Die Welt steuert auf eine Nahrungskrise zu: Der Bedarf an Nahrungsmitteln wächst, das Ackerland schrumpft. SZ Wissen zeigt, an welchen Lösungen gearbeitet wird.

Der gigantische Ausverkauf begann vor knapp zwei Jahren. Die Ware: krümelige, lehmigbraune Erde - Ackerland, Millionen Hektar.

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© dpaDie Hektik der Landkäufe erinnert an den Moment kurz vor dem Kollaps des Finanzmarkts, als Anleger panisch in Gold investierten, weil allein das Edelmetall einen Rest Sicherheit versprach.
Die Käufer: Regierungen und private Investoren aus Ländern, denen die eigene landwirtschaftlich nutzbare Fläche nicht reicht.

Ägypten will im Sudan zwei Millionen Tonnen Weizen pro Jahr produzieren, China setzt auf Ernteerträge in Simbabwe und Uganda. Eine japanische Firma sichert sich Ackerland in Brasilien, eine saudiarabische in Indonesien. Die Hektik der Landkäufe erinnert an den Moment kurz vor dem Kollaps des Finanzmarkts, als Anleger panisch in Gold investierten, weil allein das Edelmetall einen Rest Sicherheit versprach.

Immer mehr Menschen wollen immer mehr essen

Seit Jahren warnt die Welternährungsorganisation FAO vor einer weltweiten Nahrungsmittelknappheit. Von den 6,7 Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, hungern 923 Millionen. 2050 wird die Weltbevölkerung auf 9,2 Milliarden Menschen gewachsen sein, bis zu drei Milliarden werden hungern.

Wenn Investoren jetzt Ackerland wie Gold behandeln, zeigt dies, dass sie den Ernst der Lage erkannt haben - und über genug Geld verfügen, um sich von dem Problem noch eine Weile freizukaufen. Der Bedarf an Nahrungsmitteln wächst rasant, und der Produktion fällt es zunehmend schwer, Schritt zu halten. Die reichen Länder wälzen ihre Schwierigkeiten auf die ärmeren ab.

Immer mehr Menschen wollen immer mehr essen - und längst nicht mehr nur das, was ihre Heimat hergibt. Fragte man Familien auf der ganzen Welt nach ihrem typischen Speiseplan, fielen die Antworten bislang sehr unterschiedlich aus.

Mehr Fleisch, weniger Getreide

Würde man dieselbe Frage in einigen Jahren noch einmal stellen, erhielte man recht einheitliche Antworten.

Mehr Fleisch, weniger Getreide: So isst man in einer globalisierten Welt, in der viele Menschen ihre traditionellen Gewohnheiten aufgeben, in Städte ziehen und dort den Lebensstil der Konsumgesellschaft übernehmen.

In vielen Ländern hat diese Entwicklung bereits begonnen, besonders deutlich zu beobachten zum Beispiel an der neuen Esskultur in China.

Bis 2020 wird sich der Fleischbedarf der Chinesen verdoppeln im Vergleich zu 1995, dagegen steigt die Nachfrage nach Reis, dem bisher wichtigsten Nahrungsmittel des Landes, kaum.

"Wenn jeder auf dem Konsumniveau eines Europäers oder Amerikaners lebte, bräuchten wir drei beziehungsweise fünf Planeten", sagt Franz Josef Radermacher, Leiter des Ulmer Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung. Die FAO stellt fest: "Um 2050 den Bedarf aller Menschen zu decken, muss sich die Lebensmittelproduktion verdoppeln."

Am Anfang dieser Produktion steht Getreide, nicht nur als Nahrung für den Menschen, sondern vor allem als Viehfutter. Fast 60 Prozent der europäischen Ernte landen im Magen von Rind und Schwein.

Schweinefabriken mit einer Million Tiere

Und wenn wie jetzt in China Schweinefabriken mit einer Million Tiere entstehen, wird auch das eingekaufte Ackerland in Simbabwe und Uganda dafür bald nicht mehr genügend hergeben.

Dabei reichten rein rechnerisch die heutigen Produktionskapazitäten für neun Milliarden Menschen aus, sagt Agrarexperte Josef Schmidhuber von der FAO. Doch vor allem in Entwicklungsländern gelangen Nahrungs mittel oft nicht zu den Menschen, die sie am nötigsten brauchen.

