Die Zahl der Toten in der philippinischen Stadt Marawi ist nach einem Angriff einer Miliz der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ auf rund 100 Menschen gestiegen. RT Deutsch sprach mit Analysten über die militärische Lage in Marawi und die Hintergründe.
Philippinen
Nach offiziellen Angaben sind beim Überfall der dschihadistischen Maute-Gruppe, die dem „Islamischen Staat“ in Syrien und Irak die Treue geschworen hat, nicht weniger als 27 Zivilisten ermordet worden. Die Gruppe unter dem Führer und Namensgeber Abdullah Maute startete am vergangenen Dienstag einen Überraschungsangriff auf die Stadt Marawi auf den südlichen Philippinen.


Zusätzlich räumte ein weiterer Militärsprecher der philippinischen Streitkräfte, Restituto Padilla, ein, dass bei der Bekämpfung des IS seit Dienstag elf Soldaten und vier Polizeibeamte ums Leben gekommen sind. Im Gegenzug starben 61 Dschihadisten der Maute-Gruppe, berichtet das Militär. Insgesamt steigt damit die Zahl der Todesopfer in Marawi auf über 100 Personen.

Philippinische Soldaten
© ReutersPhilippinische Marinesoldaten im Einsatz, 28. Mai 2017
Die Kämpfer scheinen angesichts der militärischen Operationen wieder geschwächt worden zu sein. Sie stellen keine kritische Gefahr mehr da, sind aber immer noch eine Bedrohung für die Bevölkerung, beteuert Militärsprecher Padilla.

„Wir glauben, dass ihnen die Munition und Nahrung ausgeht“, sagte er. „Im Vergleich zu den ersten Tagen gibt es heute weniger Widerstand von den Militanten in Marawi.“


RT Deutsch sprach mit dem Islamismus-Experten Pawel Wojcik, der für das polnische Fachportal mPolska24 tätig ist. Seiner Meinung nach gestaltet sich die Situation am Boden komplexer, als das Militär suggeriert. Wojcik erklärte:
Wie es scheint, gehen die Kämpfe doch in die zweite Woche. Das Militär versucht, die Kämpfer aus dem Bezirk Lanao in Marawi herauszudrücken. Das ist schwierig, weil Scharfschützennester und die Angst vor zu großen zivilen Opfern die Offensive der Armee stoppen.“

Der IS soll mindestens 20 Christen getötet haben. Auch wenn die Gruppe Marawi heute nicht einnehmen kann, das Hauptziel hat Maute erreicht. Sie befreite einige hundert Muslime aus dem Stadtgefängnis und konnte ein ganzes Arsenal von Waffen und Ausrüstung erbeuten. Noch wichtiger ist, dass der IS bewiesen hat, dass seine Präsenz auch wuchtige Schläge auf den Philippinen ausführen kann.“
IS Philippinen
© IS in Philippinen via Pawel Wojcik"Islamischer Staat" brennt Kirche in Marawi nieder (Quelle: IS in Philippinen via Pawel Wojcik)
Simultan zu militärischen Operationen führte das Militär Rettungseinsätze durch. Es befreite zahlreiche Zivilisten aus der Gefangenschaft der Dschihadisten. „Wir haben seit dem Beginn der Operationen erfolgreich 124 gefangene Zivilisten gerettet und unterstützt“, erläuterte Padilla.

Präsident Rodrigo Duterte rief im südlichen Teil der Philippinen das Kriegsrecht aus, nachdem die IS-Gruppe die Stadt Marawi gestürmt hatte. Die meisten Bewohner der überwiegend muslimischen Stadt, die 200.000 Einwohner zählt, sind inzwischen aus Marawi geflohen. Schätzungen zufolge hält die Maute-Miliz noch 2.000 Zivilisten fest.

