Israel hat Pläne für eine "gemischte Zone" für Männer und Frauen an der Klagemauer wieder aufgegeben. Vertreter der Diaspora laufen Sturm. Vom Abbruch der Beziehung zum israelischen Staat ist die Rede. Auch der Siedlungsbau im Westjordanland sorgt für Unruhe.

Israel IS Netanjahu
Netanjahu stülpt sich seine Maske der Vernunft über sein gewissenloses Haupt
Männer und Frauen dürfen an der Klagemauer nur noch in getrennten Abschnitten beten. Für liberalere Strömungen sollte eine dritte Zone eingerichtet werden, damit beide Geschlechter dort gemeinsam beten können. Die Gruppe „Frauen der Mauer“ (Neschot Hakotel) kämpft seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung an der Klagemauer. Allerdings warf Israels Regierung diese Pläne nun über den Haufen, denn strengreligiöse israelische Politiker hatten sich scharf gegen den Plan ausgesprochen. Auch aus Jordanien, das den Tempelberg verwaltet, kam Widerstand gegen eine liberalere Regelung.

Die Klagemauer ist ein Überrest des im Jahre 70 von den Römern zerstörten zweiten jüdischen Tempels und gilt als heiligste Stätte der Juden. Sie liegt am Fuße des Tempelbergs, den auch Muslime als Heiligtum verehren. Bauprojekte in der Nähe des Tempelbergs haben in der Vergangenheit immer wieder zu schweren Spannungen mit den Palästinensern geführt. Der aus Russland stammende Bürgerrechtler Nathan Scharanski äußerte sich „zutiefst enttäuscht“ über die aktuelle Entscheidung Netanjahus.

Die deutlichste Kritik kommt jedoch von Vertretern der Jewish Agency, einer staatlichen Organisation, die für die Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora sowie für die Einwanderung von Juden ins Land zuständig ist.
Wir repräsentieren das jüdische Volk, nicht Israels Regierung,
wird Michael Siegal, der neue Vorstandsvorsitzende der Jewish Agency in der Welt zitiert. Die Beschlüsse des Kabinetts
bedrohen das jüdische Volk, und wir wollen, dass unsere Gemeinden daheim verstehen, dass Unterstützung für Israel nicht unbedingt bedeutet, auch die Regierung zu unterstützen,
so Siegal weiter. Es ist das erste Mal, dass ein offizieller Vertreter der Diaspora sich so klar vom selbst erklärten Staat der Juden distanziert. Uriel Reichmann, Mitglied im Vorstand der Jewish Agency, forderte gar, alle Beziehungen zum Staat abzubrechen, denn
die Beschlüsse des israelischen Kabinetts kommen einer Kriegserklärung gegen den Zionismus gleich.
Die Welt schreibt von der tiefsten Krise in den Beziehungen zwischen Israel und den Juden in aller Welt seit dem Jahr 1948. In Israel kommt es häufig zu Konflikten zwischen Vertretern liberaler jüdischer Strömungen aus dem Ausland und dem Rabbinat in Israel, das von strengreligiösen Vertretern kontrolliert wird. Dabei machen die tiefreligiösen Juden in Israel nur eine Zehn-Prozent-Gruppe unter den 8,7 Millionen Einwohnern aus.

Die ultra-orthodoxen Juden leben oft in eigenen Städten und Vierteln, wie Mea Schearim in Jerusalem. Innerhalb der tiefreligiösen Gemeinde gibt es zahlreiche Strömungen. Die einzelnen Gruppen bleiben oft unter sich. Grundsätzlich lassen sich die ultra-orthodoxen Juden in zwei große Strömungen einteilen: Juden mit Vorfahren in Europa (Aschkenasim) und Juden mit Vorfahren unter anderem in arabisch-sprachigen Ländern (Sephardim).

Die einzelnen Gruppen legen religiöse Schriften unterschiedlich streng aus. In strikteren Gemeinschaften studiert der Mann religiöse Texte wie den Talmud. Die Frau geht arbeiten und versorgt die Familie. In weniger strengen Gruppen geht auch der Mann arbeiten. Die Männer tragen in der Regel schwarze Kippas und Hüte sowie lange Schläfenlocken. Die Frauen ziehen sich züchtig an mit Rock, geschlossenen Schuhen und Oberteilen mit langen Ärmeln.