Mit blutigen Folgen: Von Januar 2007 bis Juni 2008 brachen in mehr als 50 Ländern gewalttätige Proteste wegen Nahrungsmangel aus. Steigende Lebensmittelpreise werden die Unruhen weiter anheizen.

Was also benötigt die Welt, um all ihren Bewohnern eine Nahrungsgrundlage zu bieten? Sie braucht vor allem Wissenschaftler, die an neuen Konzepten der Lebensmittelversorgung forschen.

Nicht nur in Asien und Afrika, sondern auch in heute noch gemäßigten Zonen sind bald Getreidesorten nötig, die in Dürreperioden genauso ertragreich sind wie auf wochenlang überfluteten Feldern. Es gilt, aus weniger immer mehr zu machen.

Ein Zurück ins 19. Jahrhundert wird es nicht geben

Vor 40 Jahren gab es diese Notwendigkeit schon einmal. Auch damals wuchs die Weltbevölkerung explosionsartig, Asien stand vor einer Hungersnot.

nahrung,ertrag
© SZ Wissen/Nadine SchurrVerfügbares Ackerland pro Kopf: Während die Weltbevölkerung wächst, schrumpft die zur Verfügung stehende Anbaufläche. Zum Beispiel wird immer mehr Land verbaut, und gleichzeitig sind viele Böden von der jahrelangen intensiven Nutzung so ausgelaugt, dass sie weniger Ertrag abwerfen als früher.
Dann präsentierten Forscher eine Lösung, die als Grüne Revolution bekannt wurde. Monokulturen lösten Mischfelder ab, Bauern berieten sich mit Wissenschaftlern und züchteten Saatgut mit neuen Methoden, Dünger kam auf jedes Feld.

Sprunghaft stiegen die Erträge: Die Revolution ernährte ihre Kinder, doch zugleich fraß sie das Land auf. Zwei Drittel der weltweit genutzten Agrarflächen sind Viehweiden, die sich nicht für den Getreideanbau eignen, und auf dem verbliebenen Drittel ist der Boden von der Intensivnutzung ausgelaugt.

Bei einer wachsenden Weltbevölkerung hat sich die zur Verfügung stehende Anbaufläche pro Kopf in den letzten Jahrzehnten ständig verringert.

Eine durchschlagende Idee wie die Grüne Revolution gibt es für die aktuelle Ernährungskrise noch nicht. Auch die Gentechnik, von ihren Befürwortern oft als "zweite Grüne Revolution" gepriesen, enttäuscht bislang.

In 40 Jahren muss die Nahrungsproduktion sich verdoppelt haben

Wissenschaftler basteln an Ideen, wollen Fleisch im Labor wachsen lassen, schwimmende Ballons voller Fische sollen die herkömmlichen Aquakulturen ersetzen, und zur Abrundung des Speiseplans versuchen sich Lebensmittelingenieure am sogenannten Functional Food.

Hilflos wirken die Lösungsansätze bisher, doch belegen sie, wie sehr Ernährung von der Technik abhängt. Ein Zurück ins 19. Jahrhundert, als Tier- und Pflanzenzucht nichts mit hochentwickelter Technik zu tun hatten, wird es nicht geben.

Gleichzeitig beweist die prätechnologische Ära der Landwirtschaft, dass Wissen nicht nur im Labor entsteht, sondern auch draußen auf dem Feld, im Viehstall, auf dem Fischkutter. Das haben jene Länder erkannt, die ihre lokalen Tier- und Pflanzenarten wieder fördern, weil kein Gentechniker jene Robustheit herbeizaubern kann, die etwa Kartoffelpflanzen in Peru ihrer lebensfeindlichen Umgebung verdanken. Auch solche Wege muss der Mensch heute nutzen. Es wird nicht genügen, allein auf bestehende Methoden zu vertrauen, will man auch in Zukunft noch an reich gedeckten Tischen sitzen.

Was von den Experimenten der Wissenschaftler zu erwarten ist, und wie die Alternativen aussehen, können Sie in einer neuen, vierteiligen Serie im SZ Wissen nachlesen.

SZ Wissen, Ausgabe 4/2009/mcs