Die Wahrnehmung unserer Umwelt kann angesichts der subjektiven Blickwinkel und Annahmen von Menschen recht unterschiedlich ausfallen. Den Umgang mit derlei Perspektivenvielfalt erwerben Kinder im Alter ab drei Jahren, ergab eine Studie Salzburger Forscher.

Sie konnten erstmalig zeigen, dass das Verständnis für unterschiedliche Identitäten mit jenem für falsche Annahmen Hand in Hand geht - und keineswegs ein getrennter Entwicklungsprozess ist.

Sich in andere Menschen hineinversetzen

Warum geht Max zur Einkaufstasche, um seine Schokolade zu holen, und nicht zum Kasten, wo sie ist? Er glaubt, die Schokolade wäre noch in der Einkaufstasche, und daher ist seine Handlung nicht so irrational wie sie scheint. Diese Einsicht, dass Max aufgrund einer falschen Annahme agiert, müssen Kinder aber erst erwerben.

Die Psychologen sprechen von "Theory of Mind", die sich im Kindesalter entwickelt - quasi "als Basis dafür, wie wir die inneren Vorgänge in anderen und uns selbst verstehen", so Studienautor Josef Perner vom Fachbereich Psychologie der Uni Salzburg.

Erst zwischen drei und fünf Jahren entwickelt sich diese Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, und damit das Verständnis für falsche Annahmen: Man kann verstehen, warum eine sich rational verhaltende Person die Schokolade nicht dort sucht, wo sie ist.

Hängt mit anderen Fähigkeiten zusammen

Wie die Forscher nun zeigen konnten, gibt es aber auch andere Fähigkeiten in der kindlichen Entwicklung, die offensichtlich keine "Theory of Mind"-Aufgaben sind, also kein "Hineinversetzen" in eine andere Person erfordern, aber dennoch von Kindern im gleichen Alter erstmals gemeistert werden. Der Grund: Auch sie erfordern die Fähigkeit, sich verschiedene Perspektiven vorstellen zu können.

In der aktuellen Studie geht es dabei um Identitäten und Identifikation: der Salzburger Kognitionswissenschaftler und seine Kolleginnen widmeten sich der Frage, ob das Verständnis für falsche Annahmen auch mit der Fähigkeit korreliert, auf Grund von Informationen Identitäten zuordnen zu können.

Schwierige Prüfung für die Kinder

Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren sollten im Zuge von Tests dem Tiergartenwärter "Max", einer Spielfigur, helfen, die richtigen Schlüssel für die Tiergehege aus einer Schüssel zu ziehen. Der Schlüssel, der den Schlangenkäfig öffnete, wurde grün markiert und wieder in die Schüssel gelegt. Jener, der den Löwenkäfig öffnete, wurde mit einem gelben Pickerl markiert.

Dann stellte sich zur Überraschung der Beteiligten heraus, dass der gerade gelb markierte Schlüssel auf seiner anderen Seite auch schon die grüne Markierung hatte: Der grün markierte Schlüssel für den Schlangenkäfig war derselbe wie der gelb markierte Schlüssel für den Löwenkäfig - also identisch.

Doch von der Information, dass es sich nicht um zwei unterschiedliche Schlüssel sondern nur einen, der für beide Käfige passt, handelt, konnten die Dreijährigen als jüngste Testpersonen nicht profitieren. Sie verstanden nicht, dass der Schlüssel, wenn die grüne Markierung für den Schlangenkäfig sichtbar war, auch den Löwenkäfig öffnen kann.

Koppelung unterschiedlicher Entwicklungen

"Die Fähigkeit, diesen Zusammenhang zu erkennen, entwickelt sich ab drei Jahren mit dem Verständnis, dass man auch eine falsche Annahme haben kann", so Perner. Auch im Zuge eines zweiten Versuchs konnten die Forscher zeigen, dass das Erlernen dieser unterschiedlichen Konzepte gekoppelt ist und wohl im Alter zwischen drei und fünf Jahren erfolgt.

Diese Koppelung unterschiedlicher Entwicklungen spricht gegen die dominante evolutionspsychologische Sichtweise, dass unser Wissen in eigenständige Wissensgebiete organisiert sei, wie zum Beispiel eine "Theory of Mind", die sich mit der Erfassung geistiger Zustände und intentionaler Handlungen beschäftigt.

"Wenn dies ein eigenständiges Wissensgebiet ist, bleibt unerklärt, warum Verständnis von Identitäten damit in einem Entwicklungszusammenhang stehen sollte", so Perner. Die Studienergebnisse sprechen daher laut dem Forscher dafür, "dass auch begriffliche Verwandtschaft unterschiedlicher Gebiete im Wissenserwerb eine wichtige Rolle spielt".

science.ORF.at/APA

Die Studie: "Identity: Key to Children’s Understanding of Belief" ist im Fachmagazin Scienceerschienen.

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