Gleichzeitig sind die ultra-orthodoxen Juden die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe in Israel, weil ihre Geburtenrate zuletzt bei mehr als sechs Kindern pro Familie lag. In der Gesamtbevölkerung liegt diese Zahl bei 3,1 Kindern. Doch die politische Macht der Orthodoxen ist weitaus größer als der Bevölkerungsanteil, den sie repräsentieren. In dem zerklüfteten politischen System Israels kommt ihnen oft die Rolle des Königsmachers zu. Gerade unter Netanjahus aktueller vierter Amtszeit genießen sie so großen Einfluss wie nie zuvor.

Dieser Einfluss zeigt sich auch immer wieder in der umstrittenen Siedlungspolitik Israels. Erstmals seit 25 Jahren hat Israel mit dem Bau einer ganz neuen Siedlung im Westjordanland begonnen. In dem Ort Amichai (zu Deutsch: Mein Volk lebt) nordöstlich von Ramallah sollen zunächst 40 Familien unterkommen, die im Februar ihre Mobilhäuser in dem Siedlungsaußenposten Amona räumen mussten. Ein Gericht hatte damals entschieden, dass sich die Menschen unrechtmäßig auf palästinensischem Privatland niedergelassen hatten.

Israel hat während des Sechstagekrieges unter anderem das Westjordanland und das arabisch geprägte Ost-Jerusalem erobert. Das Westjordanland wird seither weitgehend von Israel kontrolliert. Die Palästinenser beanspruchen allerdings das Gebiet für einen unabhängigen Staat Palästina mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem. Mittlerweile leben rund 600.000 israelische Siedler im Westjordanland und in Ost-Jerusalem.

Die israelische Menschenrechtsorganisation Jesch Din hat gemeinsam mit einem Vertreter des nahe gelegenen palästinensischen Dorfes Dschalud eine Petition gegen Amichai beim Höchsten Gericht eingereicht. Sie kritisieren, dass die für den Ort ausgewiesene Verwaltungsfläche auch palästinensisches Privatland beinhalte - und befürchten Zugangsprobleme für die Besitzer. Sie fordern, den Plan zu widerrufen.

Jesch Din kritisiert dabei auch, wie Amichai gegründet wird. „Das ganze Verfahren wird ohne Transparenz durchgeführt“, sagt Sprecher Gilad Grossman. Palästinenser sollten grundsätzlich die Möglichkeit haben, Einspruch einzulegen, auch wenn Verwaltungsbezirke etwa vergrößert würden. Das Gericht hat der Regierung laut Jesch Din drei Monate Zeit gegeben sich zu äußern. Die meisten der ehemaligen Bewohner von Amona wohnen derzeit in Ofra, einer Siedlung in der Nähe des früheren Standortes von Amona.
Nach Jahrzehnten habe ich die Ehre, der Regierungschef zu sein, der eine neue Siedlung in Judäa und Samaria (Westjordanland) baut",
teilte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vergangene Woche auf Twitter mit. Darunter war ein Bild zu sehen, das einen Bulldozer bei Planierarbeiten zeigt.


Ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte den Baubeginn dagegen als
gefährliche Eskalation und Versuch, die US-Bemühungen und die Bemühungen des US-Präsidenten Donald Trump zu untergraben.
Trump hatte die Region Ende Mai besucht und setzt sich für eine Wiederaufnahme der seit mehr als drei Jahren brachliegenden Friedensverhandlungen beider Seiten ein. Sprecher Nabil Abu Rudeineh rief Trump dazu auf, zu intervenieren. Der US-Präsident hatte Netanjahu im Februar zur Zurückhaltung beim Siedlungsausbau aufgerufen. Die Vereinten Nationen und die Bundesregierung hatten den Plan für die neue Siedlung bereits im März scharf kritisiert. Die UN haben Israel immer wieder zu einem Stopp aller Bauaktivitäten in den Gebieten aufgefordert.