„Sie haben uns SMS-Nachrichten geschickt, rufen unsere Hotline an und bitten uns, Rettungsteams zu schicken. Wir können aber nicht einfach in Bereiche einrücken, die für uns unzugänglich sind“, sagte Zia Alonto Adiong, Pressesprecher des Krisenmanagement-Komitees.

„Sie wollen fliehen. Sie sind um ihre Sicherheit besorgt. Einige haben keine Nahrung mehr. Sie fürchten, von Kugeln oder Luftangriffen getroffen zu werden“, fügte er hinzu. Das Militär hat seine Luftoperationen in Teilen von Marawi am Wochenende verstärkt. Am Boden liefern sich Regierungstruppen mit IS-Kämpfern Straßenschlachten.

Regierungsbeamte der Philippinen informierten über die Organisationsstruktur der Maute-Gruppe, dass die Organisation nicht mehr als eine lokale Terrororganisation angesehen wird. Ihren Reihen seien zahlreiche Kämpfer aus Malaysia, Indonesien und „anderen Nationalität“ beigetreten.

IS Philippinen
© IS Philippinen und Pawel WojcikMaute-Gruppe/IS zerstörte ein Panzerfahrzeug der philippinischen Armee vergangene Woche
Ruslan Tard vom Fachportal für Krisengebiete De Re Militari erzählte RT Deutsch auf Anfrage, dass die Stärke der Maute-Gruppe auf eine clevere Vereinigungspolitik mit anderen militanten Gruppen zurückzuführen ist. Tard informierte:
Die 2013 gegründete Maute-Gruppe nennt sich auch Islamischer Staat in Lanao. Diese Miliz ist nur eine von vielen, die sich dem IS angeschlossen haben. Lokale Rebellen und Islamisten schlossen sich unter dem Oberbefehl des IS zusammen, der deren Operationen koordiniert. Zu den Gruppen, die sich außerdem dem selbsternannten Kalifat angeschlossen haben, gehören die Moro Islamische Befreiungsfront und Dschamat al Tawhid vel Dschihad, die ehemals al-Qaida angehörte.“
Hinter der guten Organisation der Dschihadisten stehen höchstwahrscheinlich Veteranen der kampferprobten Abu Sayyaf Organisation, die im Südwesten der Philippinen operieren. Der Analyst Tard erläuterte RT Deutsch:
Es gibt Informationen, dass die Kämpfer in Marawi von Insilon Hapilon angeführt werden. Er wird von den USA als Terrorführer gelistet. Hapilon war der Anführer von Abu Sayyaf. Im April 2016 schwor Hapilon dem IS die Treue und wurde zum Emir auf den Philippinen ernannt.“
Die enorme extremistische Dynamik im Süden der Philippinen schlägt historische Wurzeln. Die Maute-Gruppe führt ihren Namen auf die Führer Abdullah und Omar Maute zurück. Beide stammen aus einem Maranao Kriegerstamm, der in Lanao del Sur angesiedelt ist. Beschrieb Tard und fügte hinzu:
Wir haben es mit einem Mix aus globaler Dschihadismus-Bewegung und einem lokalen Aufstand gegen die philippinische Regierung zu tun. Der IS versucht die lokalen Konflikte und Rebellen-Aktivitäten für sich zu gewinnen, um einen funktionierenden lokalen Ableger in Ost-Asien aufzubauen. Interessant ist, dass der IS nach den Ereignissen in Marawi zahlreiche ostasiatische Kanäle auf Telegram für die eigene Anhängerschaft öffnete.“
Präsident Duterte schwor vergangene Woche, die Zerschlagung der Maute-Gruppe zur persönlichen Aufgabe machen zu wollen und wieder Frieden in die Region zu bringen. Er sagte:
Wenn ich sie nicht bekämpfen kann, trete ich als Präsident zurück. Wenn ich inkompetent und unfähig bin, Ordnung in diesem Land zu halten, lasst mich abtreten, und ich gebe den Job jemand anderem.“