraus zu schlagen, ist völlig klar. Die Industrie tut oft nur das, was die Ernährungswissenschaft vorgibt. Auch deswegen brauchen wir bessere Empfehlungen.


Kommentar: Dr. Lutz erklärt in seinem Buch, dass das Herz, um zu funktionieren, vorrangig Fette benötigt und für Kohlenhydrate kaum Verwendung hat.


light-produkt
© picture-alliance/ dpaLight-Produkte haben meistens mehr Kalorien als gedacht.
Muss es in Bezug auf Fett ein Umdenken geben?

Ich denke, wir sind mittendrin. In den USA laufen bereits heftige Diskussionen, auch über die Rolle der gesättigten Fette. In Deutschland wird diese Diskussion, wenn überhaupt, dann hinter den Kulissen geführt. 2006 hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zum Thema Fett zwar eine Leitlinie erarbeitet, die zeigt, dass es keine überzeugenden Zusammenhänge zwischen dem Fettkonsum und Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs gibt. Leider wird das aber nicht ausreichend kommuniziert.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Die DGE hat über Jahre das Fett schlechtgemacht und 2006 festgestellt, dass das unnötig war. Ich denke, nun ist es schwierig, das alles wieder zurückzunehmen. Ähnlich verhält es sich mit den Kohlenhydraten. Da hat die DGE im vergangenen Jahr herausgefunden, dass es keinen präventiven Effekt für die Gesundheit gibt, wenn man viele Kohlenhydrate zu sich nimmt. Die DGE sagt selbst, dass man keine optimale Höhe der Kohlenhydrate empfehlen kann, sie tut es aber trotzdem. Zwar könne sie sich unter bestimmten Umständen vorstellen, dass auch weniger Kohlenhydrate, dafür aber mehr Fett und Eiweiß ok sind. Aber auch diese Information ist ziemlich versteckt und wird leider nicht offensiv kommuniziert.


Kommentar: Dasselbe findet auch in den USA statt. Als ein Beispiel unter vielen, kann da die "American Diabetes Association" (ADA) genommen werden, die für Diabetiker weiterhin Kohlenhydrate empfiehlt und keine Einschränkungen für den Verzehr gibt und Fette in den Hintergrund rückt. Dr. Bernstein hat hingegen in seiner langjährigen Praxis, selbst Diabetiker und Arzt, beste Ergebnisse erzielt und Folgeschäden durch den Diabetes heilen können, mithilfe einer Diät von ca. 30 gr Kohlenhydraten am Tag und viel Proteinen und Fetten. Die Fehlinformationen, die man immer wieder hört drehen sich um Cholesterin. In den Jahren jedoch als Dr. Bernstein sich ebenso von der herkömmlichen Diät ernährte (wenig Fett, viel Kohlenhydrate) stieg sein Cholesterinspiegel an anstatt zu sinken.


Also gibt es in Deutschland derzeit noch kein Umdenken?

Doch, allerdings eher von unten als von oben. In der Bevölkerung hat schon vor einiger Zeit ein Umdenken eingesetzt. Es gibt immer mehr Menschen, die sagen, ich lebe "low carb", weil es mir gut damit geht. Ich spare nicht mit Fett und achte eher auf Zucker- und Stärkeanteile in der Ernährung. Meines Erachtens gibt es diesbezüglich eine Revolution von der Basis aus. Die offiziellen Stellen hängen dieser Entwicklung leider noch immer hinterher.

Sie sind ja gar nicht gut auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu sprechen.

Es ist doch so, dass der Großteil der Ernährungsberater nach den Standards der DGE ausgebildet wird. Darin sehe ich ein ganz großes Problem. Wenn sie sich nicht anderweitig fortbilden, sind die Kenntnisse der Ernährungsberater einfach nicht zeitgemäß, so dass sie mit ihrem Wissen hinter manchem interessierten Verbraucher stehen.
ulrike gonder
© unbekanntUlrike Gonder ist Ernährungswissenschaftlerin und Autorin.
Was empfehlen Sie denn Menschen mit Übergewicht, die abnehmen möchten?

Das kann ich nicht pauschal beantworten, denn das hängt von vielen Faktoren ab und bedarf einer individuellen Analyse. Ich kann aber sagen, dass kohlenhydratreduzierte Diäten, die gerade nicht auf einer Fettreduktion basieren, sehr gute Ergebnisse erzielen. Hier spielen auch der Geschmack und die Lust am Essen eine wichtige Rolle. Und was die Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen angeht, schneiden sie auch besser ab. Aber es wird noch spannender beim Thema Fett, denn die Forschung schaut sich gerade die Zusammenhänge mit Krebs, Alzheimer und anderen Hirnfunktionsstörungen an. Und auch da zeichnet sich ab, dass mehr Fett vermutlich die bessere Wahl ist. So erwies sich eine ketogene, also eine extrem kohlenhydratarme, öl-/eiweißreiche Ernährung als hilfreich für Nerven und Hirn sowie bei Krebspatienten. Vielleicht reden wir in zehn Jahren darüber, wie man mit besonders fettreicher Kost Alzheimer aufschieben kann.