Ob der blutrünstige Krimi, das große Drama oder die bewegende Liebesgeschichte: Wir Menschen opfern einen oft erstaunlich großen Teil unserer Zeit und unseres Geldes dafür, uns durch ausgedachte Geschichten unterhalten zu lassen. Ob die überlieferten Sagen am Lagerfeuer unserer Vorfahren, die Romane der Belletristik oder der Hollywood-Spielfilm:
"Fiktion sowohl in Form des Geschichtenerzählens als auch im Drama, ist ein wichtiger Teil der menschlichen Gesellschaft",erklären Robin Dunbar von der University of Oxford und seine Kollegen. Aber warum eigentlich?
Bei viele Sagen und Märchen scheint der Nutzen klar. Über die Geschichten werden oft Werte und Moralvorstellungen weitergegeben, zudem stärkt das gemeinsame Lauschen das Wir-Gefühl. Bei Komödien, die uns zum Lachen anregen, gibt es sogar einen biologischen Nutzen, wie Studien belegen: Lachen führt zur Ausschüttung von Endorphinen und diese Botenstoffe vermitteln uns ein Gefühl des Wohlbefindens und der Verbundenheit und senken sogar unsere Schmerzschwelle messbar. "Aber warum sollten wir genauso danach streben, uns von emotional aufwühlenden Handlungen zu Tränen rühren zu lassen?", fragen die Forscher.
Welche Effekte und Nutzen das gemeinsame Anschauen aufwühlender Filme haben könnte, haben Dunbar und seine Kollegen nun untersucht. Für ihr Experiment zeigten sie gut 90 männlichen und weiblichen Probanden einen eigens dafür gedrehten Spielfilm. In diesem wurde die traurige Geschichte von Stuart, einem behinderten und obdachlosen Jungen erzählt, der Missbrauch erlebt, drogensüchtig wird und später Selbstmord begeht. Eine Kontrollgruppe bekam stattdessen zwei eher neutrale Naturdokumentationen zu sehen. Alle Teilnehmer sahen die jeweiligen Filme in kleinen Gruppen in einem kinoähnlichen Ambiente. Vor und nach der Filmsession ermittelten die Forscher mit standardisierten Tests die Stimmung der Probanden und ihre "Wir-Gefühl" gegenüber den anderen in ihrer Kleingruppe. Außerdem testeten sie die Schmerzempfindlichkeit mit dem berüchtigten "Wandsitz"-Test. Dabei sollen die Teilnehmer sich nur durch die Kraft ihrer gebeugten Beine und ihren an die Wand gelehnten Rücken in einer halbschwebenden Sitzstellung halten. Diese Kraftanstrengung lässt nach einiger Zeit die Oberschenkelmuskeln so schmerzen, dass der Sitz nicht mehr zu halten ist. Die Durchhaltezeit gibt so die Schmerzschwelle an.
Mehr Wir-Gefühl und weniger Schmerzen
Wie erwartet beeinflusste der traurige Film über "Stuart" die Stimmung der Zuschauer deutlich stärker als die Naturdokumentationen. "Der Film rief eine starke negative Veränderung hervor, während die Kontrollfilme nur sehr wenig Änderungen brachten - und diese beruhten wahrscheinlich auf Langeweile", berichten Dunbar und seine Kollegen. Außerdem jedoch beeinflusste das gemeinsame Durchleben der Film-Tragödie auch das Wir-Gefühl der Probanden: Sie fühlten sich hinterher eher als Teil der Gruppe als vorher. Bei den Zuschauern der Dokumentationen änderte sich dagegen kaum etwas. "Die Tatsache, dass das Anschauen eines emotional berührenden Dramas den Sinn für Zusammengehörigkeit einer Gruppe stärkt, könnte darauf hindeuten, dass unser Enthusiasmus für diese Form der Geschichten sich wegen dieses sozialen Zwecks entwickelt hat", spekulieren die Wissenschaftler. "Wir vermuten, dass dieser Effekt sowohl beim Hören von Geschichten wirkt als auch beim Anschauen von gefilmten oder im Theater vorgespielten Dramen."
Das gemeinsame Anschauen des Filmdramas hatte aber auch eine messbare körperliche Wirkung: Nach dem Erleben der Tragödie hielten die Probanden den schmerzhaften Wandsitz deutlich länger aus - immerhin im Durchschnitt um gut 13 Prozent. Das deutete darauf hin, dass ihre Schmerzempfindlichkeit durch die intensive emotionale Erfahrung gesunken war, wie die Forscher erklären. Ähnlich wie beim Lachen führen sie diesen Effekt auf eine vermehrte Ausschüttung von Endorphinen zurück. "Das bestätigt, dass auch das Anschauen von Tragödien das Endorphinsystem beeinflusst und darüber sowohl unsere Schmerzempfindlichkeit als auch unser Gruppengefühl", so Dunbar und seine Kollegen. Sie betonen jedoch, dass sich der Filmgenuss trotz dieser Effekte natürlich nicht auf die rein neurochemische Eben reduzieren lässt: "Sowohl die Schaffung solcher Geschichten als auch unser Genuss der Filme beinhaltet natürlich noch viele andere Aspekte der menschlichen Psychologie", konstatieren sie. "Aber wir wollten zeigen, dass der Grund, warum wir solche Geschichten genießen, zumindest zu einem Teil auch daher rührt, dass sie bei uns mindestens ein wichtiges neurophysiologsches System beeinflussen."
Quelle:
Kommentare von Lesern
für unseren Newsletter an